top of page
AutorenbildFrank Polke

Der Zug der Kraniche

Die Kraniche sind aktuell unterwegs auf ihren weiten Flügen vom Norden in den Süden. Die Routen verändern sich. Und einige bleiben gleich ganz zu Hause. Kraniche verändern ihr Navigationssystem


Beitrag anhören (MP3-Audio)

Foto: Thomas Förstermann / pixelio.de

Die Blicke der Vogelzähler gehen aktuell mit großem Interesse und Aufmerksamkeit in den Himmel. Überall in Deutschland beobachten die Experten, wie viele Kraniche sich aufmachen, um ihre Winterquartiere aufzusuchen. Und welche Routen angesichts der sich verändernden klimatischen Bedingungen die Tiere wählen. Besonders an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern herrscht aktuell großes Treiben am Himmel und in den Rastplätzen.


Allein auf der größten deutschen Insel, auf Rügen, haben freiwillige Vogelzähler 35.000 Kraniche gezählt, die an einem Wochenende für ihre Reise in die Winterquartiere dort Station genommen haben, um sich Reserven anzufressen und einen ersten Halt zu machen. „35.000 Tiere an einem Wochenende im Oktober, das ist schon eine ganze Menge“, berichtet Günter Nowald, Leiter des Kranichzentrums in Groß Mohrdorf bei Stralsund. Viele Tiere kämen aus Skandinavien, einige auch aus Polen. Doch über diese Route aus dem Osten wisse man eher wenig. Auch an der Darß-Zingster Boddenkette befinden sich 19 Schlafplätze.

 

Bruterfolg wieder zufriedenstellend


Zum ersten Mal seit gut zehn Jahren ist der Bruterfolg gerade im Nordosten wieder zufriedenstellend. Grund sind die relativ hohen Wasserstände in den Feuchtgebieten, die den Kranichen gute Plätze zum Brüten nutzen. Sie finden aufgrund der hohen Wasserstände zudem aktuell Schutz vor anderen Tieren und Menschen.


„Massenflugtage“ über vielen Regionen


Die vorpommersche Ostseeküste ist eines der größten Rastgebiete der Kraniche in Europa. Auf Rügen, auf der Insel Poel oder auch an der Boddenkette in Mecklenburg-Vorpommern machen die Vögel dann Halt, um sich dort ihre Energiereserven für den Weiterflug anzufressen. Die nächste Etappe führt die Tiere in der Regel weiter nach Süden, in der Diepholzer Moorniederung ist für viele der nächste Stopp. Auch über Hessen sind aktuell sehr viele Kraniche zu beobachten. Dort machen die Tiere vor allem Rast, wenn die Flugbedingungen schlecht sind. Bei Hochdruckwetter können Schaulustige dort regelrechte „Massenflugtage“ mitverfolgen. Ein Spektakel, ohne jeden Zweifel. Meist kann man nach Angaben von Vogelkundlern die Vögel in Hessen über den Flusstälern Ober-, Ost- und Mittelhessens und nachmittags oder abends sichten, da sie morgens von der Ostsee aus aufbrechen.


Die Kraniche können flexibel auf das Klima reagieren


Von dort geht der Flug der Kraniche weiter nach Nordostfrankreich in ein Gebiet zwischen Metz und Nancy, weiter in den Südwesten und über die Pyrenäen bis hin zur Region Extremadura in Westspanien. Dort bleiben die Tiere dann bis Mitte Februar, bis sie sich auf ihre Rückkehr in den Norden startklar machen.


Routen verändern sich


Doch genau dieser Zug, den die Kraniche seit Jahrhunderten im Herbst und im Frühling verfolgen, verändert sich aktuell in starkem Maße: Experten schätzen, dass schon jetzt 10.000 bis 30.000 Tiere den Winter ganz in Deutschland verbringen. Der Grund: Auch in hiesigen Rastregionen gibt es im Winter kaum länger geschlossene Frost- oder Schneedecken, die die Nahrungssuche erschweren oder ganz unmöglich machen. Konsequenz: Die Vögel finden somit auch in ihren Sommerregionen durchgehend Nahrung und sind nicht mehr gezwungen, den gefährlichen Flug in den Süden anzutreten. Und sie können flexibel reagieren.


Sollte es im Herbst oder Winter doch noch kalt oder schneereich werden und sollten sich die Flächen über längere Zeit schließen, können die Kraniche kurzfristig die „Winterflucht“ antreten. Doch das muss nicht immer notwendigerweise der Flug bis nach Spanien sein, sondern sie können in Frankreich oder Süddeutschland Regionen finden, wo es auch im Winter freie Äcker oder Felder gibt. Deutschland wird also weniger Transitroute, sondern sogar zunehmend zum Überwinterungsquartier. Die Menschen müssten dann verzichten auf den schönen Anblick der Kraniche am Himmel und ihren ganz besonderen Ruf, den viele im Februar als Vorboten des Frühlings deuten.

Comments


bottom of page