top of page
AutorenbildChristoph Boll

Myxomatose bedroht Meister Lampe

Die Niederwildjäger kennen leidvolle Jahre. Nun droht eine neue Tierseuche ihre Hegebemühungen zunichtezumachen


Beitrag anhören (MP3-Audio)

Hase mit Myxomatose
Foto: LJV NRW

Die Krankheit ist bei unseren heimischen Wildkaninchen seit langem bekannt: Myxomatose. Mit Mortalitätsraten bis zu 90 Prozent mancherorts ließ sie die Vorkommen nahezu komplett erlöschen. Bei Feldhasen wurde sie vereinzelt in einigen Ländern Europas festgestellt. Erstmals grassiert diese verheerende Krankheit auch bei uns. Seit einigen Wochen bedroht die Myxomatose in NRW Meister Lampe – und das in seuchenhaftem Umfang. Sie droht ihm den Todesstoß zu versetzen. Die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter (CVUÄ) haben eingesandte verendete Tiere analysiert. Ihre Diagnose ist eindeutig. Gesichertes Bild- und Probenmaterial dokumentiert die Fälle. Es dürfte sich um die ersten Nachweise der Erkrankung bei Feldhasen in Deutschland handeln.


Ausgangspunkt der Entwicklung war der Kreis Wesel. Dort bemerkten aufmerksame Jäger die Erkrankung der Langohren. Schnell waren ausgehend vom Niederrhein auch die Kreise Borken, Kleve, Krefeld und Bottrop betroffen. Innerhalb von Tagen folgten Coesfeld, Viersen, Recklinghausen und Steinfurt. Der Seuchenzug macht sehr wahrscheinlich, dass er bald den Osten des Bundeslandes und Niedersachsen erreichen wird.


Erste Ausbrüche bei Hauskaninchen vor über 100 Jahren in Uruguay


Auslöser der Myxomatose ist ein Virus aus der Familie der Pockenviren. Erste Ausbrüche der Krankheit wurden 1896 in Uruguay bei Hauskaninchen dokumentiert. Das brasilianische Waldkaninchen, auch Tapeti oder Baumwollschwanzkaninchen genannt, gilt als der natürliche Wirt des Virus. Es zeigt nach einer Infektion kaum Krankheitsanzeichen, nämlich ausschließlich reaktionslose Pockenknoten unter der Haut. 1952 wurde das Myxomavirus vorsätzlich nach Frankreich und Australien gebracht, um die dortigen Wildkaninchenpopulationen zu reduzieren. Das war im Nachgang betrachtet eine ebenso erfolgreiche wie dumme Idee. Das Virus breitete sich rasch in ganz Europa aus, wo fast jedes infizierte Wildkaninchen an der Infektion verendete und die Gesamtpopulation um etwa 99 Prozent zurückging. In den folgenden Jahrzehnten erholten sich die Besätze durch Anpassungsprozesse zwischen Virus und Wirt. Es kam zu einer genetischen Resistenzentwicklung. Einzelne Populationen bauten eine Immunität auf und die kursierenden Virusstämme schwächten sich generell ab.


Beim Feldhasen gab es bisher nur sehr selten Myxomatose-Nachweise, etwa in Frankreich und Irland in den 1950er Jahren und 2014 in Großbritannien. Die infizierten Mümmelmänner wiesen aber keine oder nur schwache Krankheitsverläufe auf. Ganz anders zwischen Juli und September 2018 beim Iberischen Feldhasen in Spanien, wo die Krankheit schnell in die angrenzenden Gebiete übergriff und mehr als die Hälfte der infizierten Tiere verendete. Die Merkmale der Infektion unterschieden sich deutlich von jenen bei erkrankten Kaninchen: knotige Veränderungen um Maul, Nase, Genital und After, jedoch nicht um Augen und Ohren wie bei Kaninchen. Weiterhin kam es zu Ödemen und Blutungen in inneren Organen, besonders der Lunge. In umfangreichen Forschungen wurde eine neue Variante des Myxomavirus als Auslöser ermittelt.


