Wald und Wild im Wintermodus
- Christoph Boll
- 25. Feb.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 26. Feb.
Von frostresistenten Nadeln bis zu cleveren Energiespar-Tricks – die Natur hat faszinierende Strategien entwickelt. Doch menschliche Störungen gefährden das Überleben der Tiere in der kalten Jahreszeit

Nun heulen sie wieder auf, die sogenannten Waldmopeds. Für Brennholzwerber ist derzeit Hochsaison. Mit ihren Motorsägen bringen sie das Feuerfutter auf die passende Kaminlänge. Sie nutzen dazu die Wintermonate, in denen Nadel- und Laubbäume ihren Wasserhaushalt auf ein Minimum reduzieren. Denn wenn nur wenig Wasser im Baum ist, kann auch kaum etwas gefrieren. Zugleich reduziert das die Trocknungszeit des Holzes, bis es in Ofen oder Kamin für wohlige Wärme sorgt.
Der Wald ist an frostige Wintertemperaturen gut angepasst. Die Fichte, unser häufigster heimischer Nadelbaum, hat als typischer Baum der nördlichen, kalten bis extrem kalten Breitengrade ein Nadelkleid, dem frostige Wintertemperaturen nichts anhaben können. Auch der häufigste heimische Laubbaum, die Buche, kann den Minustemperaturen standhalten, da sie als sommergrüne Gehölzpflanze über den Winter die Blätter abwirft. Bevor das jedoch im Herbst geschieht, bereitet sie sich ebenso wie andere Laubbaumarten auf den Frost vor. Sie verlagern frühzeitig Nährstoffe aus den Blättern in den Baum selbst. Diese Zucker- und Eiweißverbindungen lösen sich im Zellsaft und senken den Gefrierpunkt der Zelle bis etwa minus 20 Grad Celsius, sodass sie nicht in der Kälte aufplatzen. Das Prinzip ähnelt dem eines wassergekühlten Automotors, der über den Kühlkreislauf das Frostschutzmittel erhält, damit das Kühlerwasser nicht gefriert und das Motorgehäuse nicht platzen lässt.
Außerdem schützen die abgefallenen Blätter am Boden das oberflächennahe Feinwurzelwerk des Baumes wie eine wärmende Decke. Den Nadelbäumen bietet schon die geringe Oberfläche der Nadeln physikalisch einen guten Kälteschutz. Hinzu kommt eine ganzjährig schützende Wachsschicht der Nadeln mit kleinen Spaltöffnungen, die auch ein Austrocknen des Baumes im Winter verhindern. Nur die Lärche, die ursprünglich ein Hochgebirgsbaum war, ist eine Ausnahme. Ihren Nadeln fehlt die ausreichend dicke Wachsschicht. Sie wirft sie deshalb vor dem Winter ab.
Mit Lufteinschlüssen in einer dicken Borke schützen sich zudem einige Nadel- und Laubbaumarten vor dem Frost. Das ist eine Wärmedämmung wie bei einer Daunenjacke. Vielfach schon im Winter ausgebildete Knospen finden Schutz unter einer Wachsschicht und dicken Schuppen. Zu dieser Isolierung kommen Zuckereinlagerungen, die den Baum nicht nur frosthart machen, sondern auch der Grund sind, warum manche Wildtiere besonders die Knospen gerne verbeißen. Die komplexen Systeme sorgen dafür, dass die heimischen Baumarten in der klassischen Winterzeit kaum Frostschäden erleiden. Gefahr droht ihnen hingegen im Herbst durch Frühfrost oder im Frühjahr durch Spätfrost, also in Zeiten, in denen die Schutzmechanismen noch nicht oder nicht mehr ausreichend ausgebildet sind.
Strategien gegen winterliche Temperaturen
Nicht nur der Wald, auch seine Bewohner haben Strategien gegen winterliche Temperaturen und jahreszeitliche Nahrungsengpässe entwickelt. Waldschnepfe und Turteltaube ziehen in andere Gebiete. Fledermäuse, Siebenschläfer, Hamster und Murmeltiere gehen in den Winterschlaf. Winterruhe halten Dachs, Eichhörnchen und Waschbär. Wer sich nicht für längere Zeit zurückzieht, hat sich wenigstens wie der Fuchs und die Marderartigen ein dickes Fell zugelegt.
