Richtungswahl auch für den ländlichen Raum
- Jürgen Wermser
- 22. Feb.
- 5 Min. Lesezeit
Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und auf die Bundestagswahl

Liebe Leserinnen und Leser,
in unserem Wochenkommentar befassen wir uns mit der morgigen Bundestagswahl und ihrer besonderen Bedeutung für den ländlichen Raum, ziehen eine erste Bilanz der Politik der vergangenen Jahre und weisen auf die immensen Herausforderungen hin, vor denen die künftige Bundesregierung mit Blick auf Landwirte und andere Naturnutzer steht. Wir schauen nach Rheinland-Pfalz, wo der Wolf ins Jagdrecht aufgenommen werden soll. Und zum Schluss noch ein Thema, das vor allem die Jäger unter uns – aber nicht nur sie – ebenfalls stark interessieren dürfte: Wild im Winter.
An diesem Sonntag werden die politischen Karten in Deutschland endlich neu gemischt. Viel zu lange hatte die Berliner Ampelkoalition intern streiten und zentrale Aufgaben vernachlässigen können. SPD, Grüne und Liberale waren nach der letzten Bundestagswahl mit großen Ambitionen gestartet. Doch am Ende blieben bei allen Beteiligten – voran den Bürgern – nur Enttäuschung, Frust und teils heftiger Zorn über Versäumnisse und strategische Fehlentscheidungen.
Dieses politische Debakel ist vor allem mit zwei Namen verbunden: Olaf Scholz und Robert Habeck. Der SPD-Kanzler vermochte es praktisch nie, die versprochene Führungsstärke zu zeigen, überzeugende politische Akzente zu setzen oder zumindest sein Verhalten den Bürgern plausibel zu erklären. Das ist für einen Kanzler eine denkbar schwache Leistungsbilanz. Noch düsterer sieht es beim grünen Wirtschaftsminister in der Ampelkoalition aus. Habeck brachte die Bürger mit einem unsäglichen Heizungsgesetz auf der Palme. Er verunsicherte kleine und größere Betriebe mit immer neuen ideologisch motivierten Vorschriften und Programmen. Das Ergebnis: wirtschaftlicher Stillstand in Deutschland und teilweise sogar Rückschritt. Damit ist Habeck bei der wichtigsten Aufgabe eines Wirtschaftsministers – Berechenbarkeit für Zukunftsinvestitionen zu schaffen und Impulse für anhaltendes Wachstum zu setzen – krachend gescheitert. Nicht zuletzt im ländlichen Raum ist seine Politik daher auf viel Widerstand und Unverständnis gestoßen. Man denke hier nur an die heftigen Proteste der Landwirte und anderer Naturnutzer vor einem Jahr.
Wahl noch nicht gelaufen
Man kann nur hoffen, dass nach der morgigen Bundestagswahl ein anderer politischer Wind weht. In Berlin muss möglichst schnell eine handlungsfähige und energisch agierende Regierung gebildet werden. Das könnte jedoch schwierig werden. Denn niemand sollte sich täuschen: Die Wahl ist noch keineswegs gelaufen, auch wenn die Umfragen auf einen klaren Vorsprung der Union hindeuten. Denn erstens haben sich Demoskopen schon oft getäuscht und zweitens bleibt ungewiss, ob am Ende eine Zweier- oder womöglich doch wieder eine Dreier-Koalition notwendig sein wird. Letzteres gilt es möglichst zu verhindern. Denn die letzten Jahre haben gezeigt, wie schwer ein Bündnis zu dritt auf einen gemeinsamen Nenner kommen kann. Zu viele Partner könnte auf zu viel Blockade hinauslaufen. Wie knapp es am Sonntag zu werden droht, zeigt das letzte ZDF-Politbarometer vor der Wahl: CDU 28 Prozent, AfD 21, SPD 16, Grüne 14, Linke 8 sowie FDP und BSW jeweils 4,5 Prozent. Umso wichtiger, dass auch im ländlichen Raum möglichst viele Bürger zur Wahl gehen, um ihren spezifischen Interessen und Anliegen mit der Stimmabgabe Geltung zu verschaffen.
Die Herausforderungen sind immens, denn anders als früher sind Deutschland und die Europäer zunehmend auf sich allein gestellt. Dies hat die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten Vance am vergangenen Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz in brutaler Weise deutlich gemacht. Der neue Kurs in Washington wird auch bei uns zu schmerzhaften Anpassungen führen, die jeder Bürger zu spüren bekommt. Hier geht es nicht nur um drastisch höhere Verteidigungsausgaben, sondern auch um einen drohenden Zollkrieg mit den USA. Unter der Entwicklung könnten nicht zuletzt die deutschen Agrarexporte leiden, die eine wichtige wirtschaftliche Stütze im ländlichen Raum sind. Denn Lebensmittel aus Deutschland sind international stark nachgefragt.
