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- Leben nach der Feuersbrunst
Mit sandigen Böden und sehr vielen Kiefern gehört Brandenburg zu den trockensten Gegenden bundesweit. Großflächige Brände haben dort zu schweren Schäden geführt. Jetzt hat die Wissenschaft erste Ergebnisse präsentiert, wie die Zukunft dort aussehen kann Symbolbild: geralt Die Erinnerung kehrt zurück ins Jahr 2018. Tausende Hektar Wald standen in diesem Sommer allein in Brandenburg in Flammen. Die langanhaltende Dürre im Frühsommer des Jahres – ältere Einheimische sprachen sogar von einer Jahrhundertdürre –, dazu immer wieder aufkommende Winde setzten vor allem zwischen Potsdam, den Kreisen Mittelmark und den westlichen Ausläufern der Stadt Berlin ganze Landstriche in Flammen. Besonders heikel damals: Als Folge der schweren Kämpfe zum Ende des Zweiten Weltkrieges, die vor allem im Großraum Berlin und im Gebiet zwischen der Oder und Berlin getobt hatten, lagen Hunderte Bomben und Weltkriegsmunition im Erdreich . Das Feuer ließ einige davon explodieren. Folge: Dörfer mussten evakuiert werden, der Kampfmittelräumdienst war im Dauereinsatz, Explosionen der Weltkriegsmunition und Bomben waren sogar bis in den Westen Berlins zu hören. Gruseln im politischen Großstadt-Betrieb, der aber schnell wieder zur Berlin-Mitte-Zentriertheit überging. Nur mit einem riesigen Aufgebot der Feuerwehr, des Technischen Hilfswerks und sogar der Bundeswehr konnte das Feuer im westlichen Brandenburg nach einigen Wochen gelöscht werden. Ein Jahr später brannte es wieder, diesmal weiter östlich. Zurück blieben verbrannte Waldflächen, nicht mehr benutzbare Felder, Millionenschäden für private und staatliche Waldeigentümer. Und die bange Frage: Wie kann Forstwirtschaft, wie können Bäume überhaupt wieder dort wachsen, wo Flammen hektarweise die Böden vernichtet und verbrannt hatte? Wie erholen sich die Böden? Es gibt nun erste gesicherte Erkenntnisse darüber, wie das gelingen kann. Wissenschaftler von acht Institutionen aus ganz Deutschland untersuchten eine 2018 abgebrannte Waldfläche in Treuenbrietzen und den 2019 verbrannten Wald im nicht weit entfernten Wildnisgebiet Jüterbog. Ein zentrales Ergebnis: Laubbäume wie vor allem die Zitterpappel haben sich seit der Feuersbrunst gut bis sehr gut entwickelt. Sie sind widerstandsfähiger gegen Feuer als zum Beispiel Kiefern. Nach Angaben von Pierre Ibisch, Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, haben die Zitterpappeln in den beiden untersuchten Forstgebieten schon jetzt eine Höhe von etwa fünf Meter. „Diese Laubbäume, die sich durch natürlichen Samenflug ausbreiten, sind wohl eine Art Überlebenskünstler“, fasste der Professor für Sozialökologie der Waldökosysteme nach Auswertung der zentralen Forschungsergebnisse zusammen. Aber auch seltene Pilze und Exemplare des Haarscheinrüsslers, einer Käferart, wurden in den Untersuchungsgebieten entdeckt. Ibisch leitete das fünfjährige Forschungsprojekt „Pyrophob“ zu Auswirkungen von Waldbränden im Kiefernforst – ein bundesweit einzigartiges Projekt. „Kiefernsetzlinge haben kaum eine Chance“ Einige weitere Ergebnisse: Die Bearbeitung der durch die Brände und die Trockenheit geschädigten Böden ist aktuell besonders aufwendig und teuer. Die Bodenstruktur, so steht es wörtlich in dem Bericht, habe sich durch das Feuer deutlich verschlechtert. „Neu gepflanzte Kiefernsetzlinge auf Kahlschlägen haben auf diesen Böden kaum eine Chance.“ Die Wissenschaftler plädieren dafür, Totholz nach Waldbränden auf den Flächen zu lassen. Auch habe es gewisse Unterschiede zwischen den untersuchten Forstgebieten gegeben: Während sich die Natur in Treuenbrietzen nach dem Feuer 2018 bereits wieder recht gut erholt habe, sei die Lage in Jüterbog immer noch nicht so gut. Dort hatte es 2019 gebrannt. Biologe Ibisch: „In Jüterbog finden wir selbst für Brandenburg extrem sandige Böden. Mit fortschreitendem Klimawandel müssen wir damit rechnen, dass die Ökosystemerholung nach derartigen Störungen wie Feuer und Hitze weniger zuverlässig sein wird.“ Dies habe Aussagekraft auch für andere Regionen und weit über Brandenburg hinaus. Am 1. März wurde in Brandenburg offiziell die Beobachtung der Waldbrandgefahr wieder aufgenommen. Man hofft, wie in den beiden vergangenen Jahren durch ausreichend Regen glimpflich davonzukommen. Eine Sicherheit dafür gibt es nicht.
