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Ludwig Hintjens

Tierwohl-Kandidat in der EU: Zu Unrecht Sündenbock

Aktualisiert: 11. Nov.

Warum das Europaparlament falsch liegt, wenn es an Olíver Várhelyi, dem designierten Kommissar für Gesundheit und Tierwohl, ein Exempel statuieren will


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Foto: © European Union 2024 - Source : EP

In der EU geht es zuweilen demokratischer zu als in den Mitgliedstaaten. Während die Besetzung eines Ministerposten in Berlin die einsame Entscheidung eines Parteichefs ist, hat das Europaparlament ein Vetorecht bei der Verpflichtung der Kommissare. Die 26 Anwärter müssen sich einer dreistündigen Anhörung der zuständigen Parlamentsausschüsse unterziehen. Jedes Mal, wenn eine neue Kommission verpflichtet wird, rollen Köpfe.


Derzeit schickt sich das Europaparlament an, den Bewerber für das Portfolio Gesundheit und Tierwohl abzustrafen. Dies geschieht aus sachfremden Gründen: Nominiert von seinem Heimatland Ungarn wurde Olíver Várhelyi. Ein 53-Jähriger, der über eine ausgeprägte EU-Biografie verfügt, so war er Referatsleiter in der Kommission, EU-Botschafter seines Landes in Brüssel und die letzten fünf Jahre Erweiterungskommissar – übrigens mit einer Bilanz, die sich sehen lassen kann.


Einzig weil Viktor Orbán, der zweifellos korrupte Rechtspopulist, der ihn nominierenden Regierung vorsitzt, stößt Várhelhyi im Parlament auf Vorbehalte. Bei seiner Anhörung hat er eine souveräne Rolle abgegeben, er beherrscht die Dossiers. Er hat nichts gesagt, was Zweifel an seinen fachlichen oder persönlichen Fähigkeiten für den Job aufkommen lassen könnte. Dem Bewerber, der nicht einmal der Fidesz-Partei Orbáns angehört, verweigerten alle politischen Kräfte links von den Konservativen nach der ersten Anhörung die Unterstützung. Wohl gemerkt: Selbst die Christdemokraten waren nicht bereit, ihm auf Anhieb grünes Licht zu geben.


Abhängigkeit von Orban


Das Verhalten des Parlaments ist unwürdig. Dass jeder Mitgliedsstaat einen Kommissar stellt, entspricht den EU-Verträgen. Sollte das Parlament Várhelyi ablehnen, würde es die Entscheidung über den Start der Von-der-Leyen-Kommission-II in die Hände von Orbán legen. Denn der könnte mit der Benennung eines Ersatzkandidaten lange warten und den Prozess verzögern. Weil die Parlamentarier dieses Risiko auch sehen, wollen sie eine Strafaktion an ihm vollziehen. Sie wollen Ursula von der Leyen auffordern, Várhelyi das Portfolio für Tierwohl wegzunehmen. Er wäre dann nur noch für die (humane) Gesundheit zuständig.


Sehr wahrscheinlich würde von der Leyen der Forderung gar nicht nachkommen. Unabhängig davon ist das Ansinnen widersinnig. Der Kandidat soll im Auftrag von der Leyens ebenso berechtigte wie wichtige Politikfelder beackern. So soll er ein Label für eine EU-weite Tierschutzkennzeichnung entwickeln, das von Tierhaltern, der Lebensmittelindustrie und den Verbrauchern akzeptiert wird. Es soll, und das ist richtig, auf freiwilliger Basis funktionieren.


Várhelyi soll dafür sorgen, dass der Pestizideinsatz weiter reduziert wird. Vor allem in den südeuropäischen Mitgliedstaaten wird noch deutlich mehr Pflanzenschutz betrieben als etwa hierzulande. Er soll die Zulassung von Biopestiziden vorantreiben. Zu seiner Mission, die der Ungar bis 2029 erfüllen soll, gehören auch neue Regeln für Tiertransporte.


Vor allem soll er den Auftrag der erfolgreichen EU-Bürgerinitiative (EBI): „Beendet das Käfigzeitalter“ umsetzen. Das ist nicht trivial. 1,4 Millionen Europäer hatten die Initiative mit ihrer Unterschrift unterstützt. Jetzt muss die Kommission einen Vorschlag machen, wie Schweine, Legehennen, Masthähnchen, Legetiere, Kälber, Kaninchen, Enten, Gänse und Wachteln ohne Gitter leben sollen. Im Zuge des Gesetzgebungsvorschlags wird es um Übergangsphasen und Unterstützung für die Zucht- und Legebetriebe gehen müssen.


Im Parlament will man ihm das Portfolio für Tierwohl wegnehmen und es Agrarkommissar Christophe Hansen zusätzlich zu seinen sonstigen Aufgaben zuschlagen. Das wäre ein Fehler, nicht nur weil Tiergesundheit eine Großbaustelle im nächsten Mandat ist. Es ist gut, die Kompetenzen für Tierwohl und Gemeinsame Agrarpolitik in unterschiedliche Hände zu geben. Ansonsten drohen Loyalitätskonflikte.


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