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Protestieren die Landwirte im Winter erneut?

  • Christian Urlage
  • 16. Juli 2024
  • 3 Min. Lesezeit

Die Ampelkoalition lobt ihr Agrarpaket, doch die meisten Bauern sehen weder einen Bürokratieabbau noch spürbare Entlastungen. Im Bauernverband gibt es daher Befürworter erneuter Proteste


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Bauernprotest
Foto: doosenwhacker

Als im Januar tausende Landwirte wochenlang mit ihren Traktoren lautstark protestierten, hat das in der Öffentlichkeit und bei Politikern Eindruck hinterlassen – und Wirkung gezeigt. Vordergründig ging es den Bauern um Änderungen beim Agrar-Diesel, doch das war längst nicht der einzige Grund für ihre Unzufriedenheit.


Inzwischen hat die Regierung zwar mehrere Maßnahmen zurückgenommen, aber zufrieden ist der Deutsche Bauernverband mit dem Agrarpaket nicht: Es sei „Lichtjahre von dem entfernt, was wir als Landwirte an Entlastungen brauchen“, kritisierte Verbandspräsident Joachim Rukwied im ZDF-Morgenmagazin und sprach von einem „Päckchen“. Nicht nur Rukwied fühlt sich von der Ampel-Koalition unverstanden.


Das Agrarpaket sieht vor, die Weidetierhaltung auf Grünland zusätzlich zu fördern und die Pflicht zur Flächenstilllegung für drei weitere Jahre auszusetzen. Einige Melde- und Aufzeichnungspflichten werden zurückgenommen. Unlautere Handelspraktiken wie das Zurückschicken nicht verkaufter Produkte vom Handel ohne Zahlung des Kaufpreises sollen unterbunden werden. Vorgesehen ist auch, dass die Landwirte kleinerer Betriebe ihre Einkünfte aus guten und schlechten Jahren steuerlich besser verrechnen können und sich durch diese Tarifglättung wetterbedingte Schwankungen bei Gewinnen und Verlusten ausgleichen lassen. Allerdings profitieren davon nicht die großen ostdeutschen Betriebe, die als „juristische Personen“ gelten.


Die Grünen sprechen vom „Zukunftspaket“ – Experten wollen Nachbesserungen


Während die Grünen das Agrarpaket sogar als „Zukunftspaket“ vermarkten wollen, forderten Experten in einer Anhörung im Bundestag deutliche Nachbesserungen. Albert Stegemann, der agrarpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, nannte es „besonders dreist“, dass Landwirtschaftsminister Cem Özdemir versuche, die von der EU beschlossenen Vereinfachungen für Landwirte als eigenen Erfolg zu verkaufen, obwohl gerade die Bundesregierung die EU-Vorschläge zur Entlastung beim Ministerrat nicht mitgetragen habe. Auch Bernhard Forstner, Agrarökonom am Institut für Betriebswirtschaft des Thünen-Instituts, hält das Entlastungspaket nicht für den großen Wurf, wie er dem Portal „web.de“ sagte. Beim Bürokratieabbau sei mehr drin.


Die Landwirte beklagen eine Regulierungswut, weil sie heute Daten an staatliche Stellen gleich mehrfach und zu unterschiedlichen Zeitpunkten melden müssen. Das gilt auch für die geplanten Änderungen im Düngerecht, die der Bauernverband als Bürokratiemonster ansieht. Ein entsprechendes Gesetz der Ampelkoalition, Anfang Juni im Bundestag beschlossen, scheiterte im Bundesrat am Widerstand der Länder.


Agrarminister Özdemir zeigt sich selbstkritisch


Die Ministerpräsidenten von Brandenburg und Hessen, Dietmar Woidke (SPD) und Boris Rhein (CDU), lehnten es ebenso ab wie Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU). Geplant war, die hohe Nitratbelastung im Grundwasser zu senken; damit sollten EU-Vorgaben umgesetzt werden. „Wenn die Ampel Bürokratieabbau tatsächlich ernst nimmt, dann hätte sie dieses Gesetz so nicht verabschieden dürfen“, kritisierte der Agrarexperte der Union, Stegemann, das Scheitern des Düngegesetzes.


Bemerkenswert ist, dass auch Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus (SPD) vor einer anhaltenden Unzufriedenheit vieler Landwirte warnt. Und Kritik an den Vorschlägen aus den Fraktionen der Ampel-Koalition kommt. Gut möglich, dass es im Herbst oder Winter weitere Proteste des Bauernverbandes gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung geben wird.


Landwirtschaftsminister Özdemir bekommt derweil auf seiner Sommertour den Unmut der Landwirte zu spüren. Sie fühlen sich von dem Grünen-Politiker im Stich gelassen. Die Berliner Politik, so muss er sich zum Beispiel im Osten Niedersachsens anhören, vernachlässige die Bauern und die Probleme auf dem Land. Immerhin zeigt sich Özdemir selbstkritisch. „Die Grünen werden traditionell stärker als Partei der Universitäts- und Großstädte wahrgenommen“, wird er in der „Frankfurter Allgemeinen“ zitiert. „Wahrscheinlich haben wir hier und da dazu beigetragen, dass das so ist.“

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