- Ein Blick auf die Woche in Berlin und auf das Land in seiner schwarz-blauen Teilung
Liebe Leserin, lieber Leser, nach dem Wahlkampf ist in Bezug auf Hamburg noch vor dem Wahlkampf. Entgegen ursprünglicher Planung mit Rücksicht darauf trafen sich gestern bereits zwei je neunköpfige Sondierungsgruppen von Union und SPD. Daneben ist es so, wie es ist: Wir haben uns erst einmal an die Stärke radikaler Kräfte zu gewöhnen und hoffen, dass die Mitte durch möglichst kluges Regierungshandeln wieder reanimiert wird. Da hilft vielleicht der Blick auf die ländlichen Räume, den wir weiter immer wieder schärfen. Und dann ist da noch der Beginn des Jagdjahres und weil es nun einmal Karneval ist, gehen wir auch darauf ein: mit der Rolle einer Fleischerin. Seit dem Wahlsonntag wissen wir: Unser Land bleibt irgendwie zweigeteilt . Auf der vielfach in dieser Woche abgelichteten Deutschlandkarte dominieren Blau im Osten und Schwarz im Westen – mit kleinen grünen und roten Ausreißern. Die Trennlinie verläuft genau dort, wo einmal eine Grenze war. Vor gut drei Jahrzehnten waren wir froh, sie endlich überwunden zu haben. Wahlforscher und Kommentatoren überbieten sich in Analysen und Erklärungen, warum die Deutschen so gewählt und die Mitte abgestraft haben. Auch wir beteiligen uns mit den Beiträgen im Blog. Unser Autor Frank Polke schrieb dazu : „ Doch beim genauen Blick auf die Landkarte zeigen sich im Februar 2025 scharfe Schnittkanten auf zwischen Stadt und Land, zwischen Jung und Alt, zwischen der Demokratie zu- oder abgewandten Milieus.“ Die Frage: Warum hat die AfD ausgerechnet in den dünn besiedelten Wahlkreisen ihre besten Ergebnisse geholt? Wir erkennen eine wachsende Kluft in Stadt und Land. Die Antworten verstehen wir in unserem journalistischen Blog als Auftrag, bei diesen Themen zu bleiben. Unterdessen fangen der designierte Kanzler Friedrich Merz und für die SPD der neue Fraktionsvorsitzende und Co-Parteichef Lars Klingbeil an, sich nach der Sondierung für die von beiden angestrebten Koalitionsgespräche in Stellung zu bringen. Noch sind Teile ihrer Parteien zunächst weiter im Wahlkampfmodus. Am morgigen Sonntag wählt Hamburg seine neue Bürgerschaft. Für die SPD wird es trotz möglicher Verluste mit dem dann doch erwarteten Sieg von Peter Tschentscher wieder Balsam für die Parteiseele geben. Zur Abschlussveranstaltung hat er Malu Dreyer eingeladen – also große Distanz zum aktuellen Berlin und zu dem SPD-Desaster dort. Die Union setzt in der Hansestadt dagegen auf den Merz-Effekt bei persönlichem Erscheinen und plakatiert mit seinem Bild und aktuellem Bezug neu : „Weil’s so schön war: Jetzt auch in Hamburg CDU wählen.“ Die Grünen erwarten neben der Spitzenkandidatin Katharina Fegebank nicht mehr Robert Habeck. Sie schicken neben Ricarda Lang Annalena Baerbock zum „Wahlkampfhöhepunkt“ in den Gänsemarkt. Die noch geschäftsführende Außenministerin scheint energisch ihre neue Rolle in der Partei finden zu wollen. Nach den letzten Umfragen wird es am Ende im Rathaus rot-grün weitergehen. Die Anbahnung einer Zwangsehe Zurück nach Berlin. Dort bahnt sich eine Zwangsehe an, über die letztlich bei Einhaltung der Brandmauer die Wähler entschieden haben. Die Süddeutsche formulierte dazu diese bemerkenswerte Zeile: „ Die Union ist an eine SPD gekettet, die durch die Trümmer ihrer Wahlergebnisse watet.“ Merz und Klingbeil müssen also zusammenfinden. Und die Truppen dahinter auch. Erst einmal konzentriert sich alles auf die Außenpolitik mit den transatlantischen Verwerfungen, die Ukraine- sowie Nato- und EU-Zukunft. Die sich zwangsläufig daraus ergebenden Haushaltsfragen strahlen in die Innenpolitik mit den Kernforderungen, die oben auf der Agenda stehen: Migration, Sicherheit und Soziales. Dahinter öffnet sich im nächsten Schritt die Palette breiter Themen mit ersten Debatten zur Frage, wer macht in Zukunft was in den Fraktionen und einem neuen Kabinett. Wer sich da in Stellung bringt oder gebracht hat, zeichnet sich schon ab. Bei der SPD ist Pistorius in seiner Rolle gesetzt, obwohl viele Genossen ihn gerne weiter vorne sehen würden. Um Merz wuseln mit hoher Sichtbarkeit Frei, Klöckner und Spahn sowie Söder, der in Bayern bleibt. Er wird aber immer dabei sein. So hat er schon lange vor der Wahl den dortigen Landes-Bauern-Präsidenten Günther Felßner so in Stellung gebracht, dass ihn der designierte Kanzler wohl an den Kabinettstisch nehmen muss. Der Kandidat stammt wie Söder aus dem Raum Nürnberg und ist als Agraringenieur und Milchviehhalter ein Praktiker. Kritiker schießen sich schon auf ihn ein und mahnen grüne Öko-Spitzenthemen wie Reduzierung der Tierhaltung an. Für ein mögliches Ministeramt in der künftigen Bundesregierung wäre ein Mandat aber auch keine zwingende Voraussetzung. Ein paar bemerkenswerte neue Gesichter mit übernommenen Polit-Genen Der neue Bundestag hat nicht nur weniger Abgeordnete, sondern auch ein paar bemerkenswerte neue Gesichter mit Bindung an frühere Granden der Politik: Caroline Bosbach, den Kohl-Enkel Johannes Volkmann, Frederik Bouffier sowie Sandra Carstensen als Frau eines Ex-Ministerpräsidenten. Die Schleswig-Holsteinerin hält es wie ihr Mann Peter Harry: „Nicht lang schnacken – anpacken.“ Ihr, so versprach sie in ihrem Wahlkampf, liege die Förderung des ländlichen Raumes besonders am Herzen. Wir werden wohl weiter von ihr hören. Wie übrigens auch von der neuen CDU-Abgeordneten Nora Seitz aus Chemnitz. Sie ist Landesinnungsmeisterin des sächsischen Fleischerverbandes und dort mit ihrer Mutter zu Hause. Auf diesen Handwerksberuf und eine Berufskollegin kommen wir zum Ende dieses Textes zurück. Regiejagd oder Wirtschaftswald mit Wild Foto: Rainer Sturm / pixelio.de Am 1. April beginnt ein neues Jagdjahr. Dann wird so manches Revier einen anderen Pächter bekommen. Besonders in den südlichen Bundesländern fragen sich aber seit einigen Jahren Kommunen und Jagdgenossenschaften, ob sie nicht besser zur Eigenbewirtschaftung, der sogenannten Regiejagd, übergehen sollen. Sie argwöhnen, dass der Verbiss von Bäumen in ihren Wäldern zu hoch und damit der Abschuss von Reh und Hirsch zu niedrig ist. Unser Autor Christoph Boll stellt in einem Blog-Beitrag in der kommenden Woche eine Studie der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg vor, deren Ziel die Erstellung eines „Blitzhandbuchs“ für den Aufbau einer eigenbewirtschafteten Jagd ist. Ausgangspunkt ist die Untersuchung von Verbreitung und Aufbau von jagdlichen Eigenbewirtschaftungen. Erste Ergebnisse zeigen, dass ein Wechsel für die Grundeigentümer nicht nur den Entfall oft beträchtlicher Pachtzahlungen bedeutet, sondern mit Kosten von bis zu mehr als 90 Euro je Jahr und Hektar sogar richtig teuer werden kann. Diese Bereitschaft, kräftig draufzuzahlen, hat längst Unternehmen auf den Plan gerufen. Als selbsternannte Dienstleister bieten sie den Waldbesitzern an, alle Aufgaben rund um die Jagd zu übernehmen und für den gewünschten radikalen Abschuss des Wildes zu sorgen. Dahinter steht eine Jagdauffassung nach der Devise „Wald vor Wild“. Reh, Hirsch und Gams werden dabei als Störfaktoren begriffen, die es möglichst auszuschalten