Ein Blick auf die Woche in Berlin und auf das Land in seiner schwarz-blauen Teilung
- Jost Springensguth
- 1. März
- 6 Min. Lesezeit

Liebe Leserin, lieber Leser,
nach dem Wahlkampf ist in Bezug auf Hamburg noch vor dem Wahlkampf. Entgegen ursprünglicher Planung mit Rücksicht darauf trafen sich gestern bereits zwei je neunköpfige Sondierungsgruppen von Union und SPD. Daneben ist es so, wie es ist: Wir haben uns erst einmal an die Stärke radikaler Kräfte zu gewöhnen und hoffen, dass die Mitte durch möglichst kluges Regierungshandeln wieder reanimiert wird. Da hilft vielleicht der Blick auf die ländlichen Räume, den wir weiter immer wieder schärfen. Und dann ist da noch der Beginn des Jagdjahres und weil es nun einmal Karneval ist, gehen wir auch darauf ein: mit der Rolle einer Fleischerin.
Seit dem Wahlsonntag wissen wir: Unser Land bleibt irgendwie zweigeteilt. Auf der vielfach in dieser Woche abgelichteten Deutschlandkarte dominieren Blau im Osten und Schwarz im Westen – mit kleinen grünen und roten Ausreißern. Die Trennlinie verläuft genau dort, wo einmal eine Grenze war. Vor gut drei Jahrzehnten waren wir froh, sie endlich überwunden zu haben. Wahlforscher und Kommentatoren überbieten sich in Analysen und Erklärungen, warum die Deutschen so gewählt und die Mitte abgestraft haben. Auch wir beteiligen uns mit den Beiträgen im Blog. Unser Autor Frank Polke schrieb dazu: „Doch beim genauen Blick auf die Landkarte zeigen sich im Februar 2025 scharfe Schnittkanten auf zwischen Stadt und Land, zwischen Jung und Alt, zwischen der Demokratie zu- oder abgewandten Milieus.“ Die Frage: Warum hat die AfD ausgerechnet in den dünn besiedelten Wahlkreisen ihre besten Ergebnisse geholt? Wir erkennen eine wachsende Kluft in Stadt und Land. Die Antworten verstehen wir in unserem journalistischen Blog als Auftrag, bei diesen Themen zu bleiben.
Unterdessen fangen der designierte Kanzler Friedrich Merz und für die SPD der neue Fraktionsvorsitzende und Co-Parteichef Lars Klingbeil an, sich nach der Sondierung für die von beiden angestrebten Koalitionsgespräche in Stellung zu bringen. Noch sind Teile ihrer Parteien zunächst weiter im Wahlkampfmodus. Am morgigen Sonntag wählt Hamburg seine neue Bürgerschaft. Für die SPD wird es trotz möglicher Verluste mit dem dann doch erwarteten Sieg von Peter Tschentscher wieder Balsam für die Parteiseele geben. Zur Abschlussveranstaltung hat er Malu Dreyer eingeladen – also große Distanz zum aktuellen Berlin und zu dem SPD-Desaster dort. Die Union setzt in der Hansestadt dagegen auf den Merz-Effekt bei persönlichem Erscheinen und plakatiert mit seinem Bild und aktuellem Bezug neu: „Weil’s so schön war: Jetzt auch in Hamburg CDU wählen.“ Die Grünen erwarten neben der Spitzenkandidatin Katharina Fegebank nicht mehr Robert Habeck. Sie schicken neben Ricarda Lang Annalena Baerbock zum „Wahlkampfhöhepunkt“ in den Gänsemarkt. Die noch geschäftsführende Außenministerin scheint energisch ihre neue Rolle in der Partei finden zu wollen. Nach den letzten Umfragen wird es am Ende im Rathaus rot-grün weitergehen.
