top of page
  • AutorenbildFrank Polke

„Bei mir ist alles weg“

Jahrelang litten die Obst- und Weinbauern in Ostdeutschland unter der Trockenheit. In diesem Jahr schlug Ende April der Frost zu. Die Ernteausfälle sind massiv. Viele Betriebe werden dies wirtschaftlich nicht überleben


Beitrag anhören (MP3-Audio)

Einsame Kirsche
Foto: Thorsten Neuhaus

Die Zahlen sind verheerend. Ernteausfälle bei Obst und Wein von bis zu 100 Prozent haben zahlreiche Obst- und Weinanbaubetriebe in fast allen östlichen Bundesländern an den Rand des wirtschaftlichen Ruins getrieben. Damit steht eine ganze traditionell wichtige Branche der Landwirtschaft auf der Kippe.


Beispiel Sachsen-Anhalt: Im ganzen Land berichten die Obstbauern von den katastrophalen Folgen des Frostes, der Ende April übers Land gekommen war. Damals erfroren viele Blüten – auch der Wein nahm großen Schaden. Im Süden des Landes sagte Obstbauer Axel Neutag von der Obstproduktion Höhnstedt gegenüber dem MDR Sachsen-Anhalt, die Aprikosenernte falle dieses Jahr komplett aus. Bei Kirschen und Pflaumen betrage der Ernteausfall voraussichtlich etwa 90 Prozent. Bei den Sauerkirschen seien die Frostschäden so massiv, dass „wir keine Leiter an die Bäume stellen werden, weil es einfach zu wenige Früchte sind und der Ernte-Aufwand zu groß ist.“


Bei Äpfeln und Birnen sehe es etwas besser aus. Etwas besser, nicht wirklich gut. Eingeleitete Schutzmaßnahmen, mit denen die Obstbauern versucht hatten, die Bäume vor dem Frost zu schützen, haben vielerorts nicht gereicht. Einige Obstbauern haben zum Beispiel versucht, mit Feuertonnen zwischen den Bäumen den Frost zu besiegen. Vergeblich.

 

Betriebe in kritischer Situation


Beispiel Brandenburg: Fachleute der Landwirtschaftskammer und der Obst- und Gartenbaubetriebe schätzen die Frostschäden dort in diesem Jahr auf 10 bis 14 Millionen Euro. Im Obstanbau in Brandenburg dominieren Äpfel, gefolgt von Süßkirschen. Der Vorsitzende der Fachgruppe Obstbau beim Gartenbauverband Berlin-Brandenburg, Thomas Bröcker, rechnete im Gespräch mit Journalisten ebenfalls mit massiven Ertragsausfällen beim Baumobst. Es sei relativ kritisch für die Betriebe, sagte er. Der Mann weiß, wovon er spricht, weil er selbst zahlreiche Apfelplantagen in Brandenburg bewirtschaftet. „Bei mir ist alles weg.“


Laut Bröcker hat der Frost bei Betrieben in tiefen Lagen und Senken die Obsternte komplett zerstört. Aber auch in höheren Lagen gebe es Ausfälle von 70 bis 80 Prozent. Dies weckt in vielen Regionen und bei vielen Betrieben böse Erinnerungen an die Jahre 2018 und 2019, in denen ebenfalls der einsetzende Frost und dann die folgende Trockenheit im Sommer fast die gesamte Ernte vernichtet hatten.


Auch beim Weinanbau südlich – in Sachsen und Sachsen-Anhalt – ist die aktuelle Lage nach den Wetter-Turbulenzen schlecht. Der sächsische Weinbauverband bezifferte vor einigen Tagen die Schadenssumme auf rund 34 Millionen Euro beziffert. Bitter, da gerade die Qualität des Weins aus der Region Saale-Unstrut international sehr gelobt wird.


Länder prüfen Hilfen


Die Probleme rufen im Jahr der Landtagswahlen die Politik auf den Plan. Das sächsische Kabinett kündigte Hilfen an. „Die Obstbauern haben mit der Trockenheit in den vergangenen Jahren ohnehin schon schwierige Zeiten hinter sich“, sagte Agrarminister Wolfram Günther (Grüne) in Dresden. Man wolle verhindern, dass Betriebe aufgeben müssten und Anbauflächen verschwinden, da sowohl der Obst- als auch der Weinanbau zur sächsischen Kulturgeschichte und landwirtschaftlichen Identität gehörten. Insgesamt stehen 22 Millionen Euro zur Verfügung.


Betroffene Betriebe können nach Angaben des Landesagrarministeriums Anträge bei der Sächsischen Aufbaubank stellen. Voraussetzung: Die Betriebe müssten nachweisen, dass sie mehr als 30 Prozent der durchschnittlichen Jahreserzeugung verloren hätten. Leider kein Problem für viele. Auch die Möglichkeit, Kurzarbeitergeld für die Mitarbeiter zu beantragen, wird intern diskutiert.


In Brandenburg können Obstbauern noch in diesem Jahr mit ersten Hilfen rechnen. Um Betriebsaufgaben zu verhindern, werden Abschlagszahlungen noch im Jahr 2024 angestrebt, eine endgültige Auszahlung soll Mitte 2025 erfolgen, wie ein Regierungssprecher erklärte.


Ob das alles reichen wird, dieser Branche eine Zukunft zu geben, ist höchst unklar. Viele Betriebe, oft familiengeführt und mit viel Aufwand und Geld aus Trümmern der Landwirtschaftlichen Produktionsgesellschaften (LPG) der untergegangenen DDR entwickelt, überlegen aktuell aufzugeben. Private Versicherungen haben die meisten Betriebe nicht. „Wir müssen jetzt die Rechnungen und Gehälter bezahlen. Wenn wir keine Ernte haben, werden wir auch keine Erträge und Gewinne haben“, sagt ein Obstbauer aus Dresden-Pillnitz. Er wartet jetzt ab, in welcher Höhe und mit welchen Auflagen die staatliche Unterstützung kommt. „Wenn das irgendwie nicht passt, dann drehe ich den Schlüssel um. Endgültig.“

Comentarios

No se pudieron cargar los comentarios
Parece que hubo un problema técnico. Intenta volver a conectarte o actualiza la página.
bottom of page