gilt. Diesem Waldbau mit der Büchse konträr gegenüber steht das Konzept, dem die Stiftung natur+mensch und damit unser Blog verpflichtet ist. Es setzt auf einen Wirtschaftswald mit Wild . Durch einen biologischen, aber auch gesellschaftsgerechten Umbau bietet dieser Wald den Wildtieren einen an ihren biologischen Bedürfnissen angepassten Lebensraum, wobei dieser nicht bzw. nur unwesentlich beschädigt wird. Karneval und Gaumenfreuden: Mett für alle Und noch ein Ausflug aus dem Revier ins Getümmel: An diesem Wochenende wird in großen Teilen unseres Landes (überwiegend dort, wo die zitierte Karte nach der Wahl schwarz eingefärbt ist) Karneval gefeiert . Eine der ausgemachten Hochburgen ist Köln. Dort habe ich mal neun Jahre gelebt und gearbeitet. Eingebrannt ist in meiner Erinnerung, wie ausgeprägt sich zu dieser Zeit die Lebensfreude auch in saisonalen Trink- und Essgewohnheiten zeigt. Im Gürzenich etwa wird bei Prunksitzungen die Nostalgie gepflegt, indem unter anderem als Relikt aus den 60er bis 80ern immer noch Käseigel neben den Getränken auftauchen. Und bei den vielen privaten und öffentlichen Feiern dürfen natürlich Kölsch und Mettbrötchen nicht fehlen. Auch das ist immer noch für viele „Genuss pur“. Und das mit dem Nebeneffekt, dass Protein in Fleisch, Fisch, Eiern und Milchprodukten nicht nur nach meiner Überzeugung zu einer ausgewogenen Ernährung gehört. Zufällig habe ich in dieser Woche von der „rätselhaften Faszination des Metts“ gelesen. Der Artikel hat mich über Instagram zu Sabine Eckart geführt, die mit ihrem Mann im Stadtteil Lindenthal „Kölns hippste Metzgerei“ betreibt, wie das für genüssliche Ernährung zuständige Fachmagazin „Der Feinschmecker“ schrieb. Die Eckarts im Netz : „Seit 1965 planen, wursten, kochen und liefern wir für Sie in Köln.“ Aktuell wirbt die Familienmetzgerei in fünfter Generation weiter mit dem Spruch „Karnevals-Mett für alle“ . Der Aufruf zur Vorbestellung des Mett-Pakets („1 gutes Kilo Eckart-Mett vom Ruhrtaler Freilandschwein,10 frische Bäcker-Brötchen, 1 großer Becher mit Liebe handgeschnibbelter Zwiebeln, dazu beste Heumilch-Butter und unsere Mettbrötchen-Postkarte als Gebrauchsanleitung“) traf ins Volle: Jetzt war Weiberfastnacht bei Eckarts in Instagram dann zu lesen: „Unser Cateringservice ist Karneval komplett ausgebucht und wir können nicht mal mehr eine Mettbrötchenplatte annehmen. Sorry!“ . Das verbinde ich mit meinen Wünschen zum Wochenende. Auch andere machen anderswo leckeres Mett. Das ist eine Abwechselung zum Karneval alternativ zu dem von uns immer wieder empfohlenen Genüssen, die lecker verarbeitetes Wildbret bietet. Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination
- Die Grünen verlieren auf dem Land an Boden
Baden-Württemberg blickt schon auf die Landtagswahl 2026. Die grüne Regierungspartei landet bei der Bundestagswahl hinter CDU, AfD und SPD nur noch auf dem vierten Platz. Für Cem Özdemir noch ein „Heimspiel“? Cem Özdemir (Foto: Verena Müller) Schaut man nach der Bundestagswahl auf die Zweitstimmen-Karte aller Gemeinden, dann ist Baden-Württemberg pechschwarz. Mit einigen AfD-Einsprengseln und wenigen grünen Ausnahmen. Sozialdemokratisches Rot sucht man ohnehin vergebens. Alles in CDU-Butter also, wenn im Frühjahr 2026 ein neuer Landtag gewählt wird, der erste in einem Flächenland unter einer neuen Bundesregierung? Nicht ganz! In der CDU zeigt man sich irritiert zufrieden. Zum einen liegt man bei einem Plus von drei Prozentpunkten mit 31,6 Prozent über dem Bundesschnitt und hält die AfD (19,8 Prozent mit einem Plus von über zehn Prozent) auf Abstand – auch wenn die in 31 der 38 Wahlkreise an zweiter Stelle lag. Obendrein verbuchten alle CDU-Kandidaten ein um mehr als sechs Prozent über dem Landesschnitt verbessertes Ergebnis. Die Arbeit der Basis läuft gut. Andererseits sind 31,6 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Zumal sechs Direktkandidaten wahlrechtsbedingt nicht die Reise nach Berlin antreten dürfen, obwohl sie die meisten Erststimmen erhalten hatten. Dass gerade die Stimmen aus dem Südwesten besonders laut sind, die eine erneute Änderung des Wahlrechts einfordern, ist da nicht nur parteipolitisch verständlich, sondern basisdemokratisch nachvollziehbar. Und es gibt noch einen Wermutstropfen. Nach wie vor schafft es die CDU nicht so richtig, verlorenen Boden in den Großstädten wettzumachen. Dennoch: Die Union festigt vor der Landtagswahl vorerst ihre Pole-Position. Was umso richtungweisender sein könnte, weil die Grünen im Ländle dramatisch zurückfallen und 2026 obendrein auf den satten Kretschmann-Bonus verzichten müssen. Ob ihr Spitzenkandidat Cem Özdemir diese Lücke wird füllen können, wird unter Grünen zunehmend in Frage gestellt. Peilten die Grünen nach ihrem Landtagswahltriumph von 2021, als sie sagenhafte 32,6 Prozent holten, noch an, zur dominierenden Baden-Württemberg-Partei zu werden, so wurden sie an diesem Wahlsonntag regelrecht durchgereicht und landeten am Ende hinter der AfD und der SPD (die ihr schlechtestes 2021-Ergebnis von 16,4 Prozent noch einmal um 2,2 Punkte unterbot und bei den Erststimmen mit erbärmlichen 12,9 Prozent sogar auf dem drittletzten Platz einlief) nur noch auf Platz 4. Özdemir gibt sich nur noch verhalten optimistisch Vor allem in den ländlichen Regionen rutschten die Grünen ab. Der Traum, sich nicht nur in den größeren Städten zu etablieren, sondern sich auch auf dem Land zu verankern, ist erst einmal ausgeträumt. Mit einem Zweitstimmenergebnis von 13,6 Prozent blieb man nicht nur weit hinter den 17,2 Prozent von vor fünf Jahren zurück, sondern auch hinter den Einbußen auf Bundesebene. Kein Wunder, denn alle grünen Kandidaten verloren in ihren Wahlkreisen an Boden. Einzige Ausnahmen: Stuttgart, Freiburg und Karlsruhe Stadt. Auf dem Land dagegen gab es nichts zu holen. Noch ist es zu früh, daraus für die Landtagswahl Prognosen abzuleiten. Niemand weiß, ob der junge CDU-Spitzenkandidat Manuel Hagel genug politische Substanz hat, um gegen den erfahrenen Özdemir zu punkten. Noch weiß keiner, wie sich die unvermeidliche Kompromisslinie einer schwarz-roten Koalition im Bund auf die Stimmung im Land auswirkt. Einem Land, in dem besonders misstrauisch und sorgenvoll auf die Entwicklung der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer geschaut wird. Und noch wagt kaum einer eine Prognose, ob sich die FDP im Südwesten, die nur noch mit 5,7 Prozent ins Ziel kroch (fast zehn Prozentpunkte weniger als 2021) nach den Bundes-Turbulenzen wird so stark halten können, um ernsthaft auf eine christlich-liberale Koalition hoffen zu dürfen. Dass Linke (6,8 Prozent) und BSW (4,1 Prozent) tief in der politischen Diaspora auftrumpfen konnten, sei nur am Rande vermerkt. Auf Landesebene dürften sie weiter nur eine Nebenrolle spielen. Den Grünen droht damit eine Zäsur – ohne Kretschmann und bundespolitischen Rückenwind. Özdemir gibt sich verhalten zuversichtlich. Man habe „noch einige Baustellen“ vor sich. Gerade im ländlichen Raum haben die Grünen sicher geglaubten Boden verloren. Gerade da aber wird die Schlacht um den Sieg im Stuttgarter Landtag am Ende entschieden.
