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AutorenbildChristoph Boll

Wisentauswilderung: Vom Vorzeigeprojekt zum Sorgenkind

Das Gezerre um die zotteligen Schwergewichte der Wisente ist ein Paradebeispiel für die Probleme, die die (Wieder-)Ansiedlung großer Landsäuger schafft


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Wisent
Foto: Thomas_G

Seit gut zehn Jahren erregen die Wisente am Rothaarsteig die Gemüter und beschäftigen fast ebenso lange die Gerichte. Die jüngste Runde hat nun der nordrhein-westfälische Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) eingeläutet. Er hat beim Verwaltungsgericht Arnsberg einen Eilantrag auf Erlassung einer Freilassung der Wildrinder per einstweiliger Anordnung gestellt.


Dabei hat alles so hoffnungsvoll begonnen. Politiker aller Ebenen vom Bürgermeister über den Landrat und Minister bis hin zum Ministerpräsidenten sonnen sich im Glanz des in Westeuropa einmaligen Auswilderungsprojektes. Für die Kommunalpolitiker vor Ort ist der Artenschutz ein Mittel des Regionalmarketings und der Tourismusförderung. Wisente seien Staatsräson in der Region, stellt die Wochenzeitung „Die Zeit“ fest.


Gut 4.300 Hektar des Sayn-Wittgensteinschen Besitzes sollen als Lebensraum dienen. Die Neuankömmlinge aber halten sich nicht an Grenzen und wechseln immer wieder in den Hochsauerlandkreis. Massiv schälen sie dort in privaten und öffentlichen Wäldern die Rinde von Buchen. Spätestens als unter dem grünen Landesumweltminister Johannes Remmel, der seinen Landtagswahlkreis in Siegen-Wittgenstein hatte, die braunen Kolosse in den Katalog der jagdbaren Arten aufgenommen werden, lässt das Jäger aufhorchen. Sie argwöhnen, die Schädigungen könnten einmal ersatzpflichtiger Wildschaden werden. Derweil klagen die privaten Waldeigentümer durch alle Instanzen, letztlich erfolgreich.


Für den Verein „abgeschlossen“ und „beendet“


Mit dem letzten Urteil beginnt ein Gezerre um Schuldzuweisungen und Zuständigkeit. Denn dem Projekt-Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein drohen fortan massive Schadensersatzforderungen, denen er nicht gewachsen ist. Er erklärt kurzerhand das Wiederansiedlungsprojekt für „abgeschlossen“, seine Aufgabe für „beendet“, die Wisentherde damit für herrenlos, beantragt Insolvenz und löst sich auf. Dem Verein hatte bereits kurz zuvor ein vom Land in Auftrag gegebenes Gutachten der Tierärztlichen Hochschule Hannover bescheinigt, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Es brauche ein internationales Experten-Gremium als Partner, ein besseres Herden- und Konfliktmanagement, eine intensive wissenschaftliche Begleitung sowie eine deutlich höhere Finanzierung des Projekts von jährlich mindestens einer halben Million Euro. Außerdem heißt es: „In sechs Jahren hat die Wisentherde Schäden angerichtet wie eine 15-fache Zahl an Rotwild.“ Die Gesamtsumme wird zu dem Zeitpunkt mit 600.000 Euro beziffert.


Quasi als Vermächtnis erklärt der Verein, mit der Eigentumsaufgabe fielen die Wisente „in die Zuständigkeit des Landes NRW“. Gemäß Artenschutzrecht seien die streng geschützten Wildrinder „damit auch von den Waldbauern (wieder) zu dulden“. Das Landesumweltministerium reagiert verhalten: „Der einseitige Schritt des Trägervereins wirft vertragsrechtliche, artenschutzrechtliche und finanzielle Fragen auf, die es jetzt zu klären gilt.“ Es macht im weiteren Verlauf zugleich immer wieder deutlich, dass es die zugewiesene Verantwortung nicht übernehmen wird. Harscher reagiert der Kreis Siegen-Wittgenstein. Er teilt mit, das Projekt solle „jetzt abgewickelt werden“, zumal es nicht möglich sei, einen Konsens für eine Weiterführung in der Region herzustellen. „Zu diesem Ergebnis kommen die beteiligten Naturschutz-, Forst- und Ordnungsbehörden, die über öffentlich-rechtliche Verträge dem Trägerverein bislang die für das Projekt erforderlichen Genehmigungen für die nur als Probephase angelegte Freisetzungsphase erteilt haben.“


Massiv mit öffentlichen Geldern gefördert


Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Kreis Siegen-Wittgenstein den Trägerverein mit „insgesamt über 350.000 Euro gefördert“, das Land NRW habe mit „rund drei Millionen Euro unterstützt“. Dem Verein wirft der Kreis vertragswidriges Verhalten vor. Mit einem „rechtlichen Kniff“ wolle er sich „seiner Verpflichtungen erledigen, die grundlegende Voraussetzung dafür waren, dass der Trägerverein die Tiere seinerzeit überhaupt freisetzen durfte. Der Verein will damit die Verantwortung für die Herde auf die öffentliche Hand überwälzen und zulasten der privaten Eigentümer eine Pflicht zur Duldung von Fraßschäden auslösen.“


Nachdem ein von den ehemaligen Umweltministern Remmel und Ursula Heinen-Esser moderierter Runder Tisch ergebnislos bleibt, fühlt sich niemand mehr für die Tiere zuständig. Auch der Nachfolger des inzwischen verstorbenen Ideengebers für die Auswilderung, Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein, will von dem Projekt nichts mehr wissen. Der Kreis Siegen-Wittgenstein sieht sich lediglich als Aufsichtsbehörde in der Pflicht, die Grundversorgung der Tiere zu übernehmen. Dazu gehören eine Winterfütterung und das Errichten eines Fanggatters, in dem sich die 40 Tiere nun befinden. Alle Bemühungen zielen darauf, die Herde aufzulösen, und der Kreis ist zuversichtlich, dass andere Wisentprojekte noch in diesem Jahr die Tiere aufnehmen könnten.


Dagegen wehren sich die Naturschützer, die selbst aber auch nicht die Verantwortung für die Wildrinder übernehmen wollen. Aus ihrer Sicht werden die Tiere „ohne Rechtsgrundlage gefangen gehalten“. Scheitern sie, dürfte auch die zu Projektbeginn aufgeworfene Frage negativ beantwortet sein, ob Europas größte pflanzenfressende Wildart erfolgreich in relativ dicht besiedelten Gebieten eine neue Heimat bekommen kann. Damals hieß es, bei einem Erfolg könne Deutschland eine Vorreiterrolle für andere Staaten Westeuropas einnehmen. Denn nur noch rund 3200 Wisente leben, davon etwa 2000 in freier Wildbahn, alle in Osteuropa. Das bekannteste Vorkommen ist im ostpolnischen Bialowieza. Der Stammbaum aller Tiere geht auf zwölf Exemplare zurück.

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