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Christian Urlage

Wird die Bundeswaldinventur instrumentalisiert?

Schlechte Nachrichten für den Klimaschutz: Der Wald wird zur Kohlenstoffquelle, wie die jüngste Bundeswaldinventur ergeben hat. Die Erhebung hat den Streit um das Bundeswaldgesetz neu entfacht


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Bundesminister Cem Özdemir und Dr. Thomas Riedel, Verantwortlicher beim Thünen-Institut für die Bundeswaldinventur. (Foto: BMEL)
Bundesminister Cem Özdemir und Dr. Thomas Riedel, Verantwortlicher beim Thünen-Institut für die Bundeswaldinventur. (Foto: BMEL)

Die vierte Bundeswaldinventur ist ein Großprojekt. Alle zehn Jahre findet sie statt und erstreckt sich über mehrere Jahre: Sie begann am 1. April 2021, und bis Anfang 2023 wurden alle Informationen zusammengetragen und geprüft. Rund 100 Inventurtrupps haben Daten an rund 80.000 Stichprobenpunkten erfasst und mehr als 520.000 Bäume vermessen. Die Länder lieferten diese Daten, das Thünen-Institut für Waldökosysteme analysierte sie wissenschaftlich. Vor wenigen Tagen präsentierte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir die Ergebnisse, die unter www.bundeswaldinventur.de nachzulesen sind.


Vor allem die alarmierenden Negativ-Ergebnisse sorgten für Schlagzeilen: Die deutschen Wälder, geschädigt durch Borkenkäfer, Dürre, Brände und Stürme, tragen nicht mehr durch Speicherung des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) bei und gefährden die Klimaziele. Stattdessen erhöhen sie sogar den CO2-Gehalt und werden zu Klimasündern. Zwei Millionen Hektar Wald sind durch sogenannte Kalamitäten, also Naturgewalten, geschädigt.


Die Waldfläche ist geringfügig gewachsen


Mehr Bäume sterben, als nachwachsen. Der Vorrat an Kohlenstoff im Wald schrumpfte seit 2017 um 41,5 Millionen Tonnen. Manche Wälder könnten heute „für einen Endzeitfilm als Kulisse dienen“, sagte Özdemir und verwies auf den Harz. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Die Waldfläche wuchs trotz der heftigen Konkurrenz um die Flächennutzung im Industrieland Deutschland geringfügig um 15.000 Hektar (0,1 Prozent), der Anteil an Mischwald stieg leicht auf 79 Prozent.


Der bayerische Waldbesitzerverband bemängelt, dass die Inventur den Produktspeicher Holz, also Holz in Häuser und Möbeln, nicht berücksichtigt. Der darin gebundene Kohlenstoff bleibt teils mehr als 100 Jahre der Atmosphäre entzogen, argumentiert Verbandspräsident Bernhard Breitsameter.


Wohlleben fordert Bremse beim Holzeinschlag


Auch sonst sind die Schlussfolgerungen zur Bundeswaldinventur unterschiedlich. Einig sind sich die Experten nur, dass der Umbau des Waldes zügig weitergehen muss, mit mehr Laubbäumen statt der anfälligen Fichte. Der umstrittene Förster und Buchautor Peter Wohlleben fordert, dringend den Holzeinschlag zu bremsen, während viele Forstleute und die rund zwei Millionen privaten Waldbesitzer andere Prioritäten setzen. Ihnen gehören etwa 48 Prozent der deutschen Wälder.



Zu Recht warnen Waldbesitzer und Forstleute vor praxisferner Bürokratie und starren Vorgaben, die eine Verschärfung des Bundeswaldgesetzes bringen könnte. Die Bundeswaldinventur rückt dieses Vorhaben des Landwirtschaftsministers wieder in den Blick. Schon 2023 legte der Grünen-Politiker einen ersten Entwurf für eine Novelle des Bundeswaldgesetzes von 1975 vor. Nach massiver Kritik schwächte Özdemir die ursprüngliche Fassung ab. Kahlschlag bleibt demnach eine Ordnungswidrigkeit und wird nicht zum Straftatbestand.


CDU-Agrarexperte: Özdemir will neues Waldgesetz mit der Brechstange


Seit dem Sommer liegt ein zweiter Entwurf zum Bundeswaldgesetz vor, über den die Bundesressorts sich noch verständigen müssen. Der niedersächsische Agrarexperte Albert Stegemann (CDU) wirft Özdemir vor, er wolle das Gesetz „mit der Brechstange“ novellieren. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzer hält die bestehenden Landeswaldgesetze hingegen für ausreichend. Ein Streitpunkt ist, welche Baumarten angepflanzt werden dürfen – nur heimische Arten oder auch solche, die möglicherweise besser mit dem veränderten Klima klarkommen? Auch Wissenschaftler diskutieren darüber kontrovers.


Ob der Entwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums noch in dieser Wahlperiode verabschiedet wird, ist unklar. Die FDP verweigert die Zustimmung, da der Entwurf nach ihrer Meinung zu viele zusätzliche Regulierungen für die Waldbesitzer enthält. Diese wären nicht unglücklich, wenn es zu keiner Gesetzesänderung käme.

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