- Das Werben um Nachwuchs hat Erfolg: Grüne Berufe beliebt
In Deutschland wurden 2023/2024 in der „grünen Branche“ 13.686 neue Lehrverträge abgeschlossen. Bei den Landwirten gab es ein Plus von 2,3 Prozent, bei den Revierjägern sogar einen Anstieg um 28,6 Prozent Foto: Rike / pixelio.de Spannende Berufswettbewerbe, lehrreiche Auslandsaufenthalte, engagierte Ausbildungsbetriebe und attraktive Förderungsmodelle – in den Grünen Berufen wird viel dafür getan, junge Frauen und Männer zu gewinnen und zu halten. Das Werben um Nachwuchs zahlt sich aus. Nach den aktuell verfügbaren Zahlen wurden im Ausbildungsjahr 2023/2024 (1. Oktober bis 30. September) erneut fast genauso viele neue Ausbildungsverträge abgeschlossen wie im Jahr zuvor. Ein Erfolg für die Branche, denn insgesamt hat sich der Ausbildungsmarkt infolge der schwierigen konjunkturellen Entwicklung nach den jüngsten Erhebungen schlechter entwickelt als in den Jahren zuvor. Die stärkste Gruppe im Ausbildungssektor der Grünen Berufe bilden noch vor den Gärtnern (4769 neue Verträge) die Landwirte. 2023/2024 wurden nach Angaben des Bundesinstituts bei ihnen 4968 Verträge neu abgeschlossen – 110 mehr als im Vorjahreszeitraum. Auffällig: Unter den neuen Azubis sind immer mehr Frauen. 1259 junge Frauen haben sich diesmal entschieden, Landwirtin zu werden – gegenüber dem Vorjahr ein Plus von fünf Prozent. Steigender Anteil an Frauen auf ein Drittel in der Ausbildung Auch in den anderen landwirtschaftlichen Ausbildungsberufen geht es aufwärts. Bei der Ausbildung zur Fachkraft Agrarservice (Pflanzenbau, landwirtschaftliche Lohnunternehmen) gab es bei den Neuverträgen ein Plus von 13,5 Prozent. Deutliche Anstiege verzeichnen auch die Berufe Milchtechnologe (plus 9,2 Prozent), Milchwirtschaftlicher Laborant (plus 11,6 Prozent) und Tierwirt in der Fachrichtung Schweinehaltung (plus 10 Prozent). Die Zahl der neuen Ausbildungsverträge für den Beruf des Revierjägers erhöhte sich gegenüber dem Vorjahreszeitraum sogar um 28,6 Prozent. Schaut man sich diese Zahlen genauer an, fällt der steigende Anteil der Frauen in den Grünen Berufen ins Auge. Über alle Fachrichtungen hinweg werden inzwischen gut ein Drittel der neuen Ausbildungsverträge von Frauen abgeschlossen. Bei den Forstwirten trafen 17,9 Prozent mehr Frauen als im Vorjahr die Entscheidung, diesen Beruf zu ergreifen. Ähnliche Entwicklungen gab es auch bei den Milchwirtschaftlichen Laborantinnen (plus 17,9 Prozent), Fischwirtinnen (plus 300 Prozent) und Tierwirtinnen in der Fachrichtung Geflügelhaltung (plus 100 Prozent). „ Zukunft gestalten, Talente entfalten“ Zu den guten Zahlen tragen sicherlich die vielfältigen Aktionen bei, mit denen die Berufe in der Land- und Forstwirtschaft bekannt und attraktiv gemacht werden. Erst kürzlich wurde im Haus Düsse, dem Versuchs- und Bildungszentrum der Landwirtschaft im nordrhein-westfälischen Bad Sassendorf, der Berufswettbewerb der Landjugend 2025 gestartet. Dieser Leistungsvergleich findet alle zwei Jahre statt und wird von Tausenden jungen Fachkräften genutzt, um das Können in Praxis und Theorie unter Beweis zu stellen. Susanne Schulze Bockeloh, Vizepräsidentin des Deutschen Bauernverbandes (DBV), gehörte im Haus Düsse zu den prominenten Vertretern der Branche, die den Startschuss für den 37. Berufswettbewerb gaben. „Unser Nachwuchs zeigt mit hoher Motivation und auf beeindruckende Weise, dass die Grünen Berufe auf einer exzellenten Ausbildung basieren und für die Zukunft sehr gut gerüstet sind“, erklärte sie. „Zukunft gestalten, Talente entfalten“ lautet das Motto dieser besonderen deutschen Jugendmeisterschaften. Darin stecke, so die Landjugendvorsitzende Theresa Schmidt, nicht nur eine Herausforderung, sondern auch ein Versprechen: „Wer heute seine Fähigkeiten stärkt, gestaltet morgen die Landwirtschaft und die Gesellschaft.“ Über örtliche und regionale Ausscheidungswettbewerbe können sich die jungen Fachkräfte mit ihren praktischen Fertigkeiten und ihrem Fachwissen bis ins Bundesfinale vorkämpfen. Im Juni sollen die Siegerinnen und Sieger im Haus Düsse sowie in Ihringen in Baden-Württemberg gekürt werden. Zweifellos eine Zielmarke auch für jede, die gerade ihre Ausbildung begonnen haben.
