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AutorenbildJost Springensguth

Tage der politischen Erschütterungen – Blick auf die neue Lage

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick auf diese Woche

Wochenkolumne von Jost Springensguth

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Liebe Leserin, lieber Leser,


der Mittwoch dieser Woche begann für uns mit der Erschütterung beim Blick auf die USA, endete mit der Zerrüttung der deutschen Regierung. Das lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass die aktuellen politischen Entwicklungen auch in engeren Zusammenhängen zu betrachten sind. Die Amerikaner haben gewählt, wir werden Ende Januar oder Ende März abhängig von der Vertrauensfrage des Kanzlers auch wieder zur Wahl gehen. Und in der EU nehmen unsere Themen Konturen an: ein Agrarkommissar mit neuen Ansätzen?


Habe ich`s doch gewusst“, sagen die einen. Andere wollten nicht daran glauben und reiben sich die Augen, wie ein Parolen-Wahlkampf mit großem Anteil falscher Aussagen, ja sogar Lügen und offensichtlich nicht einhaltbaren Versprechen zum Erfolg führen kann. So haben wir aus unserer Perspektive die USA am Mittwochmorgen unserer Zeit wahrgenommen. Der Tag begann mit der Erschütterung jenseits des Atlantiks und endete dann am Abend in Deutschland mit dem Bruch unserer Ampel. Hoffentlich bleibt uns im nun nah bevorstehenden Wahlkampf weitgehend das erspart, was wir beim Blick auf Amerika als Land der ersten modernen Demokratie (seit 1776) in den letzten Wochen an Polarisierungen und populistisch-taktischen Auswüchsen erleben mussten.


Im Fokus unserer direkten Betroffenheit steht erst einmal, was in Berlin passiert ist – und was nun daraus wird. Das Ausmaß der wohl schon länger anhaltenden Zerrüttung innerhalb der deutschen Regierung ist nach vielen und langen Gesprächen hinter verschlossenen Türen plötzlich sichtbar geworden. Jeder wusste schon lange: Da ist in der Ampel richtig Druck im Kessel, aber irgendwie wollen die durchhalten. Das galt besonders für den Kanzler. Das Maß des Ausbruchs mit bisher nicht erlebten auch ins Persönliche gehenden Schuldzuweisungen zwischen ihm und seinem bisherigen Finanzminister offenbart, wie tief und wie weit zurückliegend der Stachel zwischen den Koalitionsköpfen gesessen haben muss.


Treibende Kraft aus der Wirtschaft


Die Regierungskrise der Ampel war für viele Beobachter länger absehbar. Dann hat Lindner mit seinem von wem auch immer durchgestochenen Papier den Stein ins Rollen gebracht. Aus dem Kreis von Familienunternehmern oder vom Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf war zu hören, dass darin viele Bedenken und Wünsche aufgegriffen wurden, die von Seiten der Wirtschaft beim letztlich umstrittenen Gipfel der FDP in der Berliner Fraktion angesprochen worden seien. Der Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, sprang dem FDP-Chef in den letzten Tagen zur Seite. In Unternehmerkreisen sprach man schon in der Vorwoche von einer potenziellen Scheidungsurkunde; wie einst von Lambsdorff zum Ende der sozialliberalen Koalition 1982, die dann zur „Bonner Wende“ unter Kohl führte. Die Scheidung ist nun offiziell. Fuest hält inzwischen das Ampel-Aus zwar für „nicht schön, aber richtig“. Lindner sah in seinem Papier unter anderem vor, sich erst um den Klimaschutz zu kümmern, wenn die großen Wirtschaftsthemen wieder auf dem Gleis sind. Der „Sonderweg Klimaschutz“ zwinge deutsche Unternehmen in die Knie. Nebenbei bemerkt, hat das viel mit Wirtschaftszweigen zu tun, die im ländlichen Raum verortet sind.


Zu diesem Komplex sind nun wieder wohl noch andere Töne aus Washington zu erwarten. Wir erinnern uns an den Umgang Donald Trumps mit den Themen Klima, Energie und Nachhaltigkeit. Das wird nicht isoliert zu betrachten sein, wenn er erneut aus internationalen Klimaschutzverpflichtungen wieder austritt. Auch international wird der Wind für Robert Habeck und seine Mission damit rauer. Der bleibt dabei: „Ohne Klimaschutz keine Wirtschaftswende“. So will er für die Grünen als Kanzlerkandidat antreten. Mal abwarten, was daraus wird, und wir lassen das einfach mal so stehen. Bei uns weiß jeder, dass dieses Thema für alle auf der Agenda steht und wie wichtig es ist. Nur wie schnell die Ziele zu erreichen sind, bleibt kontrovers. Auch daran ist die Ampel zerbrochen.


Unser Blick richtet sich weiter auf die Themen des ländlichen Raumes


Wir wollen uns ersparen, auf die Ampel-Vergangenheit weiter einzugehen. Unser Blog, der die Politik in ihren Auswirkungen auf die oft vergessenen unmittelbaren Belange des ländlichen Raumes beleuchtet, wird sich in den täglichen Beiträgen auf die entsprechenden Inhalte weiter konzentrieren.