Ländliche Themen nur am Rande
Alles in allem verlief die Schlussphase des Wahlkampfs vergleichsweise geordnet und fair. Ärgerlich und zugleich bezeichnend ist jedoch, dass die spezifischen Themen des ländlichen Raumes – wenn überhaupt – eher am Rande behandelt wurden. Dies gilt für die weiterhin unzureichende Versorgung mit schnellem Internet über schlechte Verkehrsanbindungen bis hin zu den großen Herausforderungen in den Bereichen Klimawandel und Landwirtschaft. Ein Beispiel sind die geplanten und fast schon für selbstverständlich gehaltenen Solarparks über landwirtschaftlichen Flächen. Dabei geht eine solche Form der Nutzung zu Lasten der Ernährungssicherheit. Außerdem gibt es genug ungenutzte Dächer von Privathäusern, Behörden, Einkaufszentren und Fabriken, die zur Energiewende beitragen könnten – vorausgesetzt, dass dafür die politischen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden. Zu den Forderungen der Landwirtschaft gehören im Übrigen etwa Biodiversität und Naturschutz ohne Ordnungsrecht und Verbotspolitik, eine wirksame und ernst gemeinte Initiative zur Entbürokratisierung sowie, die Leistung der Land- und Forstwirtschaft beim Klimaschutz zu honorieren und erneuerbare Energien zu fördern.
Apropos Finanzen. Vielen Kommunen gerade in strukturschwächeren Regionen droht der finanzielle Kollaps. So hatten die kommunalen Spitzenverbände für das vergangene Jahr ursprünglich mit einem Defizit von etwas mehr als 13 Milliarden Euro gerechnet. Tatsächlich beträgt das Minus bereits nach den ersten drei Quartalen fast 25 Milliarden Euro, berichtete das Handelsblatt. Hier geht es nicht um irgendwelche abstrakten Summen, sondern um ganz konkrete Vorhaben, die gerade im ländlichen Raum jeder Bürger vor Ort unmittelbar spürt: in seinem Verein, bei der Feuerwehr oder auch in der Jugendarbeit. Kurzum, die Kommunen brauchen einen höheren Anteil bei der Verteilung der Steuereinnahmen. Auch dieses Thema ist im Wahlkampf leider unterbelichtet geblieben.
Erfolg für Jäger und Bauern
Dass politischer Druck von Naturnutzern durchaus positive Wirkung haben kann, zeigt sich aktuell in Mainz. Dort haben sich jetzt die Landtagsfraktionen der Regierungskoalition und das zuständige Ministerium auf eine Aufnahme des Wolfs in das Jagdrecht verständigt. Vorausgegangen war ein entsprechender Vorstoß des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau (BWV) und der Interessengemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer (IGJG). Sie hatten in der Debatte um die Novellierung des Landesjagdgesetzes umfangreiche inhaltliche Stellungnahmen eingebracht. Der IGJG-Vorsitzende Josef Schwan sagte: „Nicht nur für die Tierhalter in den Mittelgebirgsregionen, sondern auch für die Grundeigentümer und Jagdgenossen ist dies ein wichtiges Signal, dass ihre Sorgen endlich von der Politik wahrgenommen werden.“ BWB-Präsident Marco Weber sprach von einem ersten Schritt in die richtige Richtung: „Gerade in letzter Zeit haben nachgewiesene Übergriffe von Wölfen in unserem Verbandsgebiet hier im nördlichen Rheinland-Pfalz enorm zu zugenommen.“ Der Wolf scheine die Scheu vor den Menschen verloren zu haben, da er auch in Ställe eindringe. Die neue Bundesregierung müsse nunmehr dafür sorgen, dass auch der Schutzstatus des Wolfs durch die Europäische Union abgesenkt werde. Bund und Länder müssten dann praktikable Vorgaben für ein wirkungsvolles Bestandsmanagement und zur Entnahme auffälliger Wölfe erarbeiten.
Zum Schluss noch ein Blick in unsere heimischen Wälder. Knackig kalte Luft und zumindest in den Mittelgebirgen und alpinen Regionen winterlicher Schnee locken die Menschen in die Natur. Kaum jemand denkt dabei daran, dass Wald und Wild nun im Wintermodus sind. Die Tierarten haben verschiedene Strategien, damit umzugehen. Besonders das wiederkäuende Wild durchlebt gegenwärtig eine schwere Zeit. Das Nahrungsangebot ist nicht nur gering, sondern auch qualitativ deutlich schlechter als im Sommer. Reh und Hirsch haben sich daran angepasst, indem sie den Stoffwechsel herunterfahren. Ihr Energiehaushalt läuft auf Sparflamme. In der jetzigen Phase des Spätwinters aber sind die Reserven weitgehend aufgebraucht. Jede Beunruhigung ist deshalb extrem kräftezehrend und kann im schlimmsten Fall tödlich sein. Unser Autor Christoph Boll erläutert in der kommenden Woche in einem Blog-Beitrag die Anpassungsstrategien des Wildes an die kalte Jahreszeit und plädiert für winterliche Ruhe im Revier als erste Jäger- und Bürgerpflicht.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und morgen einen Wahltag mit einem auch für den ländlichen Raum guten Ergebnis.
Mit den besten Grüßen
Ihr Jürgen Wermser
Redaktionsleitung/Koordination
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