- Wald und Wild im Wintermodus
Von frostresistenten Nadeln bis zu cleveren Energiespar-Tricks – die Natur hat faszinierende Strategien entwickelt. Doch menschliche Störungen gefährden das Überleben der Tiere in der kalten Jahreszeit Foto: Marisa04 Nun heulen sie wieder auf, die sogenannten Waldmopeds. Für Brennholzwerber ist derzeit Hochsaison. Mit ihren Motorsägen bringen sie das Feuerfutter auf die passende Kaminlänge. Sie nutzen dazu die Wintermonate, in denen Nadel- und Laubbäume ihren Wasserhaushalt auf ein Minimum reduzieren. Denn wenn nur wenig Wasser im Baum ist, kann auch kaum etwas gefrieren. Zugleich reduziert das die Trocknungszeit des Holzes, bis es in Ofen oder Kamin für wohlige Wärme sorgt. Der Wald ist an frostige Wintertemperaturen gut angepasst. Die Fichte, unser häufigster heimischer Nadelbaum, hat als typischer Baum der nördlichen, kalten bis extrem kalten Breitengrade ein Nadelkleid, dem frostige Wintertemperaturen nichts anhaben können. Auch der häufigste heimische Laubbaum, die Buche, kann den Minustemperaturen standhalten, da sie als sommergrüne Gehölzpflanze über den Winter die Blätter abwirft. Bevor das jedoch im Herbst geschieht, bereitet sie sich ebenso wie andere Laubbaumarten auf den Frost vor. Sie verlagern frühzeitig Nährstoffe aus den Blättern in den Baum selbst. Diese Zucker- und Eiweißverbindungen lösen sich im Zellsaft und senken den Gefrierpunkt der Zelle bis etwa minus 20 Grad Celsius, sodass sie nicht in der Kälte aufplatzen. Das Prinzip ähnelt dem eines wassergekühlten Automotors, der über den Kühlkreislauf das Frostschutzmittel erhält, damit das Kühlerwasser nicht gefriert und das Motorgehäuse nicht platzen lässt. Außerdem schützen die abgefallenen Blätter am Boden das oberflächennahe Feinwurzelwerk des Baumes wie eine wärmende Decke. Den Nadelbäumen bietet schon die geringe Oberfläche der Nadeln physikalisch einen guten Kälteschutz. Hinzu kommt eine ganzjährig schützende Wachsschicht der Nadeln mit kleinen Spaltöffnungen, die auch ein Austrocknen des Baumes im Winter verhindern. Nur die Lärche, die ursprünglich ein Hochgebirgsbaum war, ist eine Ausnahme. Ihren Nadeln fehlt die ausreichend dicke Wachsschicht. Sie wirft sie deshalb vor dem Winter ab. Mit Lufteinschlüssen in einer dicken Borke schützen sich zudem einige Nadel- und Laubbaumarten vor dem Frost. Das ist eine Wärmedämmung wie bei einer Daunenjacke. Vielfach schon im Winter ausgebildete Knospen finden Schutz unter einer Wachsschicht und dicken Schuppen. Zu dieser Isolierung kommen Zuckereinlagerungen, die den Baum nicht nur frosthart machen, sondern auch der Grund sind, warum manche Wildtiere besonders die Knospen gerne verbeißen. Die komplexen Systeme sorgen dafür, dass die heimischen Baumarten in der klassischen Winterzeit kaum Frostschäden erleiden. Gefahr droht ihnen hingegen im Herbst durch Frühfrost oder im Frühjahr durch Spätfrost, also in Zeiten, in denen die Schutzmechanismen noch nicht oder nicht mehr ausreichend ausgebildet sind. Strategien gegen winterliche Temperaturen Nicht nur der Wald, auch seine Bewohner haben Strategien gegen winterliche Temperaturen und jahreszeitliche Nahrungsengpässe entwickelt. Waldschnepfe und Turteltaube ziehen in andere Gebiete. Fledermäuse, Siebenschläfer, Hamster und Murmeltiere gehen in den Winterschlaf. Winterruhe halten Dachs, Eichhörnchen und Waschbär. Wer sich nicht für längere Zeit zurückzieht, hat sich wenigstens wie der Fuchs und die Marderartigen ein dickes Fell zugelegt. Das gilt auch für die Wildschweine, die so gut an die kalte Jahreszeit angepasst sind, dass sogar sehr viele Frischlinge im ausgehenden Winter geboren werden. Bis zum Spätherbst haben sich die Sauen Speckpölsterchen angefressen, die zusammen mit den Luftkammern zwischen den dicken Winterborsten den Körper gut isolieren. Die darunter liegende Unterwolle wehrt Nässe und Kälte ab. Und wenn es allzu frostig wird, kuscheln sich die Familienverbände zusammen und wärmen sich gegenseitig. Die feinen Nasen der Schwarzkittel erschnüffeln Eicheln, Pilze und Wurzeln auch unter einer Schneedecke. Ist der Boden zu hart gefroren, begnügen sich die Wutze auch mit Aas oder Abfall. Foto: Thost / pixelio.de Im Vergleich dazu hat es das wiederkäuende Schalenwild, besonders Rehe und Hirsche, viel schwerer. Das Nahrungsangebot ist im Winter nicht nur sehr viel geringer als im Sommer, sondern auch qualitativ deutlich schlechter. Deshalb bewegen sich Rehe dann nur etwa halb so viel. Je höher der Schnee liegt und je niedriger die Temperaturen sind, umso mehr verzichten sie auf die wenig erfolgversprechende Futtersuche. Das schont die Energiereserven. Insgesamt wird der gesamte Stoffwechsel durch hormonell gesteuerte Umbauvorgänge auf Sparflamme geschaltet. Diese Reduzierung auf etwa die Hälfte im Vergleich zum Sommer gelingt nur durch die geringere Bewegungsaktivität, die herabgesetzte Körpertemperatur und die Verkleinerung der Verdauungsorgane. Dabei kann das Volumen des Reh- und Rotwildpansens um 20 bis 30 Prozent im Vergleich zum Herbst schrumpfen. Ähnlich verändert sich auch die Größe von Organen, etwa der Leber. Den wesentlichsten Beitrag zur Minimierung des Energieverbrauchs leistet eine geringe innere Wärmeproduktion. Deshalb ist eine zweite, äußerlich nicht erkennbare Maßnahme eine niedrigere Atem- und Herzschlagfrequenz, die bei Rotwild von rund 70 auf etwa 40 Mal je Minute sinkt. Die Folge ist ein reduzierter Blutfluss in die äußeren Körperteile. Dadurch kann beim Rotwild die Unterhauttemperatur in Höhe des Brustbeins auf bis zu 15 Grad Celsius sinken. Noch weiter vom Körperkern mit den lebenswichtigen Organen und vom Gehirn entfernt, etwa in den Läufen, werden sogar Temperaturen im einstelligen Bereich erreicht. Oft verharrt das Rotwild regungslos im Wald, um bloß keine Kalorie zu verschwenden. Jede Beunruhigung zehrt an der verbliebenen Substanz Gesteuert wird die Stoffwechselreduktion von der Tageslänge. Sie dauert bis etwa Ende März. Das heißt, dass die vor dem Winter angesammelten Fettreserven inzwischen weitgehend aufgebraucht und damit die Energiespeicher nun ziemlich leer sind. Wildtiere können die niedrigen Temperaturen in den Gliedmaßen lange Zeit schadlos überstehen. Aber die Bewegungsfähigkeit verringert sich dann erheblich. Umso mehr zehrt jede Beunruhigung, die das Wild gar flüchten lässt, an der verbliebenen Substanz. Das gilt im Mittelgebirge und den Alpen noch mehr als im Flachland. Deutsche wie auch amerikanische Studien belegen die massiven Störungen des Wildes durch menschliche Freizeitaktivitäten. Das gilt für laute Gruppenwanderungen, besonders aber auch für Wintersportler wie Ski-Langläufer oder Schlittenfahrer. Ruhe im Revier bedeutet Rücksicht auf das Wild und ist gerade jetzt erste Jäger- und Bürgerpflicht.
