Die letzte Weihnachtsgans?
- Wolfgang Molitor
- 20. Dez. 2024
- 2 Min. Lesezeit
Die EU-Kommission will eine stärkere Position der Landwirte in der Lebensmittelkette – und Experten fordern eine höhere Besteuerung von Fleischprodukten

Kurz vor Weihnachten wird auch Ursula von der Leyen sentimental. Wenn sich in diesen Tagen Familien versammelten, „um Mahlzeiten zu teilen, werden wir an das Engagement der Bauern erinnert, die diese Momente am Tisch möglich machen“, sagt die EU-Kommissionspräsidentin. Süßer die Phrasen nie klingen.
Die EU-Kommission will also den Bauern helfen – etwa durch die Verpflichtung, künftig schriftliche Verträge zwischen Bauern und Abnehmern zu schließen statt wie bisher auch mündliche Absprachen abzunicken. Natürlich ohne neue Bürokratiehürden, verspricht der neue Agrarkommissar Christophe Hansen. Ob das gelingt? Weniger Bürokratie aus Brüssel, das steht nicht nur bei den Bauern seit langem vergeblich auf dem Wunschzettel.
In Brüssel spürt man immerhin, dass man den Bauern irgendwie entgegenkommen muss, um die Existenz vieler Betriebe zu retten – und die Stimmung. Die zum Teil gewalttätigen Proteste gegen die durch den Ukraine-Krieg hervorgerufenen höheren Kosten für Energie und andere Produkte zeigen zumindest auf dem Papier Wirkung. Doch das Misstrauen der Landwirte gegen die EU-Politik ist mit kleineren Erleichterungen nicht aufzufangen. Inzwischen wächst unter Bauern eine neue Sorge heran: Das Mercosur-Abkommen, das eine neue Freihandelszone mit mehr als 715 Millionen Menschen schafft, könnte allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz Europa mit billigen Produkten aus Übersee überschwemmen, weil sich die Konkurrenz nicht an die strengen europäischen Umweltauflagen halten müsse.
Umwelt und Landwirtschaft: Das ist und bleibt ein heikles Terrain unterschiedlicher wie gemeinsamer Interessen. Auf dem Weg in die Klimaneutralität warten noch viele Hürden. Der Thinktank Agora Agrar umreißt diese so: Die Emissionen müssen bei gleichzeitiger Erhaltung der Ernährungssicherheit gesenkt werden. Außerdem soll die Biodiversität (die verschiedenen Lebensformen in der Natur) vergrößert werden und trotzdem der Platz für den Anbau von Biomasse (alle organischen Stoffe pflanzlichen und tierischen Ursprungs, die als Energieträger genutzt werden) erhalten bleiben. Wie das gehen soll, ist für viele Bereiche noch ein Geheimnis.
Es braucht wirtschaftliche Anreize
Sicher ist nur: Neben politischem Druck braucht es vor allem eines: wirtschaftliche Anreize. Noch aber können selbst aufgeschlossene Landwirte einen spürbaren ökonomischen Nutzen durch die Transformation nicht erkennen. Es sind eher Nischenthemen, die Mut machen. Dass in für die CO₂-Speicherung wichtigen, wieder vernässten Mooren Pflanzen angebaut werden, die bei der Hausdämmung begehrt sind, ist da zwar ein gelungenes Beispiel, trifft aber die existenziellen Sorgen der allermeisten Nahrungsmittel-Betriebe nicht. Der Ruf der Wissenschaftler nach neuen Geschäftsmodellen geht da mangels wirtschaftlichen Alternativen oft ins Leere.
Wie die Aufforderung an die Verbraucher, ihre Ernährung grundlegend pflanzenbetont umzustellen, weil sich innerhalb der EU durch eine Halbierung des Konsums tierischer Produkte sowohl die Futtermittelimporte als auch die Flächen für den Futteranbau halbierten. Wie das gelungen soll? Klar, durch politischen Druck und das flankierende Drehen an der Preisschraube – etwa über eine höhere Besteuerung von Fleisch bei gleichzeitiger Verbilligung von pflanzlichen Produkten.
Mal sehen, ob das gelingt. Und die Gans oder das Käsefondue zu Weihnachten zur Ausnahme auf den familiären Speisezetteln werden. Ob Ursula von der Leyen in diesen festlichen Tagen auch daran denkt?
Komentáře