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  • AutorenbildFrank Polke

„Lieferengpässe bei Medikamenten treten leider schon seit Jahren auf“

Aktualisiert: 17. Mai

Interview mit der Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Regina Overwiening


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Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V., Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes der ABDA,  Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe
Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V., Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes der ABDA, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (Foto: ABDA)

In Deutschland gibt es immer weniger Apotheken. Das hat nicht nur Auswirkungen auf den Berufsstand, sondern auch auf die medizinische Versorgung und persönliche Beratung der Menschen vor allem im ländlichen Raum. Unser Mitarbeiter Frank Polke hat darüber mit der Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Regina Overwiening, gesprochen.

 

Frage: Immer mehr Apotheken in Deutschland schließen. Vor allem im ländlichen Raum ist das ein Problem. Stimmen diese Beobachtungen?


Overwiening: Das stimmt leider. Allein im vergangenen Jahr 2023 haben wir 500 Apotheken bundesweit verloren. Das ist so, als wenn alle Apotheken in ganz Thüringen auf einmal wegfielen. Den Abwärtstrend gibt es zwar schon seit einigen Jahren, aber er verstärkt sich immer mehr. Im kürzlich veröffentlichten Apothekenwirtschaftsbericht 2024 konnten wir nachweisen, dass durch die Schließungen seit 2018 mehr als zwei Millionen Menschen deutlich längere Wege bis zur nächsten Apotheke zurücklegen müssen. Und es sind eben oft die Menschen auf dem Lande, die unter immer größeren Entfernungen leiden.

 

Frage: Die Verbände fordern eine höhere Pauschale für die Abgabe rezeptpflichtiger Medikamente. Welche Erwartungen haben Sie diesbezüglich an die Politik?


Overwiening: Das Festhonorar von 8,35 Euro, das jede Apotheke für die Abgabe eines rezeptpflichtigen Arzneimittels bekommt, ist seit 2013 – also seit elf Jahren – nicht mehr erhöht worden. Zuletzt hat die Ampel-Koalition es sogar gekürzt. Zum Vergleich: Die Inflation seitdem liegt bei knapp 30 Prozent, die Tariflöhne in den Apotheken sind in diesem Zeitraum sogar um rund 40 Prozent gestiegen. Die Apotheken brauchen also dringend eine spürbare Anpassung und Dynamisierung ihres Honorars, um auch künftig überall in Deutschland die Arzneimittelversorgung aufrechterhalten zu können. Das gilt umso mehr in Zeiten von Personalnot und Fachkräftemangel. Von der Politik wünschen wir uns zunächst, dass sie

gemeinsam mit der Apothekerschaft tragfähige Lösungen erarbeitet, die zu einer Sicherung und Verbesserung der Versorgung unserer Bevölkerung führen.

 

Frage: Auf welche Szenerien müssen sich Patienten einstellen, wenn diese

Entwicklung weiter so verläuft wie jetzt?


Overwiening: Der Abwärtstrend wird leider nicht von alleine stoppen, sondern dazu braucht es die schnelle und massive Hilfe der Gesundheitspolitik. Die Verantwortung für den beschleunigten Rückgang liegt bei der Politik. Eine sinkende Apothekenzahl bedeutet immer längere Wege für Patientinnen und Patienten. Im Rahmen des Apothekenwirtschaftsberichts 2024 haben wir beispielsweise folgendes Szenario durchgerechnet: Bei fortschreitender Dynamik des Apothekenrückgangs in Höhe von plus zehn Prozent pro Quartal kommt man auf eine Gesamtzahl von rund 14.000 Apotheken in drei Jahren. Derzeit sind es immerhin noch etwas mehr als 17.000 Apotheken.

 

Frage: Ein weiteres Problem ist tatsächlich der teilweise Mangel an Medikamenten durch Probleme in der Lieferkette. Welche Beobachtungen machen Sie?


Overwiening: Lieferengpässe von lebenswichtigen Medikamenten sind leider schon seit Jahren ein riesiges Problem in Deutschland und treten insbesondere in den Apotheken vor Ort zutage. In der Lieferengpassliste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte stehen regelmäßig etwa 500 verschiedene Präparate. Die Apotheken sind also täglich mit viel Leidenschaft, Kompetenz und Organisationstalent dabei, diesen Mangel für die Patientinnen und Patienten irgendwie abzumildern und auszugleichen. Hier würde den Apotheken ein

Mehr an Entscheidungskompetenz helfen. Apothekerinnen und Apotheker müssen ihre pharmazeutische Expertise in der Versorgung freier und flexibler einsetzen können, um beispielsweise nicht lieferbare Präparate auszutauschen oder einen Ersatz gegebenenfalls sogar selbst herzustellen. Das Lieferengpassgesetz – kurz: „ALBVVG“ – der Bundesregierung aus dem Jahr 2023 hat jedenfalls noch keine sonderlich spürbaren Erfolge zu verzeichnen gehabt.

 

Frage: Hand aufs Herz: Würden Sie einem jungen Menschen heute noch raten, den Beruf des Apothekers zu erlernen und sich gegebenenfalls selbstständig zu machen?


Overwiening: Ich bin Apothekerin aus Überzeugung und übe diesen Beruf mit Liebe und Leidenschaft aus. Es ist ein erfüllender und inspirierender Beruf. Ich bin davon überzeugt, dass sich bestehende Probleme lösen und neue Herausforderungen meistern lassen. Die Lösungen liegen oft schon vor und müssen nur noch umgesetzt oder feingeschliffen werden. Die Apothekerschaft hat sich schon vor Jahren ein Perspektivpapier „Apotheke 2030“ selbst mit

auf den Weg gegeben – und da stehen viele wertvolle Konzepte drin, die gerade jüngeren Kolleginnen und Kollegen eine gute Perspektive bieten. Nehmen Sie das

Medikationsmanagement, das Impfen oder neue Pharmazeutische Dienstleistungen als Beispiele. Wenn Politik und Gesellschaft erkennen, welchen großen Nutzen die Expertise der Apothekerinnen und Apotheker für die Gesundheit der Menschen bringt, wird es die erforderliche Anerkennung für den Berufsstand und damit die Motivation für junge Leute zum Studium und zur Selbstständigkeit geben.

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