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AutorenbildJost Springensguth

Das Zwischen-Ende der Bauernproteste – die Themen bleiben

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche


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Liebe Leserinnen und Leser,

 

die Umstände, unter denen die Menschen auf dem Lande leben und arbeiten, sind auch in den Köpfen vieler angekommen, die in den Städten einfach eine andere Lebenswelt haben. Das bekommt man dieser Tage in vielen Gesprächen mit, wenn es etwa um die Einkommen der Bauern geht. So nehme ich es auch in meinem privaten Umfeld wahr. Das Ganze ist schon differenziert zu betrachten – etwa nach Produkten, Hofgrößen, Investitionsfinanzierungen, Familienleistung und -einkommen. Das sind Parameter, die keine Pauschalurteile zulassen. Schon gar nicht, wenn man nicht so richtig weiß, wie ein bäuerliches Familienunternehmen in Ställen, auf Feldern und am Schreibtisch funktioniert. 

 

Statistiken haben generellen Charakter. Der Gesamtumsatz im Agrarbusiness ist nach einer EY-Studie im letzten Jahr um 12,2 Prozent gestiegen, die Kosten aber sind es auch. Die Autoren äußern auf der Kostenseite weiter „trübe Erwartungen“. Mal sehen, was 2024 mit den klimabedingten Folgen in den Statistiken bringen wird. Der Agrardiesel wird auch als Einzelposten in den Hofbilanzen zu sehen sein. Es geht aber um mehr als nur darum. Das sind unter anderem die erlebten und zu erwartenden politischen Vorgaben – mit Auflagen, Verordnungen, verpflichtenden Stilllegungen und dem, was Bauernpräsident Rukwied meint, wenn er sagt, dass „Ökoregeln an die Praxis“ angepasst werden müssen.

 

Das, was die Frauen und Männer aus der Landwirtschaft auf die Beine oder besser die Räder ihrer Traktoren gebracht haben, hat in Summe die Anliegen und Zukunftssorgen eines riesigen Berufsstandes zum beherrschenden Thema in Deutschland gemacht. Die Medienreflexion überstrahlte alles an Schlagzeilen, Nachrichten und Meinungen, was in diesen Wochen zur üblichen täglichen Agenda gehört. Da gibt es schon Themen genug, die wir nicht loswerden, etwa weil uns nun einmal Putins festgefahrener Krieg und das, was über den Nahen Osten hereingebrochen ist, auch innenpolitisch bindet – den Bundeskanzler allemal. Er hat sich in der Aktionswoche jedenfalls auffällig zurückgehalten. Scholz wird dann die Bühne betreten, wenn er am Mittwoch die Grüne Woche besucht. Erklären sollte er sich schon detaillierter zur Finanzpolitik und zum Anteil, den der Agrarbereich bei allen Einsparungen zu leisten hat. Wenn es zur abschließenden Haushaltsberatung im Plenum kommt, wird er sich schließlich erklären müssen und vielleicht mehr sagen, als nur seine Video-Aufforderung an die Protestierenden, „Maß und Mitte zu halten“, und vor einem „toxischen Gemisch“ zu warnen. Das war etwas wenig zur Sache.

 

Die Protestkolonnen fahren wohl weiter durchs Land

 

Zur Vorbereitung des finalen Beschlusses über den Haushalt 2024 hat sich in dieser Woche bis Donnerstagabend zunächst der zuständige Ausschuss durch das Sparpaket des Ampel-Kabinetts gequält. Die inzwischen politisch zugesagten Korrekturen an dem umstrittenen 17-Milliarden-Kabinettsbeschluss vom 20. Dezember letzten Jahres sind nun in die Etatplanung eingearbeitet worden. Dazu gehört die bekannte halbe Weihnachtsbescherung für die Landwirte. Die Teilrücknahme beim Thema Agrardiesel und Fahrzeugsteuern lässt die Bauern offensichtlich noch nicht ruhen. Sie wollen die Protestkolonnen weiterfahren lassen.

 

Vielleicht hängt das auch mit einem unveränderten Empfinden der Ungleichbehandlung zusammen. Jedenfalls wurde unter anderem die Streichung des Rückforderungsbeschlusses über 1,5 Milliarden gegenüber der Arbeitsagentur zurückgenommen. Sie war über den realen Bedarf hinaus mit Corona-Zuschüssen bedient worden. Gegen die Rückzahlungsforderung hat nur eine Dame protestiert, dafür aber in vollem Umfange wirkungsvoll. Das war Andrea Nahles, die Chefin der Nürnberger Agentur.

 

Für die Abgeordneten war es wohl nervenaufreibend, all das abzusegnen, was in den letzten Tagen über das Finanzministerium unter Zeit- und Gelddruck an korrigierenden Vorlagen in die parlamentarische Beratung geliefert wurde. Für die Mitglieder der Ampelfraktionen allemal, die dann mit ihren Stimmen den Haushalt beschlossen haben. Für den Chefhaushälter der Opposition, Christian Haase von der Union, war das alles „Flickschusterei“. Die am Mittwoch plötzlich aufgetauchten 6,3 Milliarden aus nicht genutzten Haushaltsrücklagen früherer Jahre haben die Lage dann doch entspannt. Erst einmal soll damit die Fluthilfe für das Ahrtal in Höhe von 2,7 Milliarden gesichert werden; der Rest stopft die verbliebenen Löcher. Das wird übrigens im Norden Daniel Günther nicht trösten. Er wird nicht müde, die Schadensbeteiligung des Bundes an den Hinterlassenschaften der jüngsten Sturmfluten an der Küste anzumahnen. Da ist aber weiter nichts zu erwarten.

