Gewählt wurde das Ende weiterer Experimente
- Jost Springensguth
- 23. Feb.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Feb.
Die Deutschen haben eine andere Richtung gewählt. Gleichwohl haben sie auf den ersten Blick noch keine klaren Verhältnisse geschaffen. Eine spontane Bewertung am Wahlabend

Die Wahl war am Sonntag mehr von einer Abschieds- als von einer klaren Wechselstimmung geprägt. Das bestätigte sich bereits zu Beginn des Zitterabends mit der Abfolge der Hochrechnungen. Es war schon länger zu spüren, dass es ein verbreitet diffuses Unzufriedenheitspotenzial gibt – nicht erst in den letzten Tagen. Eine klare Ansage mit klaren Mehrheiten haben die Deutschen über ihre Stimmzettel dennoch nicht gemacht. Wir haben uns inzwischen daran zu gewöhnen, dass wir zwar eine stabile Demokratie sind. Sie wird aber geprägt sein von Kompromissen und Zugeständnissen. Das gilt auch für den künftigen Kanzler.
Es ist bei uns anders als bei den Amerikanern, Engländern und noch den Franzosen. Wir entwickeln uns aus den Zeiten klarer Mehrheiten heraus zu einer Koalitionsdemokratie. Das macht das Regieren bei uns komplizierter und damit schwerer. Mit Blick auf die USA ist das am Ende vielleicht auch gut so.
Jetzt haben die Deutschen also den politischen Wechsel gewählt – zumindest was den Kanzler und damit die Kanzlerpartei betrifft. CDU und CSU sind am Wahlabend mit klarer Eindeutigkeit zur erneut führenden Kraft in Deutschland bestimmt worden. Friedrich Merz wird Kanzler. Dagegen ist Olaf Scholz mit seiner Kraftmeierei in den letzten Wochen und seiner Selbstbeschreibung eines starken und besonnenen Regierungschefs wegen mangelnder Überzeugungskraft abgestraft worden. Sein sogenanntes Ampel-Bündnis „Mehr Fortschritt wagen“ wollte für Experimente stehen. Nicht erst seit der als Entlassung verkaufte Absprung Christian Lindners hat sich für jedermann gezeigt: Das Experiment ist schiefgegangen. Die politischen Verhältnisse wurden seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts von Monat zu Monat instabiler. Rezession, Unterordnung fast aller Themenfelder unter zu ehrgeizige Klimaziele, eine nicht geregelte Migration und das wachsende Unsicherheitsgefühl unter den Menschen haben sich zu einer für die Ampel unlösbaren Summe aufgestaut.
Realitätssinn und neue Perspektiven
Jetzt ist Friedrich Merz dran. Mit wem auch immer muss er eine Koalition bilden, die auf stabilen Füßen steht, die die aufgestauten Probleme mit Realitätssinn abarbeitet und neue Perspektiven schafft. Schauen wir auf das, was sich in den nächsten Tagen tun wird. Da spielen natürlich die Ergebnisbetrachtungen im Einzelnen eine Rolle, auf die wir in unserem Blog morgen insbesondere auch mit Blick auf die ländlichen Räume und ihrer Themen eingehen werden. Ist da überhaupt Zeit, bei den alles überlagernden großen Komplexen auf die anderen vermeintlich kleinen Regelungsnotwendigkeiten zu blicken? Dass die Politik in ihrer Handlungsbreite kaum im Wahlkampf gespiegelt wurde, ist vielleicht ein Grund für die Entwicklung zu unserer zersplitterten Parteienlandschaft. So wurde sie uns gerade am Wahlabend in den vielen Grafiken anschaulich vor Augen geführt.
Das Wahlergebnis zeigt sich bereits nach den ersten Hochrechnungen als ein Ergebnis der breiten Unzufriedenheit. Sie zeigt nicht nur bei den bisherigen Koalitionsparteien SPD und Grüne. Die FDP hat sich da am Ende doch noch vielleicht etwas herausgemogelt. Auf der anderen Seite der Medaille mit der Prägung einer Maulerei steht die AfD. Sie wird anhaltend von ihren Wählern als stabil gehaltene 20-Prozent-Kraft ihre Rolle jenseits der Brandmauer weiterspielen. Sie zeichnet wohl weiter eine Kulisse mit populistisch verlockenden Angeboten. Offensichtlich hat sie besonders auf dem Lande gepunktet und wird das weiter versuchen. Aber: Wir brauchen Stabilität aus der Mitte.
Die linke Seite im Lager der Populisten hat zwar bei der gleichnamigen Partei jungen Zulauf erhalten. Die Linke hielt der Abspaltung des BSW stand. Sahra Wagenknecht hat mit ihren Friedensfackeln zu den Landtagswahlen in den neuen Bundesländern ein Strohfeuer entfacht. Was bleiben der Dame da noch für Argumente, wenn Trump seinen Diktatfrieden durchzieht?
Wir werden erleben, dass die Sozialdemokraten ihre gescheiterten Experimente hinter sich lassen und sich nach dem schlechtesten Wahlergebnis ihrer Parteigeschichte wohl auf ihren Markenkern besinnen. In welcher personellen Konstellation sie das angehen, wird spannend. Da werden künftig zwangsläufig Namen eine Rolle spielen, die sich bisher in der zweiten Reihe gehalten haben. Ausexperimentiert haben sich aufs erste einmal die Grünen. Sie haben in ihrer Regierungsbeteiligung für die ländlichen Räume andere Rezepte aus dem Köcher geholt als diejenigen, die dort wohnen und arbeiten, für sich selbst vorstellen.
Vielleicht regt für uns alle einmal der Außenblick eines Politikwissenschaftlers jenseits unseres Landes zu etwas mehr Kontinuität auch in den Haltungen von Wählerinnen und Wählern an: „Die Deutschen wechseln gern von einem Extrem ins andere. An einem Tag bauen sie so schnell wie möglich Atomreaktoren. Am nächsten sind sie wild entschlossen, die Atomkraft wieder abzuschaffen.“ Daraus kann man auch mal lernen. Gerade nach so einem Wahlabend mit Blick auf die Wechselströme im Wahlverhalten.
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