Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche
Liebe Leserinnen und Leser,
von wegen beginnende politische Sommerpause. Diese Woche wurde in Berlin und Brüssel hinter den Kulissen heftig um Geld und künftiges Spitzenpersonal gerungen. Die Staats- und Regierungschefs der EU müssen nach der Europawahl zentrale Posten in der Union neu vergeben. Das verlief im ersten Durchgang leider nicht so reibungslos wie von vielen erhofft, auch wenn sich etwa Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weiter begründete Hoffnung auf ein Verbleiben im Amt machen darf. Derweil versuchen die Spitzen der Ampelkoalition, Eckpunkte für den neuen Haushalt festzulegen. Es könnte sich um den letzten Versuch handeln, dieses bei der Europawahl so arg gebeutelte Bündnis vor dem endgültigen Aus zu bewahren.
Wie bedeutsam Vorgänge gerade in Brüssel sein können, zeigt exemplarisch die jüngste Verabschiedung des umstrittene Renaturierungsgesetzes durch die Umweltminister der EU, nachdem bereits zuvor die Abgeordneten des Europaparlaments zugestimmt hatten. Künftig sollen mehr Bäume gepflanzt, Moore und Flüsse in ihren natürlichen Zustand zurückversetzt werden. Das Gesetz verpflichtet EU-Länder, bis 2030 mindestens je 20 Prozent der geschädigten Flächen und Meeresgebiete wiederherzustellen und bis 2050 alle bedrohten Ökosysteme. Kritik an dem Gesetz gibt es insbesondere aus der Landwirtschaft, wie wir auch in unserem Blog mehrfach thematisiert haben. Die Bauern fürchten um Anbauflächen, die sie unter anderem für die Erzeugung von Lebensmitteln benötigen. Für die Ausgestaltung des Gesetzes sind wie üblich die Länder zuständig. Das dürfte vielerorts – auch in Deutschland – noch für einigen Konfliktstoff mit den Betroffenen sorgen.
Alle Bürger sind betroffen
Die Auswirkungen der aktuellen Verhandlungen in Berlin und Brüssel werden für jeden einzelnen Bürger spürbar sein. Denn es stehen Entscheidungen von weitreichender Bedeutung für Wirtschaft und Sicherheit an – man denke nur an die Stichworte Ukrainekrieg und Klimakrise. Dies gilt nicht zuletzt für den ländlichen Raum, wo aber auch ganz andere, etwa jagdliche und landwirtschaftliche Probleme eine herausragende Rolle spielen. Wie eng gerade diese beiden Themen zusammengehören können, zeigt sich wieder einmal bei den Stichworten Wolf und Gänsejagd.
So wurde jetzt im niedersächsischen Munster ein Wolfsriss in einem Mufflon-Gehege bestätigt. Das Wildgatter war seinerzeit zur Absicherung auf eine Höhe von 2,20 Meter gebracht und im oberen Bereich mit Stacheldraht sowie zwei Stromlitzen versehen worden. Damit wurde noch über die Richtlinie des Landes hinausgegangen, deren Einhaltung die Bedingung für Entschädigungszahlungen ist. Zudem wurden Gitter zum Schutz in den Boden eingegraben, um ein Eindringen von unten zu verhindern. Der Zaun könne weder mit einem einzelnen Sprung überwunden noch untergraben werden, hieß es seinerzeit in der örtlichen Presse.
Doch jetzt hat es ein „Kletterer“ offenkundig geschafft, sich am Zaun hochzuziehen und auf die andere Seite zu gelangen. Sollte sich diese „Technik“ unter Wölfen verbreiten, droht dies zu einem größeren Problem zu werden. In jedem Fall zeigt der Vorgang, dass die bisherigen Schutzmaßnahmen auf Dauer nicht ausreichen könnten. Zu Recht sind insbesondere die Weidetierhalter wegen der ungehemmten Ausbreitung der Wölfe alarmiert. Die Politik sollte im Sinne dieser Naturnutzer wirksame Maßnahmen ergreifen.