 

Ein Blick auf Countryside-Alliance

 

Übrigens haben auch europäische Nachbarn im Auge, was in Deutschland derzeit für Unruhe sorgt. Da sind zunächst einmal die niederländischen Bauern, die mit ihren Protesten im letzten Frühjahr noch politischer geworden sind. Und über die EU hinaus stellt in Großbritannien Tim Bonner, der Sprecher der „Countryside Alliance“, in seinem Newsletter die Frage: „Will Britain follow German farmer protests?“ Wir schauen da immer wieder gerne mal rein. Er erinnert an die „geistige Heimat der Bauernproteste“ in Frankreich, auch an das, was in Holland und Spanien zu den Protesten führte. Er schreibt dann zu den notwendigen Veränderungen zur Sicherung der „Zukunft der Umwelt und des Planeten“: Bei diesen Beispielen seien die Regierungen davon ausgegangen, dass die Landwirtschaft das Problem und nicht Teil der Lösung sei.

 

Die Leistungsschau rund um Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau

 

Zurück zu dem, was im Blickpunkt steht: Bis Ende der kommenden Woche werden die Themen Ernährung, Landwirtschaft, Landleben und damit insgesamt die Politik für den ländlichen Raum schon kalendermäßig wieder in den Blickpunkt gerückt. Berlin lädt ein zur Grünen Woche, der internationalen Leistungsschau rund um Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau. Die Messe verspricht ihren Gästen Informationen über „moderne Land- und Ernährungswirtschaft, kulinarische Trends und nachhaltige Themen“ durch 1400 Aussteller aus 60 Ländern.


Foto: © Messe Berlin GmbH

Für Messechef Dr. Mario Tobias ist die Messe die beste Plattform, um die Debatte von der Straße zu holen“. Er begründet das damit, dass Berlin jetzt und in den nächsten Tagen zum Treffpunkt und Marktplatz nicht nur für Aussteller und Gäste aus unserer Region, sondern gleichermaßen für Politik, Verbände der Landwirtschaft und Ernährung, Medien und die Zivilgesellschaft werde. Ob die als politischen Höhepunkt geplante Agrarministerkonferenz mit 70 internationalen Ministerinnen und Ministern das Demonstrationsgeschehen der letzten Tage in den Hintergrund stellen kann, bleibt fraglich. Die bekannten Themen werden wieder zur Sprache kommen, zumal wenn es vor den Toren der Messe zu weiteren Protesten kommt.

 

Inhaltliches verspricht etwa dort die Dialogbühne der Land- und Ernährungswirtschaft, wie der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, ankündigt: „Wir werden auf der diesjährigen Grünen Woche den Menschen vermitteln, was nötig ist, um eine stabile und zuverlässige Versorgung mit hochwertigen heimischen Lebensmitteln in Deutschland zu erhalten.“ Das sind eben die Themen, die hinter Agrardiesel und Kfz-Steuern auf den Demonstrationen landesweit zur Sprache kommen.

 

Es ist wohl zu erwarten, dass die Verbandsspitzen die Sorgen in der Agrarwirtschaft über die Grüne Woche artikulieren, solange nicht andere Signale zur Zukunft auf dem Lande aus den Ampelreihen kommen. Zunächst einmal erschien es Ressortminister Cem Özdemir wichtig, noch in dieser Woche den Beschluss über das Programm „Gutes Essen für Deutschland“ als wohlmeinenden politischen Plan durch das Kabinett zu bringen. Zur Umsetzung bleibt uns wenigstens Zeit bis 2050 (!). Spätestens dann soll sich ganz Deutschland gesund ernähren. Der Teil, dass endlich weniger Lebensmittelabfälle weggeworfen werden, ist sicher gut. Die Menschen wollen auch zu 90 % gesund essen, wie eine Studie der Techniker-Krankenkasse ergab. Ob sie sich das Wie im Detail per Regierungsbeschluss auf die Speisepläne setzen lassen möchten, bleibt eine andere Frage. Nichts gegen Aufklärung. Bei den angestrebten Werbeverboten soll es aber bleiben. Das wird wohl auch auf der zitierten Dialogbühne auf der Grünen Woche kontrovers zur Sprache kommen. Die dort beteiligten Ernährungs- und Lebensmittelverbände haben ebenfalls unverändert andere Vorstellungen.

 

Mit diesem ausnahmsweise rein agrarorientierten Newsletter von „natur+mensch“ zu Themen der Politik und des ländlichen Raumes wünsche ich ein gutes Wochenende – insbesondere denjenigen unter den 300.000 Besuchern, die die Grüne Woche im Kalender stehen haben.

 

In diesem Sinne verbleibe ich

Ihr 

Jost Springensguth

Redaktionsleitung / Koordination

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