Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Auswirkungen des Auseinanderfallens der vor drei Jahren von SPD, Grünen und FDP noch geplanten Zukunftskoalition beherrschen die innenpolitischen Debatten. Mehr gewagt haben die Ampel-Koalitionäre vielleicht, nur vieles ist buchstäblich gründlich in die Hose gegangen. Die Auswirkungen des Ampel-Aus haben wir bereits in der letzten Ausgabe behandelt. Jetzt geht es um die Frage, wie es weitergeht – vor allem in der SPD. Olaf Scholz will weitermachen, ob die Wählerinnen und Wähler das zulassen, werden wir sehen. Wir schauen auch, ob in der Agrar- und Natur-Politik der Alltag wieder einkehrt. Die EU hat sich nach der Wahl neu sortiert und wird wohl andere Schwerpunkte setzen. Wir wenden uns einem Thema zu, das nicht auf eine Woche zu reduzieren ist. In unserem Blog werden wir uns auch mit dem Zustand und der Entwicklung des Waldes beschäftigen.
Hinter uns liegt mit dem Blick zurück und auf die Politik nicht gerade eine Woche der Harmonie. Eigentlich sollte es mehr um Themen gehen, die die zerbrochene Ampel mit ihrem einstigen Ziel „Mehr Fortschritt wagen“ unerledigt hinterlässt. Jetzt stehen wir erst einmal vor dem quälend festgelegten Neuwahltermin, der nach dem Jahreswechsel am 23. Februar stattfindet. Zunächst stehen Namen und Personen im Mittelpunkt. Vor allem bei der Regierungspartei SPD. Dem, was wir in Zeitungen gelesen, vor dem Fernseher gesehen und vor allem in den sozialen Medien erlebt haben, soll in diesem Wochenbrief nicht mehr viel hinzugefügt werden. Des Ergebnis Stand dieses Wochenende: Die SPD entscheidet die K-Frage von oben nach unten. Die Druckaufträge für die Plakate mit dem Kopf des Kanzlers können erteilt werden. Scholz bleibt. Als geschäftsführender Kanzler und Kandidat. Vorerst?
Beim letzten Mal 2021 hat Lars Klingbeil als damaliger Generalsekretär das Motiv „Scholz packt das an“ mit der letztlich begründeten Hoffnung vorgestellt, dass die SPD den Kanzler als „Macher“ stellen wird. Damals lag der Hamburger knapp drei Monate vor der Wahl in den Umfragen 16 Prozent hinter Laschet. Die andere Seite tritt jetzt geschlossen hinter Merz auf. Das jetzt ähnlich wieder aufzuholen, wird wohl schwierig. Jedenfalls glauben unverändert viele Genossen in der SPD nicht an ein weiteres Kanzler-Wunder mit Olaf Scholz. Vielmehr wird es im Themenwahlkampf auch darum gehen, was der Kanzlerkandidat damals versprochen und kaum geliefert hat: nüchtern, sachlich, hanseatisch Führung zu zeigen und angeblich Liegengebliebenes zu lösen. „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.“ Das ziehen im Ergebnis viele inzwischen in Zweifel.
Ein Restrisiko bleibt für Klingbeil und Scholz. Wenn die Umfragewerte noch weiter sinken, könnte die Diskussion auf dem spät gelegten Nominierungsparteitag erst sechs Wochen vor der Wahl wieder aufleben. Erst dann wird der Kanzlerkandidat bei der SPD formell und bindend aufgestellt. Die vorher von der Partei vorgesehene „Wahlsiegkonferenz“ am 30. November hat dagegen unverbindlichen Charakter. Wenn die Basis der SPD-Führung auf dem Parteitag nicht geschlossen folgt, haben Klingbeil und Scholz zusammen und die SPD insgesamt ein Problem. Das ARD-Politbarometer dieser Woche, das allerdings vor dem Pistorius-Rückzug erhoben wurde, beschreibt die Ausgangssituation im Spiegel der Wählerschaft kritisch. Die Zustimmungsraten fallen für Scholz schlechter aus als 2021.
