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Wolfgang Kleideiter

An neuen Haltungsformen führt kein Weg vorbei

Auch über ein Jahr nach Einführung stößt das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz wegen verschiedener Geburtsfehler auf Kritik. Den Nutztierhaltern hilft dies wenig. Sie müssen ihren Betrieb immer mehr nach den Vorgaben ausrichten


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Foto: Karin Wobig / pixelio.de

Als die Initiative Tierwohl (ITW) im Sommer den neuen Anforderungskatalog für das kommende Jahr vorlegte, läuteten in etlichen Schweinemastbetrieben, die nach ITW-Vorgaben produzieren, die Alarmglocken. Denn die zehn Jahre bestehende branchenübergreifende Organisation kündigte die Anpassung des ITW-Programms an die Stufe zwei der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung an.


Das neue staatliche Label kennt fünf verschiedene Haltungsformen. Stufe zwei heißt „Stall + Platz“. Und die damit verbundenen Vorgaben für Schweinefleischprodukte bedeuten konkret, dass viele Landwirte für die neuen ITW-Vorgaben noch einmal Geld in die Hand nehmen müssen. Denn die Schweine erhalten dort über die gesetzlichen Vorgaben hinaus 12,5 statt bisher zehn Prozent mehr Platz. Zudem – und das ist die größte Änderung – müssen aus einer Liste von Strukturierungselementen für jede Bucht im Stall drei Elemente ausgewählt und eingebaut werden. Alternativ kann auch ein Auslauf angeboten werden.


Zurückhaltung der Verbraucher, wenn´s um mehr Geld geht


Wieder investieren? Während das Gros der Verbraucher laut einer aktuellen Studie der Universität Bonn und der Technischen Universität München nach wie vor nicht bereit ist, für Fleisch aus besserer Haltungsform mehr Geld auszugeben? Manch ein Branchenkenner befürchtete ausgerechnet bei der so wichtigen Initiative Tierwohl eine Austrittswelle.


Inzwischen wurde bekannt, dass rund 400 Schweinemäster ihre ITW-Teilnahme zum Jahresende gekündigt haben. Dass es trotz der steigenden Anforderungen nicht mehr waren, liegt nach Einschätzung der Interessengemeinschaft der Schweinehalter nicht zuletzt daran, dass die ITW noch rechtzeitig Übergangsregelungen einführte. So wurde beschlossen, dass Landwirte, die zum 1. Januar 2025 zum Beispiel wegen der Lieferprobleme von Stallelementen nicht alles umsetzen können, ihre Teilnahme für einige Zeit ruhen lassen dürfen. Sie bekommen dann nicht den entsprechend besseren Preis, müssen aber auch nicht fürchten, dass bei ihnen die erst kurz vorher angekündigte Kontrolle des ITW stattfindet und Strafzahlungen fällig werden. Die „Pausentaste“, so berichtete top agrar, könne maximal für ein halbes Jahr gedrückt werden.


Inzwischen kündigte die Initiative an, dass sie auch bei den weiteren Haltungsformen im Laufe des kommenden Jahres die Anforderungen erhöhen wird. In den Stufen drei „Frischluftstall“ und vier „Auslauf/Weide“ werden die höheren Tierwohlkriterien gelten.


Es ist unübersehbar, dass die Nutztierhalter ihre Arbeit mehr und mehr an den im Tierhaltungskennzeichnungsgesetz definierten Regeln ausrichten müssen. Und dabei haben die Betriebe penibel darauf achten, dass sie nicht Dinge falsch machen oder nicht zu 100 Prozent umsetzen.


Kaum noch zu überschauendes Regelwerk


Ein Beispiel gefällig? Es ist genau festgelegt, wie groß die Öffnungsfläche im Offenfrontstall für Schweine sein muss. Die Summe der Öffnungen im Dach und den Außenwänden muss mindestens 30 Prozent der Wandflächen des Stalles oder ein Quadratmeter je zehn Tiere betragen. Für die Variante des Frischluftstalles mit Auslauf ist zudem festgelegt, dass der Auslauf bei einer Mindestseitenlänge von zwei Metern eine Mindestfläche von 0,3 Quadratmeter je Tier haben muss. Auch hier ist festgelegt, dass pro angefangene zehn Tiere ein Quadratmeter Öffnung in Dach oder Außenwand vorliegen muss. Und bei der Stallfläche wird natürlich auch noch der Platz vom Lebendgewicht der Schweine abhängig gemacht. Für Außenstehende sind die Kriterien für die einzelnen Haltungsformen, die der Verbraucher am Ende auf einem Siegel findet, kaum noch zu überschauen.


Was bei der Schweinefleischproduktion jetzt mehr und mehr Alltag wird, kommt nun auch beim Rindfleisch ins Rollen. Anfang November wurde bekannt, dass die Initiative Tierwohl eine Fortsetzung des Rindprogramms zunächst einmal für den Zeitraum bis Ende 2025 beschlossen hat. Länger ging nicht, denn ein von vielen Seiten kritisiertes Eckpunktepapier zur Tierhaltungskennzeichnung von Rindfleisch, verfasst im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, hat auf den Höfen für Verunsicherung gesorgt. Darin werden Bedingungen formuliert, die aus Sicht der Branche die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Tierhalter weiter einschränkt und zusätzliche Bürokratie erzeugt. Der Nutzen für das Tierwohl sei eher fraglich.


Eine ärgerliche und im Grunde unnötige Debatte. Man fragt sich, warum das Özdemir-Ministerium die Verbände und Organisationen der Wirtschaft nicht im Vorfeld intensiver einbezogen hat.

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