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  • AutorenbildChristoph Boll

Waffenrecht: Symbolpolitik statt Gefahrenabwehr

Nach fast jeder Gewalttat mit Waffen gibt es den reflexartigen Ruf nach einer Verschärfung des Waffenrechts. Jetzt ist das Thema im Bundesrat gelandet


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Messer
Foto: ideogram.ai

Das „Dritte Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften“ wurde in Reflexion auf den Anschlag von Halle Anfang 2020 vom Bundestag beschlossen. Nur zwei Tage später gab es einen Terroranschlag in Hanau. In der Folge kam eine Prüfung des Innenministeriums zu dem Ergebnis, dass es erneut ergänzender Anpassungen bedürfe, damit den Waffenbehörden das relevante Wissen anderer Dienststellen schnell und effizient zur Verfügung gestellt wird. Jüngstes Beispiel ist die gerade gestartete Bundesratsinitiative Niedersachsens. Sie ist Folge des öffentlichen Aufschreis über den Mord an dem 29-jährigen Polizisten Rouven Laur in Mannheim. Bei Enthaltung von Sachsen-Anhalt und Ablehnung der Bayern wurde die Entschließung „Messerkriminalität wirksam bekämpfen und Novelle des Waffenrechts zügig voranbringen“ in der Länderkammer verabschiedet.


Wesentlicher Inhalt des Papiers ist ein Verbot von Springmessern und die Ausweitung der Verbote von Messern in der Öffentlichkeit mit einer Klingenlänge von mehr als sechs Zentimeter. Letzteres wirkt beliebig – warum nicht fünf oder sieben Zentimeter – und undurchdacht. Zumal es keine statistischen Zahlen zu kriminellen Messerdelikten gibt. Da wird auf einem Nebenkriegsschauplatz um Streitäxte, Samuraischwerter und Macheten gekämpft, die in martialischen Mittelalter- und Fernostfilmen eine größere Rolle spielen als in der bundesdeutschen Kriminalitätsstatistik. Ganz zu schweigen von Schälmessern aus der Küche. Wenn die Entschließung erfolgreich ist, darf nämlich ein solches nicht mehr mitgenommen werden, um beim Picknick einen Apfel zu schälen. Viel Aktionismus mit einem trügerischen Sicherheitsgewinn also.


Neuer Vorstoß aus Niedersachsen


Doch mit seinem populistischen Vorstoß belebt der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil ein Lieblingsprojekt seiner SPD-Parteifreundin Nancy Faeser, die im Koalitionsvertrag vorgesehene Novelle des Waffenrechts. Was als zentrales Instrument im „Kampf gegen Rechts“ gedacht war, liegt auf Eis, seit Christian Lindner sein Veto eingelegt hat. Dabei ist auch für den FDP-Chef und Bundesfinanzminister unstreitig, dass Extremisten, Kriminelle oder psychisch kranke Menschen keinen Zugriff auf Waffen haben sollen. Er moniert das Fehlen der ebenfalls von den Koalitionären vereinbarten Evaluierung vergangener Änderungen auf diesem Feld als Voraussetzung für mögliche weitere Maßnahmen. Es gibt bis heute keine solche Überprüfung, die wissenschaftlichen Standards genügt.


Das liegt vorrangig daran, dass Faeser den zweiten vor dem ersten Schritt getan hat. Bereits kurz nach ihrem Amtsantritt wurde die Absicht bekannt, Schreckschusswaffen erlaubnispflichtig zu machen. Im März 2022 kündigte sie an, mit einem „Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“ die entsprechenden Personen „konsequent entwaffnen“ zu wollen. Als am 7. Dezember 2022 bei einer Razzia gegen „Reichsbürger" viele legale, aber auch illegale Waffen gefunden wurden, nahm die Ministerin das zum Anlass, umgehend eine weitere Verschärfung des Waffenrechts anzukündigen. Der 48-seitige Gesetzentwurf dazu wurde Anfang Januar 2023 öffentlich bekannt. Offenbar lag das Papier aber längst vorher vor und die Staatsstreichpläne der „Reichsbürger“ um Prinz Reuß lieferten nur den geeigneten Anlass, es als „Reaktion“ zu präsentieren. Die Tageszeitung „Die Welt“ spricht in dem Zusammenhang von „Tricksereien“.


Diesem Entwurf, der im Kabinett dank Lindners Veto nie beschlossen wurde, will die niedersächsische Bundesratsinitiative neues Leben einhauchen. In der Konsequenz einer Umsetzung wären hunderttausende Jäger und Sportschützen sowie die Besitzer von Schreckschuss-, Reizstoff- oder Signalwaffe betroffen. Neu eingeführt wird mit dem Gesetzesentwurf die Kategorie der „kriegswaffenähnlichen halbautomatischen Schusswaffen“. Dabei geht es nicht um die Funktion der Waffen, sondern allein um das Aussehen, den nur schwer definierbaren Anschein. Ein Verbot dieser Waffen würde laut „Die Welt“ mehr als eine Milliarde Euro an Schadenersatzzahlungen für Betroffene auslösen.


Die Millionen von illegalen Waffen ausgeblendet?


Faesers Bemühungen offenbaren ein generelles Misstrauen gegen weite Teile der gesetzestreuen Bevölkerung. Weil sie mehr Aktionismus und Symbolpolitik als Sicherheitsgewinn bringen, kritisiert der CDU-Abgeordnete Marc Henrichmann, der Mitglied in dem für das Waffenrecht zuständigen Arbeitskreis II im Bundestag ist, die Ministerin deutlich: „Faesers Vorstellungen vom Waffenrecht sind untauglich. Mit komplizierterem Verwaltungsrecht statt wirksamen Schwerpunkten wird sie den wirklichen Problemen bei der inneren Sicherheit niemals Herr. Und insbesondere beim notwendigen Kampf gegen die riesige Zahl illegaler Waffen hat sie gar nichts im Angebot. Stattdessen drangsaliert sie rechtstreue Schützen und Jäger sowie überlastete Vollzugsbehörden. Faesers Reformvorschläge sind überwiegend reine Placebo-Ideen einer nicht nur mit dem Waffenrecht überforderten Ministerin.“


Henrichmann spricht damit zugleich an, dass die knapp fünf Millionen legalen Schusswaffen ein marginales Problem sind im Vergleich zu den seriös geschätzten 30 bis 40 Millionen illegalen Waffen in Deutschland. Dieses Thema wird seit 20 Jahren politisch ausgeblendet. Letztmals wurden im „Jahresbericht zur Waffen- und Sprengstoffkriminalität“ für das Jahr 2002 öffentlich Zahlen ausgewiesen zu legalen und illegalen sowie erlaubnispflichtigen und erlaubnisfreien Waffen, die bei Straftaten verwendet wurden. Für das Jahr 2014 weist die polizeiliche Kriminalstatistik insgesamt knapp 6,1 Millionen Straftaten aus. In nur fünf Fällen waren legal besessene Schusswaffen beteiligt. Zu den mit Legalwaffen verübten Delikten werden dabei auch Selbsttötungen und Straftaten mitgezählt, die mit Dienstwaffen von Polizei oder Bundeswehr begangen wurden. Angesichts dieser Zahlen ist fraglich, ob ein Sicherheitsgewinn von 0,00008 Prozent in Bezug auf alle Straftaten weitere Waffenrechtsänderungen rechtfertigt. Das Bundesinnenministerium jedenfalls bewertete in seinem Bericht an die Innenministerkonferenz der Bundesländer am 13. Oktober 2014 die Deliktsrelevanz legal besessener Feuerwaffen als „gering“.

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