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  • AutorenbildFrank Polke

Das erwartbare Ostbeben

AfD in Thüringen auf Platz eins, die links-nationalistische Wagenknecht-Truppe vor einer Regierungsbeteiligung. Die Ostwahlen haben das Zeug zum politischen Erdbeben. Wirklich überraschend ist der Wahlausgang aber nicht


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Foto: afd-bjoern-hoecke.de
Foto: afd-bjoern-hoecke.de

Die großen Überraschungen blieben aus – trotz des Messerangriffs in Solingen. In Sachsen und Thüringen dürfte die CDU versuchen, jeweils Koalitionen zu bilden. Doch die Ausgangslagen in beiden Ländern sind unterschiedlich. In Sachsen dürfte nach den Hochrechnungen die seit 1990 regierende CDU weiter den Ministerpräsidenten stellen. Michael Kretschmer könnte also versuchen, als amtierender Ministerpräsident auf seine alten Partner SPD und Grüne zuzugehen. Dann wäre der CDU-Politiker nicht auf das Bündnis Sahra Wagenknecht angewiesen. „Wir könnten dann versuchen, uns endlich wieder auf Landesthemen zu konzentrieren und diesen Wahlkampf hinter uns zu lassen“, sagt ein hochrangiger Stratege aus der Staatskanzlei in Dresden.


Probleme und Herausforderungen gibt es in Sachsen trotz der wirtschaftlichen Erfolge genug. Die Ausdünnung des ländlichen Raumes, der demografische Rückgang vor allem im Bereich Osterzgebirge, die Asyl-Probleme im Grenzgebiet zu Polen und Tschechien, die seit Monaten eine erhebliche Zunahme an Flüchtlingen verzeichnen – all das dürfte den Sachsen näher sein als irgendwelche außenpolitischen Russland-Schwärmereien einer ehemaligen Politikerin der kommunistischen Plattform. Denn genau mit dieser „Gebiete für Frieden“-Parole gelang es auch in Sachsen dem Bündnis Sahra Wagenknecht, die Menschen offenbar zu motivieren, wieder wählen zu gehen. Die Wahlbeteiligung lag in Sachsen deutlich über 70 Prozent und über dem Ergebnis der letzten Landtagswahl 2019. Bedeutet: Schon damals gab es offenbar im Osten viele Unzufriedene, die jedoch zu Hause geblieben waren, aber 2024 offenbar bei AfD und Wagenknecht ihre politische Heimat finden. 

 

Unklare Lage in Thüringen

 

Noch schwieriger dürfte die Regierungsbildung im 250 Kilometer entfernten Erfurt sein: Die AfD gewinnt in Thüringen die Wahl – und geht damit erstmals als Sieger bei einer Landtagswahl durchs Ziel. Selbst klare Verstrickungen mit rechtsextremen Inhalten, Parolen und Personen haben der Partei um den irrlichternden Björn Höcke nicht geschadet. Sogar genutzt. Über 30 Prozent. Das bedeutet Geld für die Höcke-Truppe aus der Staatskasse, das bedeutet Posten und Einfluss in Gerichten, Behörden und Medien. Ob Höcke überhaupt noch fest in Erfurt im Sessel sitzt oder im nächsten Jahr für den Bundestag kandidiert, egal. Politik kann manchmal so irrational sein. 

 

Als ob das noch nicht schlimm genug wäre, holte die in Jena geborene Wagenknecht in Thüringen 16 Prozent. Zusammengerechnet sind das also rund 46 Prozent für Parteien oder Bündnisse, die zwischen Identitärer Bewegung, einem klaren rechtsextremistischen Weltbild oder einer unverhohlenen Putin-Sympathie pendeln und genau aus diesem rot-braunen Giftcocktail politisches Kapital schlagen. Die CDU in Thüringen muss dennoch versuchen, eine Landesregierung auf die Beine zu stellen. Gemeinsam mit BSW und der SPD könnte das gelingen. Könnte. Aber Wagenknecht hat bereits angekündigt, in Erfurt persönlich mit verhandeln zu wollen. Ein Grauen für die Unterhändler. Denn dann geht es um Fragen der Außenpolitik, des Kriegs und der Westbindung der Bundesrepublik, nicht um Fragen des Flächenverbrauchs, der Hochschulausstattung oder gar der Entwicklung des ländlichen Raums. Eine Horrorvorstellung für Mario Voigt für sein schönes Bundesland. Aber er muss das für seine Thüringer CDU meistern, hilft ja nichts. Bei dieser schwierigen Arbeit wird er wohl von Seiten der Bundes-CDU freie Hand erhalten.


Das politische Beben in der Bundespolitik wird sich in der vorhersehbaren Größenordnung halten. Friedrich Merz freut sich mit seinen sächsischen Freunden – der Sauerländer machte dort deutlich sichtbarer Wahlkampf als in Thüringen – über den wahrscheinlich hauchdünnen Vorsprung. Ein Absturz ist bei den Parteifreunden in Thüringen auch nicht eingetreten. Eine Vorentscheidung über die Kanzlerkandidatur ist am Superwahlsonntag im Osten bei der Union jedenfalls nicht gefallen. Die wird vertagt, mit Vorteil Merz gegen Markus Söder.

 

Grüne verlieren an Bedeutung

 

Auch die Kanzler-Partei SPD dürfte ganz heimlich aufatmen. Ganz heimlich. In beiden Ländern fällt die SPD nicht aus dem Landtag, sondern legt in Sachsen auf ganz, ganz niedrigem Niveau sogar zu. Die Grünen und Ostdeutschland, das wird ohnehin keine Liebesbeziehung mehr. Dennoch dürften Habeck und Co. nicht gleich in eine Untergangsstimmung verfallen und die Bundesregierung verlassen. Für das Berliner Regierungsbündnis droht das eher von den gedemütigten Liberalen. In beiden Bundesländern kaum mehr messbar, näher an der Null-Prozent-Marke als an fünf Prozent. Parteichef Lindner dürfte nun in bewährter Manier versuchen, dieses Desaster weit weg von sich zu schieben. Landesthemen, Solingen, besondere Ost-Verhältnisse – Lindner ist eloquent genug, um es zu versuchen. Gelingt ihm das nicht und seine Fraktion (da gibt es viele, die um ihren Wiedereinzug in den Bundestag fürchten) rebelliert, könnte der Super-Ostwahltag aber doch das schnelle Ende der Ampel zumindest eingeläutet haben.

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