Jedenfalls hat die Opposition mit der Neuwahl das bekommen, worauf sie gedrängt hat. Die Formation um Friedrich Merz bei CDU und CSU steht. Jedenfalls sieht es so aus, dass Markus Söder seinen Fehler von 2021 nicht wiederholt und den Spitzenkandidaten aus der Schwesterpartei nicht noch einmal beschädigt. Übrigens: Wer Laschet heute erlebt, muss feststellen, dass er in der Bundespolitik wieder eine beachtliche Rolle spielt und neue Perspektiven hat. Die Union konnte sich gut auf die Kampagne für Merz vorbereiten. Die Themen liegen auf der Hand. Auf den Teil, den unser Blog vor allem im Blick hat, werden wir uns in Wahlprogrammen und Äußerungen bis zur Wahl besonders konzentrieren. Der ländliche Raum ist in den letzten Jahren einfach zu kurz gekommen! Ein englischer Politiker sagte einmal, dass viele politischen Entscheidungen an Schmerzgrenzen fallen und die Regierungen fast immer den Weg wählen würden, der für sie am wenigsten weh tut. Das gilt wohl auch bei uns.
Im Gegensatz zu allen Aufregungen in Berlin kann ein halbes Jahr nach der Wahl in der EU der Normalbetrieb der nächsten Legislaturperiode beginnen. Am Mittwoch stellt sich im Europaparlament in Straßburg die neue EU-Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen zur Abstimmung. Unser Autor Ludwig Hintjens berichtet von dort mit Blick auf unsere bevorzugten Themen zum Leben und Arbeiten auf dem Lande. Erst einmal geht es um von der Leyens Kabinett. Die Latte liegt nicht so hoch wie im Juli, als sie selbst zur Wahl als Präsidentin 360 Stimmen brauchte, also von der Hälfte aller Sitze. Diesmal reichen die Stimmen der Hälfte der anwesenden Abgeordneten. Das dürfte ihr gelingen, zumal die 188 Christdemokraten recht geschlossen für sie stimmen werden, ebenso die 77 Liberalen, sogar die deutschen FDP-Abgeordneten wollen für sie die Hand heben. Von den 136 Sozialisten zieren sich gerade die deutschen Sozialdemokraten. Sie verübeln von der Leyen, dass sie Raffaele Fitto, der von den rechten Brüdern Italiens (Fratelli d'Italia) kommt, eine herausgehobene Position in der Kommission gegeben hat. Diese Empörung ist fehl am Platz: Er ist ein überzeugter Europäer, jeder Mitgliedstaat kann seinen Kandidaten in der Kommission frei bestimmen. Dass Italien als großer Mitgliedstaat ein verantwortungsvolles Portfolio bekommt, ist schlüssig.
Man rechnet damit, dass die Kommission 320 von 719 Stimmen im Parlament für die Bestätigung braucht. Vermutlich wird sie die Stimmen bereits im Lager der Parteien einsammeln, die die informelle Koalition tragen: Christdemokraten, Sozialisten und Liberale. Darüber hinaus dürfte sie noch Stimmen von der konservativen Parteienfamilie EKR und von den Grünen bekommen.
Ein Blick auf das große Thema Bürokratie
Bleiben wir noch kurz bei der EU, wo für den Außenstehenden vieles sehr kompliziert abläuft. In diesen Tagen bin ich über eine der unzähligen Bekanntmachungen in EUR-Lex, dem elektronischen Amtsblatt aus Brüssel, gestolpert. Es ist die „Einleitung eines Antidumpingverfahrens betreffend die Einfuhren von Hartholzsperrholz mit Ursprung in der Volksrepublik China“. Wenn man sich das mal näher ansieht, betrifft das erstens unseren Interessenkreis, sofern es um die wirtschaftliche Nutzung unseres Waldes und um den Schutz vor Holz-Billigimporten von anderen Kontinenten geht. Zweitens beim Lesen der gesamten Bekanntmachung (was eigentlich bei gefühlt über 1000 Zeilen mit Tabellen kaum ein Mensch macht) ist das aber auch als ein plastisches Beispiel dafür zu nehmen, wie viel an Beamten-Energie in der Brüsseler Bürokratie verschwindet. Und das Thema Bürokratie, das auch bei uns zu allen Ministerien und Behörden gehört, ist aktuell eines der Kernpunkte vor der Wahl. Alle reden über Bürokratieabbau, viel Hoffnung auf Erfolg ist mit Blick auf die Belastungen unserer mittelständischen Wirtschaft kaum zu spüren.
Das Thema Wald beschäftigt viele direkt und indirekt Betroffene
Zurück zum Wald. In dieser Zeit beschäftigen sich viele Eigentümer, Verbände und Naturschutzorganisationen mit Fachleuten und Laien, Politiker, natürlich auch Nutzer wie Forstunternehmen, Jäger und Erholungssuchende mit diesem Thema. Die Analysen zu Ursachen für die Feststellungen in Waldzustandsberichten sind meist übereinstimmend, die diskutierten Lösungsansätze und Konzepte gehen weit auseinander. In unserem Blog haben wir mehrfach dieses Thema behandelt und darüber berichtet, wie sehr die deutschen Wälder geschädigt sind etwa durch Borkenkäfer, Dürre, Krankheiten und in Folge die Anfälligkeiten etwa bei Bränden oder Stürmen. Am Montag berichtet unser Autor Frank Polke über einen Hoffnungsschimmer an einem Beispiel: In Thüringen geht die Schadholzmenge langsam wieder zurück.