Das gilt auch für die Wildschweine, die so gut an die kalte Jahreszeit angepasst sind, dass sogar sehr viele Frischlinge im ausgehenden Winter geboren werden. Bis zum Spätherbst haben sich die Sauen Speckpölsterchen angefressen, die zusammen mit den Luftkammern zwischen den dicken Winterborsten den Körper gut isolieren. Die darunter liegende Unterwolle wehrt Nässe und Kälte ab. Und wenn es allzu frostig wird, kuscheln sich die Familienverbände zusammen und wärmen sich gegenseitig. Die feinen Nasen der Schwarzkittel erschnüffeln Eicheln, Pilze und Wurzeln auch unter einer Schneedecke. Ist der Boden zu hart gefroren, begnügen sich die Wutze auch mit Aas oder Abfall.

Im Vergleich dazu hat es das wiederkäuende Schalenwild, besonders Rehe und Hirsche, viel schwerer. Das Nahrungsangebot ist im Winter nicht nur sehr viel geringer als im Sommer, sondern auch qualitativ deutlich schlechter. Deshalb bewegen sich Rehe dann nur etwa halb so viel. Je höher der Schnee liegt und je niedriger die Temperaturen sind, umso mehr verzichten sie auf die wenig erfolgversprechende Futtersuche. Das schont die Energiereserven.
Insgesamt wird der gesamte Stoffwechsel durch hormonell gesteuerte Umbauvorgänge auf Sparflamme geschaltet. Diese Reduzierung auf etwa die Hälfte im Vergleich zum Sommer gelingt nur durch die geringere Bewegungsaktivität, die herabgesetzte Körpertemperatur und die Verkleinerung der Verdauungsorgane. Dabei kann das Volumen des Reh- und Rotwildpansens um 20 bis 30 Prozent im Vergleich zum Herbst schrumpfen. Ähnlich verändert sich auch die Größe von Organen, etwa der Leber.
Den wesentlichsten Beitrag zur Minimierung des Energieverbrauchs leistet eine geringe innere Wärmeproduktion. Deshalb ist eine zweite, äußerlich nicht erkennbare Maßnahme eine niedrigere Atem- und Herzschlagfrequenz, die bei Rotwild von rund 70 auf etwa 40 Mal je Minute sinkt. Die Folge ist ein reduzierter Blutfluss in die äußeren Körperteile. Dadurch kann beim Rotwild die Unterhauttemperatur in Höhe des Brustbeins auf bis zu 15 Grad Celsius sinken. Noch weiter vom Körperkern mit den lebenswichtigen Organen und vom Gehirn entfernt, etwa in den Läufen, werden sogar Temperaturen im einstelligen Bereich erreicht. Oft verharrt das Rotwild regungslos im Wald, um bloß keine Kalorie zu verschwenden.
Jede Beunruhigung zehrt an der verbliebenen Substanz
Gesteuert wird die Stoffwechselreduktion von der Tageslänge. Sie dauert bis etwa Ende März. Das heißt, dass die vor dem Winter angesammelten Fettreserven inzwischen weitgehend aufgebraucht und damit die Energiespeicher nun ziemlich leer sind. Wildtiere können die niedrigen Temperaturen in den Gliedmaßen lange Zeit schadlos überstehen. Aber die Bewegungsfähigkeit verringert sich dann erheblich. Umso mehr zehrt jede Beunruhigung, die das Wild gar flüchten lässt, an der verbliebenen Substanz. Das gilt im Mittelgebirge und den Alpen noch mehr als im Flachland.
Deutsche wie auch amerikanische Studien belegen die massiven Störungen des Wildes durch menschliche Freizeitaktivitäten. Das gilt für laute Gruppenwanderungen, besonders aber auch für Wintersportler wie Ski-Langläufer oder Schlittenfahrer. Ruhe im Revier bedeutet Rücksicht auf das Wild und ist gerade jetzt erste Jäger- und Bürgerpflicht.
Sehr guter Beitrag. Die Überlebensstrategie - insbesondere die des wiederkäuenden Schalenwildes - besteht u.a. auf einer Reduzierung der Stoffwechselvorgänge, Senkung der Körpertemperatur,....Das alles ist hinreichend bekannt. Im Beitrag wird daher folgerichtig darauf hingewiesen, daß jede Beunruhigung dieser Tierarten ein starker Eingriff in deren Überlebensstrategie darstellt. Es sind aber nicht nur die Beunruhigungen durch Freizeitaktivitäten. Vergessen wurde in dem Beitrag, daß vor allem Treib- und Drückjagden in den Wintermonaten einen erheblichen Stressfaktor für Wiederkäuer bedeuten und sogar einen Verstoß gegen das Tierschutzrecht bedeuten können.