In Schleswig-Holstein kommt die Landesregierung jetzt den Wünschen der Bauern nach und will den Abschuss von Grau- und Nonnengänsen deutlich erleichtern. Hintergrund ist zunehmender Wildschaden, der für die Landwirte nach Angaben von Agrarminister Werner Schwarz zum Teil existenzbedrohend sei. Künftig soll die Jagd auf Graugänse bereits einen Monat früher zum 1. Juli beginnen dürfen und dann wie bisher bis Ende Januar dauern. Bei der Nonnengans will der CDU-Politiker den Abschusszeitraum sogar um anderthalb Monate ausdehnen, und zwar von Mitte Januar bis Ende Februar. Der Beginn bleibt mit Anfang Oktober gleich. Bei Nonnengänsen bleiben Vogelschutzgebiete von einer Schusserlaubnis ausgeklammert, während es bei Graugänsen keine Einschränkung gibt.
Grüne nicht mehr zuständig
In den vergangenen zwei Legislaturperioden, als die Landwirtschaft noch mit Umwelt unter grüner Leitung in einem Ressort zusammengefasst war, hatten die Bauern mit ihren Forderungen nach einer leichteren Bejagung bei der Koalition kein Gehör gefunden. Nach den deutlichen Zugewinnen der CDU bei der letzten Landtagswahl ist der Ökopartei nur noch die Zuständigkeit für Umwelt geblieben.
Die schleswig-holsteinischen Grünen lehnen die von der Union geplanten Änderungen strikt ab und beklagen eine mangelnde Abstimmung innerhalb der Koalition. Das grün geführte Umweltministerium will seine Auffassung jetzt in der formellen Anhörung Betroffener zur Verordnung einbringen. Die Änderung kann erst nach einer solch üblichen Anhörung final verabschiedet werden.
Der Vorsitzende des Bauernverbandes, Klaus-Peter Lucht, bezeichnete die geplante Verlängerung der Jagdzeiten als das Mindeste, was geschehen müsse, um die Fraßschäden in der Landwirtschaft einzudämmen. Im Übrigen gefährde die Überpopulation die Gesundheit der Tiere, wie die zahlreichen Geflügelpestfälle bei den Wildgänsen gezeigt hätten. Außerdem würden durch die Gänse andere, für die Artenvielfalt bedeutsame Vogelarten verdrängt. Um alldem und den Schäden der Landwirtschaft entgegenzuwirken, seien weitergehende Maßnahmen erforderlich, wie etwa eine Reduzierung der Gelege.
Derweil sorgen sich viele Landwirte in diesen Tagen wieder um das neuerliche Auftreten der Afrikanischen Schweinepest ASP. Nachdem es bereits Anfang des Monats einen ASP-Fall in einem Schweinemastbetrieb im Landkreis Vorpommern-Greifswald gegeben hatte, ist die gefährliche Tierseuche nun auch in Hessen nachgewiesen worden. Das betroffene Wildschwein war nah einer Landstraße südlich von Rüsselsheim im Landkreis Groß-Gerau gefunden worden.
Jäger sollen besonders wachsam sein
Die zuständigen Behörden arbeiten mit Hochdruck daran, die Tierseuche auf ein möglichst kleines Gebiet einzudämmen. Auch im benachbarten Rheinland-Pfalz und in anderen Bundesländern zeigt man sich zunehmend besorgt. So rief etwa das NRW-Agrarministerium vor allem Landwirte und Jäger dazu auf, weiterhin besonders wachsam und vorsorgend zu agieren. Das Auftreten der Tierseuche im südlichen Teil von Hessen zeige, wie hoch die Gefahr der Einschleppung sei. Nur gemeinsam könne man das Verbreiten der Seuche verhindern.
Wie wichtig eine funktionierende Landwirtschaft für das soziale Leben in den Dörfern ist, hat die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Silvia Breher diese Woche treffend in einem Interview mit dem Bremer Weser-Kurier beschrieben: „Wenn der Bauer nicht mehr da ist, dann hast du niemanden mehr, der vor Ort in der Feuerwehr aktiv ist, der beim Osterfeuer mit dem Schlepper Holz zusammenfährt, der im Sommer bei einer Müllsammelaktion des Dorfes den Anhänger zur Verfügung stellt und die Tannenbaumaktion des Gemeindejugendrings unterstützt.“ Nur wo Wirtschaft funktioniere, sei auch Geld für Soziales und Engagement fürs Ehrenamt möglich, betonte Breher, die auf einem Bauernhof im Oldenburger Münsterland aufgewachsen ist und für das Landvolk als Juristin tätig war. Deshalb gehöre Wirtschaft zwingend in den ländlichen Raum. „Der ist nicht nur Naherholungsgebiet und das gute Umweltgewissen für Städter.“ Recht hat sie.
Ich wünsche Ihnen eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen
Ihr Jürgen Wermser
Redaktionsleitung/Koordination
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