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  • AutorenbildFrank Polke

Der Glanz reicht nur bis zur Promenade

Der Tourismus gerade an den deutschen Küsten boomt. Doch hinter den oftmals schönen Kulissen ist die Lage für die Menschen eher bescheiden. Auch bisher gesunde Regionen müssen um den Anschluss ans Wachstum kämpfen


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Foto: Marco Barnebeck (Telemarco) / pixelio.de

Die Gründerzeit-Villen sind fein herausgeputzt, über die Promenade in Binz und Sassnitz auf der Insel Rügen flanieren Touristen. Urlaub an den Küsten in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein boomt gerade in diesem Jahr. Zuwachsraten von bis zu 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum freuen nicht nur die örtlichen Tourismusmanager und Gastronomen, sondern auch Vermieter von Wohnungen und Hotels. „Urlaub in Deutschland ist sehr attraktiv. Die Menschen wissen die Schönheiten der Regionen nicht nur an den Küsten zu schätzen, sondern auch die unkomplizierte Erreichbarkeit“, sagt ein Sprecher des Deutschen Tourismusverbandes. Nach den schweren Corona-Jahren tut das nicht nur den Bilanzen der Tourismusregionen gut, sondern dürfte auch dem ländlichen Raum insgesamt Auftrieb geben. 

 

Tourismus als wichtigster Wirtschaftszweig


Dennoch: Der Tourismus gerade in ländlichen Räumen wie im nördlichen Mecklenburg-Vorpommern, in Schleswig-Holstein und Bayern ist ein immer bedeutsamer werdender Wirtschaftszweig. Beispiel Mecklenburg-Vorpommern: Mit einem Bruttoumsatz von über 5,1 Milliarden Euro im Jahr und einem geschätzten Anteil von rund zehn Prozent am Primäreinkommen ist diese Branche ein überlebensnotwendiger Teil der Wertschöpfung. Bis zu 30 Prozent der Jobs hängen in diesem Bundesland direkt vom Geschäft mit den Urlaubern ab. Im Allgäu sind es sogar 65 Prozent.


Doch – und genau das ist das Problem – abseits der touristischen Hotspots dünnt der ländliche Raum immer weiter aus. Geringes Steueraufkommen, sinkende Bevölkerungszahlen, unattraktive öffentliche Angebote setzen eine Abwärtsspirale in Gang. Konsequenz: Junge Leute ziehen nicht nur mehr in der Urlaubssaison in die Hotspots an den Küsten, um Arbeit, buntes Leben und eine sehr gut ausgebaute Infrastruktur zu genießen. „Die gehen für immer nach Stralsund, nach Greifwald oder nach Rostock, um sich dort eine Existenz aufzubauen“, weiß ein örtlicher Regionalplaner. Die 35 Kilometer lange Pendelstrecke ist für viele kein Problem. Zurück bleiben die, die nicht gehen wollen. Oder die keiner haben will.


„Menschen fühlen sich nicht ernst genommen“


„Viele der Menschen, die in den ländlichen Räumen leben, fühlen sich nicht ernst genommen und schlichtweg abgehängt. Das ist eine fatale Entwicklung“, sagt zum Beispiel der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus, anlässlich einer Aktuellen Stunde zur Situation des ländlichen Raums in Schwerin. Der SPD-Politiker forderte verstärkte Investitionen in den ländlichen Raum. „Wichtige Förderschwerpunkte sind die Flurbereinigung, die Dorfentwicklung und die Schaffung und Sicherung von Schulen und Kindertagesstätten.“ Dabei ist die Diskrepanz zwischen rausgeputzten und pulsierenden Tourismus-Zentren und dem sogenannten „Hinterland“ nicht nur auf Mecklenburg-Vorpommern beschränkt. Auch Schleswig-Holstein, Bayern und Brandenburg kämpfen darum, Investitionen auch in bisher eher vernachlässigte Regionen zu locken. Das klappt manchmal gut – manchmal eher schlecht.


Doch der Sog der Gäste und Touristen in die touristischen Hochburgen sowie der Zuzug der Menschen in diese Städte und Regionen birgt auch Gefahren – gerade für die ortsansässige Bevölkerung, die sich seit Jahren einem harten Verdrängungswettbewerb auf dem heimischen Immobilienmarkt ausgesetzt sieht. Als Synonym für diesen Exzess bei Preisen für Wohnraum und Eigentum gilt einmal mehr die Insel Sylt, die von reichen Immobilienkäufern oder Investoren quasi aufgekauft worden ist. Aber auch auf Rügen werden Preise zum Beispiel für neu sanierte und renovierte Eigentumswohnungen im ehemaligen KdF-Komplex Prora von bis zu 8000 Euro pro Quadratmeter aufgerufen. Diese werden dann an solvente Kundschaft vermietet – für ein paar Wochen im Jahr. Oder als Spekulationsobjekt mit der Hoffnung, dass der Preisboom weitergeht. Keinen Platz finden die Menschen, die dort dringend nach Wohnraum suchen.

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