- An der Schnittstelle der Demokratie
Die Bundestagswahl verfestigt auch die alten Gegensätze zwischen Stadt und Land. Und es kommen neue Player dazu. Gefährliche. Foto: Brigitte Kreuzwirth / pixelio.de Der Blick auf die politische Landkarte nach der Bundestagswahl verleitet zu Witzen, über die angesichts der Bedrohlichkeit der Situation ernsthaft aber niemand lachen kann. Blau eingefärbt sind fast alle Wahlkreise in den neuen Ländern, also im Gebiet der ehemaligen DDR. Mehrheiten für die AfD bei Erst- und Zweitstimme, fast flächendeckend. Nur vereinzelt unterbrochen von roten oder schwarzen Tupfern in Berlin und Leipzig. Die alte Bundesrepublik, gern auch Bonner Republik genannt, wird sowohl bei den Erst- als auch den Zweitstimmen ausgemalt von der schwarzen Farbe der Union. Ganz Bayern, Baden-Württemberg. Auch sonst dominieren die CSU und die CDU, mit Ausnahme der grünen Unistädte wie Münster, Aachen und der roten Inseln in Niedersachsen. Ganz oben, in Friesland, taucht noch ein roter Farbtupfer der ansonsten hart getroffenen Sozialdemokraten auf. So weit, so bekannt, werden politische Analysten sagen. Kennen wir spätestens seit den Landtagswahlen im Herbst 2023. Doch beim genauen Blick auf die Landkarte zeigen sich im Februar 2025 scharfe Schnittkanten auf zwischen Stadt und Land, zwischen Jung und Alt, zwischen der Demokratie zu- oder abgewandten Milieus. Beispiel Berlin: Die meisten Wahlkreise in der Stadt Berlin gingen an die Linkspartei, so zum Beispiel in den Problemvierteln Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg. Dort prallen die sozialen Gegensätze, zu denen neben hohen Wohnungskosten, einer durch den Zuzug überforderten Senats-Verwaltung auch eine nicht geschaffte Integration zählt, ungebremst aufeinander. Doch in diesem Großstadtmilieu vertraut eine Mehrheit der Wähler eher den Silber-Locken Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch sowie dem hippen Tiktok-Star Heidi Reichinnek mehr Lösungskompetenz zu als CDU oder SPD oder auch Grünen. „Auf die Barrikaden“, tönte es vom neuen Linken-Star Heidi im Bundestag. 200 Kilometer weiter südöstlich wird der Platz auf den Barrikaden von der anderen Seite beansprucht. Die rechtspopulistische AfD holte im Wahlkreis Görlitz mit 46,7 Prozent den höchsten Zweitstimmenanteil. 46,7 Prozent – übersetzt bedeutet dies: Fast jeder Zweite wählte dort die Partei, die unter anderen in Sachsen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In anderen Wahlkreisen in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist das Bild nicht viel anders. Linkspartei versus AfD. Das ist keine beruhigende Spielansetzung. 23 gewählte Abgeordnete bleiben draußen Eine Erklärung: Die AfD holt ihre besten Ergebnisse vor allem in bevölkerungsarmen Wahlkreisen. Also genau dort, wo seit der Wende fast ein Drittel vor allem der jungen Leute abgewandert sind. Über drei Millionen Menschen, oft jung, mobil, gut ausgebildet. In die Städte, in den Westen. Durch die jetzt von der Ampel verabschiedete Wahlrechtsreform könnte sich das Gefühl der Nicht-Berücksichtigung vor allem der Menschen im ländlichen Raum noch verstärken: 23 direkt gewählte Abgeordnete (also, die die die meisten Erststimmen auf sich versammeln konnten, aber für die kein Platz mehr ist im kleineren Bundestag) werden aller Voraussicht nicht in den verkleinerten Bundestag einziehen. 19 davon stammen von der Union – vor allem aus Gebieten jenseits der Städte. „ Sonst übernehmen die Radikalen“ Problemfall Osten. Das ist angesichts der bundespolitischen Lage zu leicht, viel zu leicht. Mit großer Sorge sehen Beobachter, dass das blaue Gift sich auch im Westen ausbreitet, angereichert durch linkspopulistische Heidi-Versuchungen. Noch sind die Milieus dort gefestigt, ist man leidlich treu seiner Partei. Oder wenigstens der Demokratie. Doch auch hier verfangen die AfD-Parolen vor allem dort, wo die sozialen Herausforderungen steigen. Im Ruhrgebiet, im Saarland, im Raum Pforzheim scheint es bei den Zweitstimmen schon mal hellblau durch. Gefestigt sind noch die Strukturen im ländlichen Raum. Das Münsterland, das Emsland, das Sauerland, der Hochstift Paderborn – noch fest in der Hand der jetzt bald regierenden Christdemokraten. Genau hier ist aber allen bewusst: Man hat jetzt vier Jahre Zeit, um in einem Bündnis mit den abgestraften Sozialdemokraten nicht nur unser Land wettbewerbsfähig zu machen. Sondern auch die wachsende Kluft zwischen Land und Stadt, zwischen vor allem grüner Ideologie und lösungsorientierter Politik zu überwinden. Dazu gehört auch, das Eigentum in der Fläche, im Forst und der landwirtschaftlichen Praxis zu achten und zu fördern. Gelingt dies nicht, könnte sich die düstere, aber dennoch kluge Prophezeiung des Wolfgang Schäuble bewahrheiten: „Wir müssen jetzt gut regieren. Sonst übernehmen 2029 die Radikalen.“
- Gewählt wurde das Ende weiterer Experimente
