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  • AutorenbildJost Springensguth

Bio-Strategie und Realität nach dem Öko-Boom der Coronazeit

In dieser Woche berichtet das Thünen-Institut von einem „historischen“ Gewinnabstand zugunsten der konventionellen im Vergleich zu den ökologisch wirtschaftenden Produktionsbetrieben in der Agrarwirtschaft


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Traktor bei der Arbeit auf dem Feld
Foto: Sascha Hübers / pixelio.de

Die Einschränkungen für die Menschen in der Coronazeit und entsprechende Verhaltensänderungen im Alltag waren zeitlich begrenzt, ein Teil aber dauert an. Das bezieht sich besonders auf das Freizeitverhalten, aber auch auf Ernährungsgewohnheiten. Aus der Tourismusbranche werden wieder Rekordzahlen gemeldet. Die in Deutschland erfassten Hotelübernachtungen sind im März dieses Jahres mit 35,6 Millionen auf Rekordhöhe und liegen damit höher als vor der Pandemie. Die Flughäfen haben in den Osterferien ebenfalls statistisch gesehen die Corona-Rückgänge mehr als ausgeglichen. Anders sieht es im Ernährungsverhalten der Deutschen aus, wenn es um die Frage Bio oder konventionell geht. Die Umsatzsprünge bei Bio-Produkten in der Coronazeit waren wohl nur vorübergehend. Die Umsätze sinken wieder. Damit unterliegt der Markt in der Erzeugung und im Handel unsicheren Prognosen und ist damit schwer kalkulierbar.


Im Ernährungsverhalten ist Bio in der Langzeitbetrachtung zwar weiter auf dem Vormarsch, aber offensichtlich längst nicht so, wie es auf Produktionsseite im Rahmen der „Bio-Strategie-2030“ der Bundesregierung vorgesehen ist. Ist der Höhenflug von mehr Obst und Gemüse und auch Fleisch aus der Bio-Produktion während der Zeiten hoher Homeoffice-Raten vorbei? Verschiedenen Statistiken ist zu entnehmen, dass bei dem einen oder anderen Betrieb Ernüchterung eingetreten ist – zumindest mit Blick auf die Erträge der Familienbetriebe.


Der zuständige Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, müsste demnach mehr davon umsetzen, was er bei der Vorstellung seiner Bio-Strategie im November letzten Jahres als Ziel ausgegeben hat: „Entlang der gesamten Wertschöpfungskette – also von der Betriebsmittelbereitstellung über die Erzeugung und Verarbeitung bis hin zum Handel und Konsum – die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen und bestehende Hürden zu beseitigen, damit bis zum Jahr 2030 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ökologisch bewirtschaftet werden können.“ Es gibt noch keine verlässlichen Hinweise darauf, dass Bio auch in diesem Jahr in die von der Bundesregierung nach ihrem Koalitionsvertrag gewünschte Rolle dynamisch hineinwächst.


Produktionsintensität schlägt auf die Ergebnisse durch


In einer Veröffentlichung des Thünen-Institutes stellt das zuständige Projektteam fest, dass der ökologische Landbau zwar ressourcenschonend und eine umweltverträgliche Wirtschaftsform ist. Es gebe aber auch viele offene Fragen und kritische Standpunkte hinsichtlich der Leistungen, die der ökologische Landbau im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft für die Umwelt und Gesellschaft erbringe. Bei den Erträgen wirkt sich die vom Systemansatz her unzweifelhaft geringere Produktionsintensität auf die Ergebnisse aus.


Der Bund für Ökologische Lebensmittelwirtschaft meldete zum Ende der Pandemiezeit für das Jahr 2023 ein „erfreuliches Plus“ um fünf Prozent an Verbraucherausgaben für Bio-Lebensmittel mit einem Gesamtumsatz von 16,08 Milliarden Euro. Im Mai desselben Jahres hob übrigens die WHO den „Internationalen Gesundheitsnotstand“ auf, was für Statistiker das offizielle Ende der Pandemie bedeutete. Der Gesamtumsatz des Lebensmitteleinzelhandels lag bei knapp 200 Milliarden – also ein Vielfaches vom Bio-Umsatz.


Dabei spielen die Discounter und Drogeriemärkte seit einigen Jahren eine für die weitere Entwicklung entscheidende Rolle. Dort machten die sogenannten Bio-Umsätze einen Schub. Diese Strukturveränderungen auf Handelsebene – übrigens auch zulasten der einst boomenden Biomärkte – wirken sich teilweise dramatisch auf die Erzeuger und deren Wirtschaftlichkeit aus.


Einzelne Landwirte wenden sich wieder von Öko ab


Erstmals seit Jahren sinken die Umsätze bei Bioprodukten. Einzelne Landwirte wenden sich wieder von der Ökowirtschaft im Getreide- und Gemüseanbau ab und kehren zur konventionellen Erzeugung zurück. Dabei erschwert in vielen Fällen – wie vermehrt zu lesen ist – die Zunahme von Öko-Richtlinien mit wachsenden Auflagen das erfolgreiche Wirtschaften.


Gerold Rahmann, der Präsident des Thünen-Instituts für Ökologischen Landbau, weist in einer Veröffentlichung darauf hin, dass bei den Einkommen der Biobauern die Öko-Prämie eine besondere Rolle spielt. Das lässt den Schluss zu, dass hier die staatliche Förderung in vielen Fällen erst schwarze Zahlen zulässt. Das Thünen-Institut richtet außerdem das Augenmerk auf verschiedene Standortbedingungen, die ausschlaggebend für die Antwort auf die Frage Bio-Landbau oder konventionelle Landwirtschaft sind. Rahmann spricht angesichts des Umsatzrückgangs auf Erzeugerseite allerdings nicht von einem Tief, sondern von einer Flaute: „Viele Menschen aßen in der Coronazeit zu Hause, hatten Geld für Bio-Lebensmittel. Jetzt gehen wieder mehr Menschen in die Kantinen, und der Absatz hat sich wieder normalisiert.“


Das ändert nichts an der vom Thünen-Institut aktuell festgestellten unterschiedlichen Einkommensentwicklung zum konventionellen Wirtschaften. Hauptursache sei, dass die Erzeugerpreise für ökologisch erzeugte Produkte während des betrachteten Wirtschaftsjahres 2022/23 einen deutlich geringeren Anstieg verzeichnet hätten als für konventionelle Ware, insbesondere bei Milch und Getreide. Gestiegene Preise für Betriebsmittel würden bei den konventionell wirtschaftenden Betrieben der Vergleichsgruppe überkompensiert, was dort zu vergleichsweise sehr starken Gewinnsteigerungen geführt habe.


Diese Gemengelage zwischen Handelsentwicklungen und Produktionsbedingungen erschwert damit jedem einzelnen Betrieb die Entscheidung über die eigene künftige Produktionsstruktur. Damit stellt sich die Frage, ob der von Özdemir ab 2030 angestrebte Anteil überhaupt realistisch ist.

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