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  • AutorenbildFrank Polke

Das kalte Grauen der Unterhändler

Alles scheint möglich bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Unregierbare Bundesländer, ein Regierungsauftrag für die CDU. Oder sogar ein Ministerpräsident Höcke oder eine Ministerpräsidentin Wagenknecht


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Foto: M. Großmann / pixelio.de

Ein realistischer Spaßvogel hat einmal gesagt: Mit Prognosen ist das so eine Sache. Sie beziehen sich auf die Zukunft und sind deswegen unsicher. Wohl selten traf dieses Bonmot mehr zu als auf den Ausgang der beiden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am Sonntag und deren Folgen.


Umfragen sehen im bevölkerungsreichsten Ost-Bundesland Sachsen ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer und der rechtspopulistischen AfD. Das links-nationalistische Bündnis Sahra Wagenknecht kommt auf zwölf Prozent, SPD und Grüne kämpfen gegen den Sturz aus dem Landtag, die FDP dürfte sicher an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Damit dürfte es für die Regierungsbildung in Dresden entscheidend darauf ankommen, ob die bisher seit der Wende ununterbrochen in Sachsen regierende CDU vor der AfD liegt. Könnte klappen, da gerade der Ministerpräsident Kretschmer im Ansehen in Sachsen hohe Zustimmungswerte genießt. Dies hat schon vor fünf Jahren der CDU dort auf den letzten Metern den Sieg beschert. Könnte aber auch nicht klappen.


Wagenknecht als Außenpolitikerin


Denn mittlerweile gibt es das BSW, das im Jahr 2024 die Regierungsbildung im bevölkerungsreichsten Ost-Bundesland fast zum politischen Kunststück erhebt. Denn Wagenknecht surft hemmungs- und skrupellos auf der im Osten weiter verbreiteten Russland-Versteher-Welle. Die deutsche Ukraine-Hilfe solle gestoppt werden, Putin und Russland hätten durch den Krieg nur ihre Rechte verlangt, die Moskau seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach und nach genommen worden sind. Der Feind, das ist die Nato, der Westen. Es lebe die deutsch-russische Freundschaft.


Willkommen im postfaktischen Populisten-Klub: Kein gefährlicher Unsinn ist der Wagenknecht-Truppe historisch, moralisch oder politisch zu abstrus, als dass die Lafontaine-Frau diesen den Wählern nicht ins Ohr säuseln würde. Jetzt kündigte die in Jena geborene Allein-Unterhalterin sogar an, diese außenpolitischen Themen – zu denen auch ihr klares Nein gegen die Stationierung von Nato-Raketen in Ramstein (liegt bekanntlich in Rheinland-Pfalz) gehört – zu entscheidenden Schlüsselfragen von Koalitionsverhandlungen in den beiden Ländern machen zu wollen. Und das höchstpersönlich. Außenpolitik ist also ab sofort Länderkompetenz. Keine niederen Fragen der Bildungspolitik, der Entwicklung des ländlichen Raums, der Modernisierung der Infrastruktur abseits der mittleren Städte – Wagenknecht kann nur groß und ganz. Eine Drohung, die den möglichen Unterhändlern der CDU sowohl in Sachsen als auch in Thüringen das kalte Grauen bereiten dürfte.


Fast unlösbare Lage in Thüringen


Denn noch stärker auf das BSW dürfte CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt in Thüringen angewiesen sein. Dort dürfte – trotz aller Unschärfen in den Umfragen – die AfD als Sieger bei den am Sonntag stattfindenden Wahlen durchs Ziel gehen. Eine Partei, die nicht nur Björn Höcke als ihren Anführer feiert. Sondern eine Partei, deren Wurzeln tief ins braune Lage der Identitären Bewegung und des rechtsextremen Verlegers Götz Kubitschek reichen. Eine Partei, die der Verfassungsschutz beobachtet, die sich auch eng anlehnt an Putins Russland. Um Platz zwei streitet sich im Land der Dichter und Denker (Buchenwald ist nur 15 Kilometer entfernt von Weimar) die CDU, die gern nach der Ramelow-Zeit wieder den Chef in der Staatskanzlei stellen würde. Doch dazu fehlen mindestens 20 Prozent. Die SPD und die Grüne kämpfen auch in Thüringen mit dem Sturz in die politische Bedeutungslosigkeit; die Linkspartei dümpelt bei acht Prozent. Könnte reichen, könnte aber auch nicht reichen für ein Bündnis ohne AfD und BSW.


Und wenn nicht? Dann droht entweder eine von der BSW geduldete AfD-Regierung in Erfurt. Oder die CDU müsste tatsächlich auf Wagenknecht zugehen, um Chancen für eine Koalition auszuloten. CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt darf das, weil die Bundes-CDU aus ihren Fehlern der Vergangenheit gelernt und dem Landesverband in Erfurt freie Hand gegeben hat. Doch Voigt hat klare Bedingungen gestellt. Die wichtigste davon lautet: Mit der dortigen BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf will er reden – nicht aber mit Sahra Wagenknecht. Denn Voigt, hier offenbar ganz klassisch als Landespolitiker unterwegs, will über die Probleme in seinem Land Thüringen verhandeln. Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Personalprobleme in Kitas, Schulen und Hochschulen, Förderung des ländlichen Raums, demographischer Abwärtstrend. Darüber kann Sahra Wagenknecht nur müde lächeln. Für Details hat sie keinen Sinn. Man frage mal in den Reihen der Linkspartei in Berlin.


Jetzt also wird sich zeigen, ob das BSW eine echte Ein-Person-Partei ist, die sich an nordkoreanischen oder belorussischen Vorbildern ausrichtet. Oder wenigstens ein Mindestmaß an innerparteilicher Demokratie herrscht. Obsiegt Variante eins (und dafür spricht viel), dürfte das gerade in Thüringen der AfD in die Karten spielen, die sich der CDU gern als Junior-Partner für eine falsche bürgerlich-rechte Koalition andienen möchte. Die Höcke-Truppe als Retter des Landes. Schon wieder eine Horror-Vorstellung. Aber wie gesagt, mit Prognosen ist das so eine Sache.


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