Die Deutschen haben eine andere Richtung gewählt. Gleichwohl haben sie auf den ersten Blick noch keine klaren Verhältnisse geschaffen. Eine spontane Bewertung am Wahlabend Foto: Makrodepecher / pixelio.de Die Wahl war am Sonntag mehr von einer Abschieds- als von einer klaren Wechselstimmung geprägt. Das bestätigte sich bereits zu Beginn des Zitterabends mit der Abfolge der Hochrechnungen. Es war schon länger zu spüren, dass es ein verbreitet diffuses Unzufriedenheitspotenzial gibt – nicht erst in den letzten Tagen. Eine klare Ansage mit klaren Mehrheiten haben die Deutschen über ihre Stimmzettel dennoch nicht gemacht. Wir haben uns inzwischen daran zu gewöhnen, dass wir zwar eine stabile Demokratie sind. Sie wird aber geprägt sein von Kompromissen und Zugeständnissen. Das gilt auch für den künftigen Kanzler. Es ist bei uns anders als bei den Amerikanern, Engländern und noch den Franzosen. Wir entwickeln uns aus den Zeiten klarer Mehrheiten heraus zu einer Koalitionsdemokratie. Das macht das Regieren bei uns komplizierter und damit schwerer. Mit Blick auf die USA ist das am Ende vielleicht auch gut so. Jetzt haben die Deutschen also den politischen Wechsel gewählt – zumindest was den Kanzler und damit die Kanzlerpartei betrifft. CDU und CSU sind am Wahlabend mit klarer Eindeutigkeit zur erneut führenden Kraft in Deutschland bestimmt worden. Friedrich Merz wird Kanzler. Dagegen ist Olaf Scholz mit seiner Kraftmeierei in den letzten Wochen und seiner Selbstbeschreibung eines starken und besonnenen Regierungschefs wegen mangelnder Überzeugungskraft abgestraft worden. Sein sogenanntes Ampel-Bündnis „Mehr Fortschritt wagen“ wollte für Experimente stehen. Nicht erst seit der als Entlassung verkaufte Absprung Christian Lindners hat sich für jedermann gezeigt: Das Experiment ist schiefgegangen. Die politischen Verhältnisse wurden seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts von Monat zu Monat instabiler. Rezession, Unterordnung fast aller Themenfelder unter zu ehrgeizige Klimaziele, eine nicht geregelte Migration und das wachsende Unsicherheitsgefühl unter den Menschen haben sich zu einer für die Ampel unlösbaren Summe aufgestaut. Realitätssinn und neue Perspektiven Jetzt ist Friedrich Merz dran. Mit wem auch immer muss er eine Koalition bilden, die auf stabilen Füßen steht, die die aufgestauten Probleme mit Realitätssinn abarbeitet und neue Perspektiven schafft. Schauen wir auf das, was sich in den nächsten Tagen tun wird. Da spielen natürlich die Ergebnisbetrachtungen im Einzelnen eine Rolle, auf die wir in unserem Blog morgen insbesondere auch mit Blick auf die ländlichen Räume und ihrer Themen eingehen werden. Ist da überhaupt Zeit, bei den alles überlagernden großen Komplexen auf die anderen vermeintlich kleinen Regelungsnotwendigkeiten zu blicken? Dass die Politik in ihrer Handlungsbreite kaum im Wahlkampf gespiegelt wurde, ist vielleicht ein Grund für die Entwicklung zu unserer zersplitterten Parteienlandschaft. So wurde sie uns gerade am Wahlabend in den vielen Grafiken anschaulich vor Augen geführt. Das Wahlergebnis zeigt sich bereits nach den ersten Hochrechnungen als ein Ergebnis der breiten Unzufriedenheit. Sie zeigt nicht nur bei den bisherigen Koalitionsparteien SPD und Grüne. Die FDP hat sich da am Ende doch noch vielleicht etwas herausgemogelt. Auf der anderen Seite der Medaille mit der Prägung einer Maulerei steht die AfD. Sie wird anhaltend von ihren Wählern als stabil gehaltene 20-Prozent-Kraft ihre Rolle jenseits der Brandmauer weiterspielen. Sie zeichnet wohl weiter eine Kulisse mit populistisch verlockenden Angeboten. Offensichtlich hat sie besonders auf dem Lande gepunktet und wird das weiter versuchen. Aber: Wir brauchen Stabilität aus der Mitte. Die linke Seite im Lager der Populisten hat zwar bei der gleichnamigen Partei jungen Zulauf erhalten. Die Linke hielt der Abspaltung des BSW stand. Sahra Wagenknecht hat mit ihren Friedensfackeln zu den Landtagswahlen in den neuen Bundesländern ein Strohfeuer entfacht. Was bleiben der Dame da noch für Argumente, wenn Trump seinen Diktatfrieden durchzieht? Wir werden erleben, dass die Sozialdemokraten ihre gescheiterten Experimente hinter sich lassen und sich nach dem schlechtesten Wahlergebnis ihrer Parteigeschichte wohl auf ihren Markenkern besinnen. In welcher personellen Konstellation sie das angehen, wird spannend. Da werden künftig zwangsläufig Namen eine Rolle spielen, die sich bisher in der zweiten Reihe gehalten haben. Ausexperimentiert haben sich aufs erste einmal die Grünen. Sie haben in ihrer Regierungsbeteiligung für die ländlichen Räume andere Rezepte aus dem Köcher geholt als diejenigen, die dort wohnen und arbeiten, für sich selbst vorstellen. Vielleicht regt für uns alle einmal der Außenblick eines Politikwissenschaftlers jenseits unseres Landes zu etwas mehr Kontinuität auch in den Haltungen von Wählerinnen und Wählern an: „Die Deutschen wechseln gern von einem Extrem ins andere. An einem Tag bauen sie so schnell wie möglich Atomreaktoren. Am nächsten sind sie wild entschlossen, die Atomkraft wieder abzuschaffen.“ Daraus kann man auch mal lernen. Gerade nach so einem Wahlabend mit Blick auf die Wechselströme im Wahlverhalten.
