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  • Jürgen Muhl

„Mehr Respekt für den ländlichen Raum und die Landwirtschaft“

Aktualisiert: 27. Juni

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Peter Harry Carstensen im Interview. Der Politiker hat als MdB (1983 bis 2005) und danach als Ministerpräsident bis 2012 immer sein besonderes Augenmerk auf den ländlichen Raum, die Landwirtschaft und auch die Jagd gerichtet


Peter Harry Carstensen
Foto: KAS ACDP

Herr Carstensen, Sie sind in ganz Deutschland bekannt als Schleswig-Holsteiner durch und durch. Als Parlamentarier und als Ministerpräsident haben Sie ihre Heimat maßgeblich mitgeprägt. Und Sie sind – wie kann es auch anders sein – unverändert ein engagierter und politischer Mensch. Es liegt nahe, dass „natur+mensch“ dazu und zu Ihrer Passion der Jagd mit Abstand zu Ihrer Zeit als Regierungschef ein paar Fragen stellt. Dazu gehört natürlich erst einmal ein Blick in die aktuelle Landespolitik: Wäre es nicht aus Ihrer Sicht und mit Blick auf die Interessenlage der CDU nicht doch besser gewesen, mit der FDP statt mit den Grünen eine Koalition einzugehen?


Carstensen: Ich habe mit der FDP außerordentlich gut zusammen gearbeitet. Das war produktiv und nützlich für das Land. Die Grünen zeigen sich insbesondere im Bund als missionarische Eiferer. Wir brauchen aber mehr Sachverstand und Lebenserfahrung in der Politik. Ich halte im Bund nichts von einer Zusammenarbeit mit den Grünen. Im Land ist anders entschieden worden. Daniel Günther kann das und ich habe das zu akzeptieren.


Geht der ländliche Raum in der großen Politik unter? Im Deutschen Bundestag findet er kaum noch statt.


Carstensen: Als ich 1983 in den Bundestag kam, plakatierte der Bauernverband an den Straßen „Einer ackert und fünfzig werden satt“. Heute versorgt ein Ackersmann nahezu 200, die satt werden. Das heißt aber auch, dass heute einer aus der Landwirtschaft zu Wahl geht und 200 andere, die nicht viel mit Landwirtschaft und ländlichen Raum zu tun haben. Der ländliche Raum und die Landwirtschaft benötigen viel, viel mehr Respekt. Es wird nicht nur vergessen, dass wir unsere Nahrungsmittel von Landwirten in noch nie da gewesener Qualität und zu noch nie da gewesenen niedrigen Preisen und in absolut genügender Menge erhalten.


Der ländliche Raum sorgt auch noch für Ausgleichsmaßnahmen. Er sorgt für Erholungsgebiete. Er sorgt für die Infrastruktur und Hinterlandanbindung. Er sorgt für gute Luft und Verbesserung des Klimas.

 

Mir war es eine Freude, dass die Demonstration der Bauern endlich einmal darauf hingewiesen haben. Und ich habe mich sehr über ein Plakat gefreut, auf dem stand: „Sie säen nicht, sie ernten nicht, aber sie wissen alles besser“. Das ist auf den Punkt gebracht.


Zum Thema Bauern-Demos: War das ein Strohfeuer oder verändert sich gerade etwas? 


Carstensen: Es war mehr als ein Strohfeuer. Viele in der Politik, beim Bund und in Europa haben wohl verstanden, dass der ländliche Raum und die Landwirtschaft eine viel wichtigere Funktion haben, als bisher gedacht.


Moderne Landwirtschaft, über die so gerne geschimpft wird, hat so außerordentlich viel geleistet. Sie hat nicht nur die Menschen in unserem Land satt gemacht sondern auch dafür gesorgt, dass der Zuwachs der Menschen auf der Welt – seit 1950 sind das über 5 Milliarden – ernährt werden konnte. Die Zahl der Hungernden auf dieser Erde, die immer noch viel zu hoch ist, ist seit Jahrzehnten nicht gestiegen, aber der Zuwachs der Erdbevölkerung konnte ernährt werden. Das ist eine Leistung, auf die Landwirtschaft stolz sein kann.


Der Ministerpräsident von Hessen hat im Ressortzuschnitt seines Kabinetts Landwirtschaft und Umwelt getrennt. Ist das eine Entscheidung von gestern oder eine mit Zukunft?


Carstensen: Ich habe damals die beiden Ressorts zusammengeführt. Die Entscheidungen in Hessen habe ich nicht zu bewerten. Aber der Ministerpräsident hat als Chef des Kabinetts dafür zu sorgen, dass Umwelt- und Agrarpolitik in einem vernünftigen Verhältnis zueinanderstehen. Wie ich ihn kenne, wird er das wohl auch erreichen können.


Sie hatten stets einen guten Draht zur ländlichen Bevölkerung. In den politischen Diskussionen kommt aber der ländliche Raum zu kurz, ja, er wird schon gern einmal vergessen. Was kann man dagegen tun?


Carstensen: Der ländliche Raum wird inzwischen von mehr geprägt, als nur von der Landwirtschaft. Ein gesunder Strukturwandel in der Landwirtschaft setzt voraus, dass auch andere Arbeitsplätze im ländlichen Raum geschaffen werden. Ich kann nur empfehlen, sich intensiv mit den Menschen im ländlichen Raum an den Tisch zu setzen, um Verbesserungen zu erreichen.


Mein Landwirtschaftsminister Christian von Boetticher hat seinerzeit die „Aktivregionen“ in Schleswig-Holstein als Förderregionen eingeführt. Wir haben den Menschen mit ihrer Kenntnis vor Ort eher zugetraut, für Verbesserungen zu sorgen, als wir es in Kiel in der Ferne von den Schreibtischen aus hätten leisten können.


 

In der nächsten Woche erscheint am Dienstag in unserem Blog „natur+mensch“ der zweite Teil dieses Interviews. Dann stehen Fragen zur Jagd und zur aktuellen Jagdpolitik im Mittelpunkt.


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