Herbstliche Treibjagden in Niederwildrevieren werden bereits abgesagt


In einer Kooperation der landeseigenen Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung (FJW), der CVUÄ und des Friedrich-Loeffler-Instituts wird nun in NRW ebenfalls fieberhaft daran gearbeitet, festzustellen, ob es sich auch dort um einen neuen Virustyp handelt. Derweil sagen bereits zahlreiche Jagdrevierinhaber die herbstlichen Treibjagden ab. Sie folgen damit Hinweisen der FJW-Leiterin Dr. Luisa Fischer und einem Aufruf von Nicole Heitzig, der Präsidentin des Landesjagdverbandes. Denn in der modernen Agrarlandschaft haben bereits Junghasen nur geringe Überlebenschancen. Eine Seuche allerdings, die vor allem erwachsene Hasen befällt und dezimiert, kann schnell Besatz bedrohend werden, so Fischer. Jeder möchte vermeiden, dass wie in Spanien in den Jahren nach dem Seuchenausbruch die Jagdstrecken des Hasen um bis zu 60 Prozent zurückgehen.


Übertragen wird das Virus durch Stechinsekten sowie Körperflüssigkeiten. Da im Jahresverlauf die Populationsdichte des Wildes im Spätsommer am höchsten ist und dann auch – klimatisch bedingt – die Hauptsaison der Stechinsekten ist, häufen sich die Myxomatose-Ausbrüche in unseren Breiten in den Monaten August und September. Auch wenn die Mückensaison mit einer länger anhaltenden Kälteperiode ein sehr baldiges Ende finden sollte, wird die Bejagung des Hasen in den betroffenen Gebieten allenfalls nach genauer Ermittlung der aktuellen Bestandssituation erfolgen können.


Hoffnung auf die Bildung von Antikörpern


Hase mit Myxomatose
Foto: LJV NRW

Der eindringliche Aufruf des LJV jedenfalls ist mehr als deutlich: In Regionen, in denen die Myxomatose nachgewiesen wurde, sollte auf eine Bejagung verzichtet werden, um der verbliebenen Feldhasenpopulation zu ermöglichen, sich entsprechend zu erholen. Feldhasen in betroffenen Revieren, die es geschafft haben, eine Infektion zu überstehen, verfügen damit sehr wahrscheinlich über entsprechende Antikörper gegen das kursierende Virus. Dies ermöglicht ihnen, auf einen erneuten Myxomatose-Ausbruch mit einer gezielten Immunreaktion zu reagieren und somit nicht zu erkranken. Da das Virus über den Winter in den Überträgern und der Umwelt überdauern kann, ist jeder Feldhase mit einem „geschulten“ Immunsystem wichtig, um die Population für die kommenden Jahre zu sichern! Nur wenn die Feldhasen genug Zeit haben, sich mit dem Virus auseinanderzusetzen, können wir auf eine Resistenzentwicklung ähnlich zu der der Wildkaninchen hoffen.


In Revieren, in denen die Myxomatose kursiert, sollte ebenfalls auf die Hundearbeit verzichtet werden, um die Feldhasen nicht unnötig zu beunruhigen (Stress wirkt sich negativ auf das Immunsystem aus). Auch sollte kein Wild aus Gebieten mit Feldhasen-Myxomatose in andere Reviere gebracht werden, da das Virus sonst in bisher nicht betroffene Bereiche eingeschleppt werden kann. Wichtig ist zudem, möglichst alle toten Hasen einzusammeln und keinesfalls in der Natur zu belassen oder zu vergraben. Das Virus ist nämlich sehr widerstandsfähig, besonders gegenüber Kälte, und kann sieben Monate in der Umwelt aktiv bleiben. Deshalb gehen die Empfehlungen so weit, bei der Entsorgung der Kadaver auf Hygiene zu achten sowie Schuhe gründlich zu reinigen und zu desinfizieren.

Comments


bottom of page