An der Schnittstelle der Demokratie
- Frank Polke
- 24. Feb.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Feb.
Die Bundestagswahl verfestigt auch die alten Gegensätze zwischen Stadt und Land. Und es kommen neue Player dazu. Gefährliche.

Der Blick auf die politische Landkarte nach der Bundestagswahl verleitet zu Witzen, über die angesichts der Bedrohlichkeit der Situation ernsthaft aber niemand lachen kann. Blau eingefärbt sind fast alle Wahlkreise in den neuen Ländern, also im Gebiet der ehemaligen DDR. Mehrheiten für die AfD bei Erst- und Zweitstimme, fast flächendeckend. Nur vereinzelt unterbrochen von roten oder schwarzen Tupfern in Berlin und Leipzig. Die alte Bundesrepublik, gern auch Bonner Republik genannt, wird sowohl bei den Erst- als auch den Zweitstimmen ausgemalt von der schwarzen Farbe der Union. Ganz Bayern, Baden-Württemberg. Auch sonst dominieren die CSU und die CDU, mit Ausnahme der grünen Unistädte wie Münster, Aachen und der roten Inseln in Niedersachsen. Ganz oben, in Friesland, taucht noch ein roter Farbtupfer der ansonsten hart getroffenen Sozialdemokraten auf.
So weit, so bekannt, werden politische Analysten sagen. Kennen wir spätestens seit den Landtagswahlen im Herbst 2023. Doch beim genauen Blick auf die Landkarte zeigen sich im Februar 2025 scharfe Schnittkanten auf zwischen Stadt und Land, zwischen Jung und Alt, zwischen der Demokratie zu- oder abgewandten Milieus.
Beispiel Berlin: Die meisten Wahlkreise in der Stadt Berlin gingen an die Linkspartei, so zum Beispiel in den Problemvierteln Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg. Dort prallen die sozialen Gegensätze, zu denen neben hohen Wohnungskosten, einer durch den Zuzug überforderten Senats-Verwaltung auch eine nicht geschaffte Integration zählt, ungebremst aufeinander. Doch in diesem Großstadtmilieu vertraut eine Mehrheit der Wähler eher den Silber-Locken Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch sowie dem hippen Tiktok-Star Heidi Reichinnek mehr Lösungskompetenz zu als CDU oder SPD oder auch Grünen. „Auf die Barrikaden“, tönte es vom neuen Linken-Star Heidi im Bundestag.
200 Kilometer weiter südöstlich wird der Platz auf den Barrikaden von der anderen Seite beansprucht. Die rechtspopulistische AfD holte im Wahlkreis Görlitz mit 46,7 Prozent den höchsten Zweitstimmenanteil. 46,7 Prozent – übersetzt bedeutet dies: Fast jeder Zweite wählte dort die Partei, die unter anderen in Sachsen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In anderen Wahlkreisen in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist das Bild nicht viel anders. Linkspartei versus AfD. Das ist keine beruhigende Spielansetzung.
23 gewählte Abgeordnete bleiben draußen
Eine Erklärung: Die AfD holt ihre besten Ergebnisse vor allem in bevölkerungsarmen Wahlkreisen. Also genau dort, wo seit der Wende fast ein Drittel vor allem der jungen Leute abgewandert sind. Über drei Millionen Menschen, oft jung, mobil, gut ausgebildet. In die Städte, in den Westen. Durch die jetzt von der Ampel verabschiedete Wahlrechtsreform könnte sich das Gefühl der Nicht-Berücksichtigung vor allem der Menschen im ländlichen Raum noch verstärken: 23 direkt gewählte Abgeordnete (also, die die die meisten Erststimmen auf sich versammeln konnten, aber für die kein Platz mehr ist im kleineren Bundestag) werden aller Voraussicht nicht in den verkleinerten Bundestag einziehen. 19 davon stammen von der Union – vor allem aus Gebieten jenseits der Städte.
„Sonst übernehmen die Radikalen“
Problemfall Osten. Das ist angesichts der bundespolitischen Lage zu leicht, viel zu leicht. Mit großer Sorge sehen Beobachter, dass das blaue Gift sich auch im Westen ausbreitet, angereichert durch linkspopulistische Heidi-Versuchungen. Noch sind die Milieus dort gefestigt, ist man leidlich treu seiner Partei. Oder wenigstens der Demokratie. Doch auch hier verfangen die AfD-Parolen vor allem dort, wo die sozialen Herausforderungen steigen. Im Ruhrgebiet, im Saarland, im Raum Pforzheim scheint es bei den Zweitstimmen schon mal hellblau durch. Gefestigt sind noch die Strukturen im ländlichen Raum.
Das Münsterland, das Emsland, das Sauerland, der Hochstift Paderborn – noch fest in der Hand der jetzt bald regierenden Christdemokraten. Genau hier ist aber allen bewusst: Man hat jetzt vier Jahre Zeit, um in einem Bündnis mit den abgestraften Sozialdemokraten nicht nur unser Land wettbewerbsfähig zu machen. Sondern auch die wachsende Kluft zwischen Land und Stadt, zwischen vor allem grüner Ideologie und lösungsorientierter Politik zu überwinden. Dazu gehört auch, das Eigentum in der Fläche, im Forst und der landwirtschaftlichen Praxis zu achten und zu fördern. Gelingt dies nicht, könnte sich die düstere, aber dennoch kluge Prophezeiung des Wolfgang Schäuble bewahrheiten: „Wir müssen jetzt gut regieren. Sonst übernehmen 2029 die Radikalen.“
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