Die Anbahnung einer Zwangsehe
Zurück nach Berlin. Dort bahnt sich eine Zwangsehe an, über die letztlich bei Einhaltung der Brandmauer die Wähler entschieden haben. Die Süddeutsche formulierte dazu diese bemerkenswerte Zeile: „Die Union ist an eine SPD gekettet, die durch die Trümmer ihrer Wahlergebnisse watet.“ Merz und Klingbeil müssen also zusammenfinden. Und die Truppen dahinter auch. Erst einmal konzentriert sich alles auf die Außenpolitik mit den transatlantischen Verwerfungen, die Ukraine- sowie Nato- und EU-Zukunft. Die sich zwangsläufig daraus ergebenden Haushaltsfragen strahlen in die Innenpolitik mit den Kernforderungen, die oben auf der Agenda stehen: Migration, Sicherheit und Soziales. Dahinter öffnet sich im nächsten Schritt die Palette breiter Themen mit ersten Debatten zur Frage, wer macht in Zukunft was in den Fraktionen und einem neuen Kabinett.
Wer sich da in Stellung bringt oder gebracht hat, zeichnet sich schon ab. Bei der SPD ist Pistorius in seiner Rolle gesetzt, obwohl viele Genossen ihn gerne weiter vorne sehen würden. Um Merz wuseln mit hoher Sichtbarkeit Frei, Klöckner und Spahn sowie Söder, der in Bayern bleibt. Er wird aber immer dabei sein. So hat er schon lange vor der Wahl den dortigen Landes-Bauern-Präsidenten Günther Felßner so in Stellung gebracht, dass ihn der designierte Kanzler wohl an den Kabinettstisch nehmen muss. Der Kandidat stammt wie Söder aus dem Raum Nürnberg und ist als Agraringenieur und Milchviehhalter ein Praktiker. Kritiker schießen sich schon auf ihn ein und mahnen grüne Öko-Spitzenthemen wie Reduzierung der Tierhaltung an. Für ein mögliches Ministeramt in der künftigen Bundesregierung wäre ein Mandat aber auch keine zwingende Voraussetzung.
Ein paar bemerkenswerte neue Gesichter mit übernommenen Polit-Genen
Der neue Bundestag hat nicht nur weniger Abgeordnete, sondern auch ein paar bemerkenswerte neue Gesichter mit Bindung an frühere Granden der Politik: Caroline Bosbach, den Kohl-Enkel Johannes Volkmann, Frederik Bouffier sowie Sandra Carstensen als Frau eines Ex-Ministerpräsidenten. Die Schleswig-Holsteinerin hält es wie ihr Mann Peter Harry: „Nicht lang schnacken – anpacken.“ Ihr, so versprach sie in ihrem Wahlkampf, liege die Förderung des ländlichen Raumes besonders am Herzen. Wir werden wohl weiter von ihr hören. Wie übrigens auch von der neuen CDU-Abgeordneten Nora Seitz aus Chemnitz. Sie ist Landesinnungsmeisterin des sächsischen Fleischerverbandes und dort mit ihrer Mutter zu Hause. Auf diesen Handwerksberuf und eine Berufskollegin kommen wir zum Ende dieses Textes zurück.
Regiejagd oder Wirtschaftswald mit Wild

Am 1. April beginnt ein neues Jagdjahr. Dann wird so manches Revier einen anderen Pächter bekommen. Besonders in den südlichen Bundesländern fragen sich aber seit einigen Jahren Kommunen und Jagdgenossenschaften, ob sie nicht besser zur Eigenbewirtschaftung, der sogenannten Regiejagd, übergehen sollen. Sie argwöhnen, dass der Verbiss von Bäumen in ihren Wäldern zu hoch und damit der Abschuss von Reh und Hirsch zu niedrig ist. Unser Autor Christoph Boll stellt in einem Blog-Beitrag in der kommenden Woche eine Studie der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg vor, deren Ziel die Erstellung eines „Blitzhandbuchs“ für den Aufbau einer eigenbewirtschafteten Jagd ist. Ausgangspunkt ist die Untersuchung von Verbreitung und Aufbau von jagdlichen Eigenbewirtschaftungen. Erste Ergebnisse zeigen, dass ein Wechsel für die Grundeigentümer nicht nur den Entfall oft beträchtlicher Pachtzahlungen bedeutet, sondern mit Kosten von bis zu mehr als 90 Euro je Jahr und Hektar sogar richtig teuer werden kann.