Wir wissen, wie sehr der Klimawandel gerade den Wald trifft. Und dass dominierende Baumarten langfristig keine Zukunft in Mitteleuropa haben. Besonders beklagen wir das für die in vielen unserer Mittelgebirgsregionen verbreiteten Arten Fichte und Buche. In vielen Forsten machen sie über die Hälfte der Bestände aus. Auch unsere Stiftung natur+mensch, die diesen Blog herausgibt, hat sich entschieden, sich an dieser gesellschaftlichen, politischen und fachlichen Diskussion zu beteiligen. Nach ihrer Satzung verfolgt sie diese Grundprinzipien: Schutz der Naturlandschaften, Pflege der Artenvielfalt, Erhalt artenreicher Kulturlandschaften. Damit wird sie auf dieses Thema künftig einen ihrer Projektschwerpunkte setzen. Zusammen mit forstwissenschaftlicher unternehmerischer Beratung hat die Stiftung natur+mensch ein konkretes Projektkonzept erarbeitet. Es beschreibt einen Zukunftswald, der wirtschaftlich betrieben werden kann und dabei jagdliche Perspektiven behält. Zum Themenkreis gehören als gesellschaftlicher Beitrag auch Aspekte wie Energieversorgung, Biodiversität, Gesundheits- und Erholungsfunktionen – sowie „Wald mit Wild“ statt „Wald vor Wild“. Die Stiftung bezieht sich auf Praxisbeispiele, die z.B. in Revieren an Mosel und Rhein belegt werden können. Darauf werden wir an dieser Stelle gelegentlich zurückkommen.
Als Indiz für den jeweiligen Zustand der Lebensräume wildlebender Tiere gilt die jährliche Erfassung der Jagdstrecken, die auf Kreis-, Landes- oder Bundesebene erhoben und veröffentlicht wird. Dokumentiert wird die Population der einzelnen Arten. Daraus ist auch abzuleiten, wie sich Vitalität und Qualität der Biotope entwickeln. Unser Autor Christoph Boll hat das gestern in unserem Blog zunächst für das Niederwild ausgewertet. In der nächsten Woche folgt Teil zwei für das Schalenwild – das vor allem trotz der Zunahme der Abschusszahlen für Rehe in seiner Dichte für einen Teil der Waldbewirtschafter bekannte Sorgen bei der Verjüngung bereitet.
Bitte um Verständnis in der Zeit der Drückjagden
Wer jetzt zum Wochenende seine Erholung in der Natur sucht, erlebt in diesen Wochen vielleicht auch etwas Unruhe in den Revieren. Es ist die Zeit der Bewegungsjagden, wo das Wild mit Hilfe von ausgebildeten Hunden aus Tageseinständen „herausgedrückt“ wird, um es waidgerecht und erfolgreich bejagen zu können. Drückjagden gehören zum Jagdbetrieb im Verlaufe eines Jagdjahres. Ohne sie könnten in vielen Revieren Wildschäden kaum niedrig gehalten werden. Zu hohe Wildbestände verursachen nun einmal wirtschaftliche Schäden in Millionenhöhe – ein immerwährendes Thema zwischen Jagdpächtern und Land- bzw. Forstwirtschaft. Unsere Jägerinnen und Jäger wünschen sich Verständnis bei den Erholungssuchenden und dort, wo in einer Begegnung Konflikte auftauchen, suchen sie in der Regel das Gespräch. Da kann es nur um gegenseitige Aufgeschlossenheit gehen.
In meinem Niederwildrevier erleben wir übrigens eine besondere Harmonie, wie die Bilder vor dem Kamin eines Hofes in Hohenholte zeigt: Dackeldame Wilma und Kater Garfield. Sie sind ein Herz und eine Seele – anders als wir es nach dem Sprichwort wissen „Die sind ja wie Hund und Katz“, wenn zwei sich nicht leiden können. Sie knuddeln nicht nur, sondern knabbern vor dem Kamin am selben Knochen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein in jeder Beziehung harmonisches
Wochenende
Ihr
Jost Springensguth
Redaktionsleitung / Koordination
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