Unsere Wochenkolumne nach dem schwarz-roten Schulterschluss
- Jost Springensguth
- vor 19 Stunden
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Stunden

Liebe Leserin, lieber Leser,
wir können nach dieser historischen Woche hoffentlich eine stabile Regierung erwarten. Die noch zu bestätigende Koalition heißt nicht groß, sondern nutzt die im Sprachgebrauch gängigen Parteifarben schwarz-rot. Der Titel lautet schlicht „Verantwortung für Deutschland“. Er enthält die Aussage „Die Mehrheit der Menschen in Deutschland lebt in ländlichen Regionen“. Das wird in der Alltagspolitik und ihren Schlagzeilen oft vergessen, trifft aber die Motivation für die Themen, mit denen sich unsere Redaktion von natur+mensch regelmäßig im Blog und diesem regelmäßigen Wochenkommentar und ihrem E-Mail-Newsletter befasst. Wir blicken so insbesondere durch die Brille der Jagd auf ihr gesamtes Umfeld, mit dem sie in der Praxis vielfältig vernetzt ist. Vieles geht von der Politik aus, wenn wir unsere Kommunikation unter die Erkenntnis setzen „Jagd funktioniert nur, wenn der ländliche Raum funktioniert“.
Auch ich war der Empfänger einer WhatsApp-Nachricht am Mittwoch aus einer Berliner Quelle über erste Inhalte des Koalitionsvertrages mit dem vermeintlichen Schlusspunkt einer Personalliste für das geplante Kabinett. Sofort folgte der Hinweis „Liste ist alt“. Das deutet darauf hin, dass die kursierenden und inzwischen weit verbreiteten mutmaßlichen Namen für die Damen und Herren Minister im Verhältnis von CDU, SPD und CSU mit 7-5-3 aus dem inneren Kreis versehentlich zu früh herausgelassen wurden. Die Liste wurde wieder einkassiert, kursierte aber in verschiedenen Social-Media-Kanälen. Formal sind die Personalentscheidungen nicht gefallen. Vielleicht besteht auch noch Korrekturbedarf.
Gleichwohl sind da Namen in der Welt, auf die es zum Teil herauslaufen wird. Zunächst einmal ist die Kabinettsstruktur gerade für unseren Bereich bemerkenswert. Es gibt zwar ein Ministerium mehr. Das ist aber nicht darauf zurückzuführen, dass „Ernährung, Landwirtschaft und Heimat“ (CSU – Michaela Kaniber?) und „Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit“ (CDU – Andreas Jung?) neu zugeschnitten werden. Die Bayerin und der Baden-Württemberger hätten, wenn es denn so kommt, in den vielen absehbaren Schnittbereichen wenig zu erwartende Abstimmungsschwierigkeiten. Das wäre für Landwirtschaft und Forst unter Einschluss der jagdlichen Belange sicher gut. Warten wir mal ab, was dann am Ende nach Zustimmung der Parteigremien und insbesondere mit Blick auf die SPD-Mitgliederbefragung aus Spekulationen Wirklichkeit wird. Die Absegnung, die bereits am Donnerstag im einfachen Verfahren eines Vorstandsbeschlusses durch die CSU erfolgt ist, bleibt Voraussetzung für das Zustandekommen der Regierung Merz. Am 28. April soll das für die CDU der kleine Parteitag erledigen. Und dann ist wohl am 6. oder 7. Mai die Kanzlerwahl.
Dann kommt es auf die Inhalte an
Der Koalitionsvertrag will neues Vertrauen in die Lösungskompetenz des Staates auslösen. So haben es Friedrich Merz und Lars Klingbeil bei dessen Präsentation in den Arbeitsräumen des Deutschen Bundestages, dem „Paul-Löbe-Haus“, vermittelt. Ihr Einigungsdruck kam von innen und außen. Drei Jahre Wirtschaftsflaute, offensichtlich falsche Weichenstellungen der Ampel sowie der poröse Zustand Europas. Vielleicht festigt sich da auch mit unserer designierten Kanzlerschaft nach dem Start eines amerikanischen Präsidenten, der konfus mit Wirkung auf die Weltwirtschaft und die internationale Sicherheit keinen Stein auf dem anderen lässt. Dementsprechend bewegt sich die Kritik am schwarz-roten Vertragswerk im Inneren nach erster Beobachtung für die Protagonisten von Union und SPD im Rahmen. Die Skeptiker sind in der Minderzahl und die Opposition reagiert so, wie sie reagieren muss.
Auf das Thema Finanzierung konzentrieren sich viele Kommentatoren. Da hängt nun einmal viel davon ab, ob und wie unsere Wirtschaft aus der Flaute kommt und damit Steuern und Sozialversicherungsbeiträge durch bessere Geschäfte wieder anziehen. Ein Lieblingskind der SPD, der Mindestlohn etwa, wird im ländlichen Bereich möglicherweise Folgen auslösen, die noch nicht abzusehen sind. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat die Gesamtkosten der geplanten Entlastungen auf 50 Milliarden Euro prognostiziert.