Diese Bereitschaft, kräftig draufzuzahlen, hat längst Unternehmen auf den Plan gerufen. Als selbsternannte Dienstleister bieten sie den Waldbesitzern an, alle Aufgaben rund um die Jagd zu übernehmen und für den gewünschten radikalen Abschuss des Wildes zu sorgen. Dahinter steht eine Jagdauffassung nach der Devise „Wald vor Wild“. Reh, Hirsch und Gams werden dabei als Störfaktoren begriffen, die es möglichst auszuschalten gilt. Diesem Waldbau mit der Büchse konträr gegenüber steht das Konzept, dem die Stiftung natur+mensch und damit unser Blog verpflichtet ist. Es setzt auf einen Wirtschaftswald mit Wild. Durch einen biologischen, aber auch gesellschaftsgerechten Umbau bietet dieser Wald den Wildtieren einen an ihren biologischen Bedürfnissen angepassten Lebensraum, wobei dieser nicht bzw. nur unwesentlich beschädigt wird.
Karneval und Gaumenfreuden: Mett für alle
Und noch ein Ausflug aus dem Revier ins Getümmel: An diesem Wochenende wird in großen Teilen unseres Landes (überwiegend dort, wo die zitierte Karte nach der Wahl schwarz eingefärbt ist) Karneval gefeiert. Eine der ausgemachten Hochburgen ist Köln. Dort habe ich mal neun Jahre gelebt und gearbeitet. Eingebrannt ist in meiner Erinnerung, wie ausgeprägt sich zu dieser Zeit die Lebensfreude auch in saisonalen Trink- und Essgewohnheiten zeigt. Im Gürzenich etwa wird bei Prunksitzungen die Nostalgie gepflegt, indem unter anderem als Relikt aus den 60er bis 80ern immer noch Käseigel neben den Getränken auftauchen. Und bei den vielen privaten und öffentlichen Feiern dürfen natürlich Kölsch und Mettbrötchen nicht fehlen. Auch das ist immer noch für viele „Genuss pur“. Und das mit dem Nebeneffekt, dass Protein in Fleisch, Fisch, Eiern und Milchprodukten nicht nur nach meiner Überzeugung zu einer ausgewogenen Ernährung gehört.
Zufällig habe ich in dieser Woche von der „rätselhaften Faszination des Metts“ gelesen. Der Artikel hat mich über Instagram zu Sabine Eckart geführt, die mit ihrem Mann im Stadtteil Lindenthal „Kölns hippste Metzgerei“ betreibt, wie das für genüssliche Ernährung zuständige Fachmagazin „Der Feinschmecker“ schrieb. Die Eckarts im Netz: „Seit 1965 planen, wursten, kochen und liefern wir für Sie in Köln.“ Aktuell wirbt die Familienmetzgerei in fünfter Generation weiter mit dem Spruch „Karnevals-Mett für alle“. Der Aufruf zur Vorbestellung des Mett-Pakets („1 gutes Kilo Eckart-Mett vom Ruhrtaler Freilandschwein,10 frische Bäcker-Brötchen, 1 großer Becher mit Liebe handgeschnibbelter Zwiebeln, dazu beste Heumilch-Butter und unsere Mettbrötchen-Postkarte als Gebrauchsanleitung“) traf ins Volle: Jetzt war Weiberfastnacht bei Eckarts in Instagram dann zu lesen: „Unser Cateringservice ist Karneval komplett ausgebucht und wir können nicht mal mehr eine Mettbrötchenplatte annehmen. Sorry!“.
Das verbinde ich mit meinen Wünschen zum Wochenende. Auch andere machen anderswo leckeres Mett. Das ist eine Abwechselung zum Karneval alternativ zu dem von uns immer wieder empfohlenen Genüssen, die lecker verarbeitetes Wildbret bietet.
Ihr Jost Springensguth
Redaktionsleitung / Koordination
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