Beim Blick in Statistiken und Zahlen fällt auf, wie unterschiedlich das Wählerverhalten in Stadt und Land ist. Bei den vielen Fernsehsendungen der letzten Tage erinnern uns die Charts aus den USA an das, was wir auch bei uns erlebt und weiter zu erwarten haben. Das Wahlverhalten bei den letzten Landtagswahlen offenbart auch bei uns große Unterschiede in den politischen Einstellungen zwischen Stadt und Land. Das wird sich fortsetzen. Die noch offenen Regierungsbildungen in Potsdam, Dresden und Erfurt werden mit all ihren Schwierigkeiten in den Bundestagswahlkampf strahlen. Auch das werden wir im Auge behalten. Nach Einschätzung unseres Autors Frank Polke, der sich mit den landespolitischen Entwicklungen dort regelmäßig befasst, zeigt die Beendigung der Sondierungen in Sachsen, dass Wagenknecht als Kaderführerin ihr Bündnis auf Zerstörungskurs gegen CDU und SPD hält.


Wie geht es in Europa weiter?


Nach den Wahlen in Amerika kommt es nach vielen übereinstimmenden Einschätzungen auf Europa an. Und ausgerechnet in Budapest geht inzwischen der politische EU-Alltag weiter. Zu den Ritualen gehört der regelmäßige Gipfel der Regierungschefs. Trotz seiner ungeliebten Präsidentschaft ist Trump- und Putin-Fan Viktor Orban Gastgeber für 47 Staats- und Regierungschefs im erweiterten Kreis. Und das angesichts der Schlüsselrolle des größten und immer noch wirtschaftsstärksten Landes, das gerade seine Führung verloren hat.


Derweil versucht Ursula von der Leyen, ihr EU-Kabinett durch das Parlament zu bringen. Dazu gehört auch Oliver Várhel aus Ungarn als Kommissions-Anwärter auf den Platz des Kommissars für Gesundheit und Tierschutz. Unser Autor Ludwig Hintjens beobachtet mit seinem Blick auf unsere Themen Naturnutzung, Landwirtschaft, Jagd und entsprechende Vorgaben die Entwicklungen in Brüssel und Straßburg. Dieser ungarische Kandidat wurde im ersten Anlauf nicht gewählt. Wie es weitergeht, schreibt Hintjens in der nächsten Woche.



Der designierte Agrarkommissar, Christophe Hansen aus Luxemburg, hat dagegen bei der Anhörung im zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments einen Durchmarsch hingelegt. Der langjährige Europaabgeordnete aus der christdemokratischen Parteienfamilie bekam die Unterstützung von Christdemokraten, Sozialisten, Grünen, Liberalen und Konservativen. Wenn das Parlament, womit zu rechnen ist, Ende November grünes Licht für die gesamte von-der-Leyen-Kommission-II gibt, kann Hansen seine Amtsgeschäfte aufnehmen. Bei der Drei-Stunden-Anhörung setzte er inhaltlich Akzente, die aufhorchen ließen: So lehnt er Planungen der Kommission ab, die Agrar- und Kohäsionsmittel im europäischen Haushalt künftig direkt und ausschließlich mit den Mitgliedstaaten zu verhandeln. Er wolle den Menschen keine Vorgaben machen, was sie zu essen hätten. Auch einen eigenen Emissionshandel für die Landwirtschaft sieht er kritisch.  


Außen- und Innenschock für unsere Politik


Zum Schluss komme ich noch einmal zurück auf die Wahl in den USA. Wie sehr das alles mit uns in Europa und Deutschland zusammenhängt, bringt der CDU-Altvordere Ronald Pofalla auf den Punkt: „Amerika ist ein Außenschock für unsere Politik.“ Und mit der Aussage steht er nicht alleine. Das war am Mittwoch nach der Wahl Trumps bei uns die vielfach verbreitete Einschätzung unter politischen Beobachtern. Bei Stimmen aus den Parteien der Mitte war zu hören: Wir müssen uns politisch und wirtschaftlich warm anziehen, Europa insbesondere mit den Franzosen zusammenschweißen. Dass in den Biden-Jahren angeblich Deutschland wirtschaftlich auf Kosten Amerikas profitiert und die Verteidigungslasten in Europa überwiegend den USA überlassen habe, sei bei Trump nicht nur Wahlkampfgeplänkel gewesen. Ich hatte die Gelegenheit, Pofalla bei einem politischen Wahlfrühstück während der letzten Ergebnismeldungen aus Washington in der Redaktion der „Neuen Westfälischen“ in Bielefeld zusammen mit Mittelständlern, Experten und zugeschalteten Korrespondenten zu erleben.


In vielen weiteren Begegnungen und Gesprächen werden uns die benannten Themen gerade an diesem Wochenende bewegen. Dazu gehört auch die Frage, was wohl für das große europäische Agrarland Ukraine zu erwarten ist. Das ist leider der Ausgangspunkt vieler Polarisierungen, die wir gerade erleben. Dabei geht es dort um die Menschen. So grüße ich diesmal mit nachdenklichen Tönen und wünsche unseren Leserinnen und Lesern gleichwohl ein gutes Wochenende.


Ihr Jost Springensguth

Redaktionsleitung / Koordination

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