Dagegen stehen erst einmal verabredete „Eigenleistungen“ der neuen Koalition zur Finanzierung wie Einsparungen durch die Reduzierung der Verwaltungskosten bis 2029, durch weniger Stellen, Halbierung der Zahl der Regierungsbeauftragten (bisher 43). Allein das Büro der beauftragten Staatsministerin für Migration hat neben ihrem Leitungspersonal acht weitere Referate. Das ist nur ein beispielhafter Einzelfall dafür, was hinter der Funktion der Beauftragten steckt. Die Finanzierbarkeit dessen, was im Koalitionsvertrag steht, wird gleichwohl ein Knackpunkt für den Regierungsalltag bleiben. Zum Thema solider Staatsfinanzen begleitet mich im Büro seit vielen Jahren ein heute noch wahrlich aktuelles Zitat von Cicero (siehe Bild rechts).
Was haben die Menschen im ländlichen Raum zu erwarten?
Unser Autor Christian Urlage hat sich bereits in seinem aktuellen Beitrag im Detail damit beschäftigt, was die Menschen zu erwarten haben, die im ländlichen Raum leben und zum überwiegenden Teil auch arbeiten. Er ist das erst einmal technisch über die Volltextsuche in den 146 Seiten Koalitionsvertrag mit dem Stichwort „ländlich“ angegangen. Das hat immerhin 24 Treffer gebracht. Dazu gehören natürlich Landwirtschaft, Waldwirtschaft, Ernährung, Umwelt bis hin zur Jagd. Da fällt auf, dass künftig das Thema Wolf mit einer „rechtssicheren Entnahme“ anders angegangen werden soll als bisher. Der geplante Herdenschutz wird auch Auswirkungen auf viele Reviere haben. Jedenfalls wird angekündigt, den Wolf ins Jagdrecht zu nehmen. Zur Bekämpfung des illegalen Waffenbesitzes soll das Waffenrecht „evaluiert und fortgeschrieben werden“. Das lässt auch in diesem Bereich für unsere Jägerinnen und Jäger auf mehr Rechtssicherheit und sachgerechte Behördenarbeit hoffen.

Und es wird auch betroffene Landwirte freuen, dass beim sicher dringenden Netzausbau mehr auf Freileitungen gesetzt werden soll als wie bisher auf Erdkabel. Diese führen für betroffene Landwirtschaftsbetriebe bei allen Entschädigungsregelungen nun einmal zu erheblichen Eingriffen. Ein Betroffener im Teutoburger Wald, bei dem Erdverlegung bereits läuft, hat mir gezeigt, wie es aussieht, wenn der obere Boden eines Ackers abgetragen wird und auf ca. 50 Metern Breite ein kilometerlanger Graben gezogen wird. Er erwartet bei diesem Eingriff in sein Eigentumsrecht eine „Fußbodenheizung“ unter seinen Feldern, die im Normalbetrieb rund 40 Grad abgeben wird und im Höchstbetrieb auf bis zu 80 Grad ansteigt. Der Netzbetreiber Amprion hatte sich bereits auf den Vorrang von Erdkabeln festgelegt und beklagt nun die neue Richtungsentscheidung zu diesem Thema. Für die zweite Leitung, die ebenfalls durch den Teutoburger Wald führt, muss damit bald wohl umgeplant werden. Für die Netzkosten kann das nur gut sein: Erdkabel verursachen wesentlich höheren Aufwand als Freileitungen. Mit dem Thema haben wir uns ebenfalls vor einiger Zeit im Blog befasst.
Ungleichgewichte verstärken sich
Die Strukturen zwischen urbanen und ländlichen Räumen verändern sich. Bei allen politischen Bemühungen verstärken sich Gegenbewegungen. So hat jetzt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden prognostiziert: Der demografische Wandel wird ländliche Regionen sehr viel stärker treffen als Großstädte. Wo heute schon verhältnismäßig viele Senioren leben, werde sich das Ungleichgewicht zwischen Alt und Jung dagegen weiter verschärfen. Man beobachte, dass jüngere Menschen zunehmend Perspektiven für Studium und Beruf in den Großstädten suchen. Der Trend werde sich in den nächsten Jahrzehnten verstärken. Was das Institut nicht registriert hat, aber Zahlen belegen, ist die Zunahme von Menschen aus den Ballungsregionen, die Jagdscheine erwerben wollen.
Bleiben wir zum Schluss dieser Wochenkolumne in der Natur. Sie zieht sich im Kalender bei uns langsam nach vorn. Aufspringende Knospen und Blüten faszinieren uns, wenn wir nach draußen gehen. Einen weiteren Beleg für Veränderungen in der Natur liefern neben Meteorologen oder Klimawissenschaftlern Schweizer Forscher. Dank des milden Frühlings erscheinen auch dort die ersten Zugvögel bereits früher als je zuvor. Nach den Beobachtungen in der Schweiz waren die Sommergäste vor einem halben Jahrhundert dort in dieser Zeit noch nicht zu sehen. Auch bei uns sind beispielsweise viele Störche bereits zurück.
Auch wenn der notwendige Regen kommen sollte, lohnt es sich gerade in dieser Zeit, rauszugehen und die Natur zu genießen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes Wochenende.
Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination
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