- Richtungswahl auch für den ländlichen Raum
Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und auf die Bundestagswahl Liebe Leserinnen und Leser, in unserem Wochenkommentar befassen wir uns mit der morgigen Bundestagswahl und ihrer besonderen Bedeutung für den ländlichen Raum, ziehen eine erste Bilanz der Politik der vergangenen Jahre und weisen auf die immensen Herausforderungen hin, vor denen die künftige Bundesregierung mit Blick auf Landwirte und andere Naturnutzer steht. Wir schauen nach Rheinland-Pfalz, wo der Wolf ins Jagdrecht aufgenommen werden soll. Und zum Schluss noch ein Thema, das vor allem die Jäger unter uns – aber nicht nur sie – ebenfalls stark interessieren dürfte: Wild im Winter. An diesem Sonntag werden die politischen Karten in Deutschland endlich neu gemischt . Viel zu lange hatte die Berliner Ampelkoalition intern streiten und zentrale Aufgaben vernachlässigen können. SPD, Grüne und Liberale waren nach der letzten Bundestagswahl mit großen Ambitionen gestartet. Doch am Ende blieben bei allen Beteiligten – voran den Bürgern – nur Enttäuschung, Frust und teils heftiger Zorn über Versäumnisse und strategische Fehlentscheidungen. Dieses politische Debakel ist vor allem mit zwei Namen verbunden: Olaf Scholz und Robert Habeck. Der SPD-Kanzler vermochte es praktisch nie, die versprochene Führungsstärke zu zeigen, überzeugende politische Akzente zu setzen oder zumindest sein Verhalten den Bürgern plausibel zu erklären. Das ist für einen Kanzler eine denkbar schwache Leistungsbilanz . Noch düsterer sieht es beim grünen Wirtschaftsminister in der Ampelkoalition aus. Habeck brachte die Bürger mit einem unsäglichen Heizungsgesetz auf der Palme. Er verunsicherte kleine und größere Betriebe mit immer neuen ideologisch motivierten Vorschriften und Programmen. Das Ergebnis: wirtschaftlicher Stillstand in Deutschland und teilweise sogar Rückschritt. Damit ist Habeck bei der wichtigsten Aufgabe eines Wirtschaftsministers – Berechenbarkeit für Zukunftsinvestitionen zu schaffen und Impulse für anhaltendes Wachstum zu setzen – krachend gescheitert . Nicht zuletzt im ländlichen Raum ist seine Politik daher auf viel Widerstand und Unverständnis gestoßen. Man denke hier nur an die heftigen Proteste der Landwirte und anderer Naturnutzer vor einem Jahr. Wahl noch nicht gelaufen Man kann nur hoffen, dass nach der morgigen Bundestagswahl ein anderer politischer Wind weht. In Berlin muss möglichst schnell eine handlungsfähige und energisch agierende Regierung gebildet werden. Das könnte jedoch schwierig werden. Denn niemand sollte sich täuschen: Die Wahl ist noch keineswegs gelaufen, auch wenn die Umfragen auf einen klaren Vorsprung der Union hindeuten. Denn erstens haben sich Demoskopen schon oft getäuscht und zweitens bleibt ungewiss, ob am Ende eine Zweier- oder womöglich doch wieder eine Dreier-Koalition notwendig sein wird. Letzteres gilt es möglichst zu verhindern. Denn die letzten Jahre haben gezeigt, wie schwer ein Bündnis zu dritt auf einen gemeinsamen Nenner kommen kann. Zu viele Partner könnte auf zu viel Blockade hinauslaufen. Wie knapp es am Sonntag zu werden droht, zeigt das letzte ZDF-Politbarometer vor der Wahl: CDU 28 Prozent, AfD 21, SPD 16, Grüne 14, Linke 8 sowie FDP und BSW jeweils 4,5 Prozent. Umso wichtiger, dass auch im ländlichen Raum möglichst viele Bürger zur Wahl gehen, um ihren spezifischen Interessen und Anliegen mit der Stimmabgabe Geltung zu verschaffen. Die Herausforderungen sind immens , denn anders als früher sind Deutschland und die Europäer zunehmend auf sich allein gestellt. Dies hat die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten Vance am vergangenen Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz in brutaler Weise deutlich gemacht. Der neue Kurs in Washington wird auch bei uns zu schmerzhaften Anpassungen führen, die jeder Bürger zu spüren bekommt. Hier geht es nicht nur um drastisch höhere Verteidigungsausgaben, sondern auch um einen drohenden Zollkrieg mit den USA. Unter der Entwicklung könnten nicht zuletzt die deutschen Agrarexporte leiden, die eine wichtige wirtschaftliche Stütze im ländlichen Raum sind. Denn Lebensmittel aus Deutschland sind international stark nachgefragt. Ländliche Themen nur am Rande Alles in allem verlief die Schlussphase des Wahlkampfs vergleichsweise geordnet und fair. Ärgerlich und zugleich bezeichnend ist jedoch, dass die spezifischen Themen des ländlichen Raumes – wenn überhaupt – eher am Rande behandelt wurden. Dies gilt für die weiterhin unzureichende Versorgung mit schnellem Internet über schlechte Verkehrsanbindungen bis hin zu den großen Herausforderungen in den Bereichen Klimawandel und Landwirtschaft. Ein Beispiel sind die geplanten und fast schon für selbstverständlich gehaltenen Solarparks über landwirtschaftlichen Flächen . Dabei geht eine solche Form der Nutzung zu Lasten der Ernährungssicherheit. Außerdem gibt es genug ungenutzte Dächer von Privathäusern, Behörden, Einkaufszentren und Fabriken, die zur Energiewende beitragen könnten – vorausgesetzt, dass dafür die politischen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden. Zu den Forderungen der Landwirtschaft gehören im Übrigen etwa Biodiversität und Naturschutz ohne Ordnungsrecht und Verbotspolitik, eine wirksame und ernst gemeinte Initiative zur Entbürokratisierung sowie, die Leistung der Land- und Forstwirtschaft beim Klimaschutz zu honorieren und erneuerbare Energien zu fördern. Apropos Finanzen. Vielen Kommunen gerade in strukturschwächeren Regionen droht der finanzielle Kollaps. So hatten die kommunalen Spitzenverbände für das vergangene Jahr ursprünglich mit einem Defizit von etwas mehr als 13 Milliarden Euro gerechnet. Tatsächlich beträgt das Minus bereits nach den ersten drei Quartalen fast 25 Milliarden Euro, berichtete das Handelsblatt. Hier geht es nicht um irgendwelche abstrakten Summen, sondern um ganz konkrete Vorhaben, die gerade im ländlichen Raum jeder Bürger vor Ort unmittelbar spürt: in seinem Verein, bei der Feuerwehr oder auch in der Jugendarbeit. Kurzum, die Kommunen brauchen einen höheren Anteil bei der Verteilung der Steuereinnahmen. Auch dieses Thema ist im Wahlkampf leider unterbelichtet geblieben. Erfolg für Jäger und Bauern Foto: Doris Opitz / pixelio.de Dass politischer Druck von Naturnutzern durchaus positive Wirkung haben kann, zeigt sich aktuell in Mainz. Dort haben sich jetzt die Landtagsfraktionen der Regierungskoalition und das zuständige Ministerium auf eine Aufnahme des Wolfs in das Jagdrecht verständigt. Vorausgegangen war ein entsprechender Vorstoß des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau (BWV) und der Interessengemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer (IGJG). Sie hatten in der Debatte um die Novellierung des Landesjagdgesetzes umfangreiche inhaltliche Stellungnahmen eingebracht. Der IGJG-Vorsitzende Josef Schwan sagte: „Nicht nur für die Tierhalter in den Mittelgebirgsregionen, sondern auch für die Grundeigentümer und Jagdgenossen ist dies ein wichtiges Signal, dass ihre Sorgen endlich von der Politik wahrgenommen werden. “ BWB-Präsident Marco Weber sprach von einem ersten Schritt in die richtige Richtung: „Gerade in letzter Zeit haben nachgewiesene Übergriffe von Wölfen in unserem Verbandsgebiet hier im nördlichen Rheinland-Pfalz enorm zu zugenommen.“ Der Wolf scheine die Scheu vor den Menschen verloren zu haben, da er auch in Ställe eindringe. Die neue Bundesregierung müsse nunmehr dafür sorgen, dass auch der Schutzstatus des Wolfs durch die Europäische Union abgesenkt werde. Bund und Länder müssten dann praktikable Vorgaben für ein wirkungsvolles Bestandsmanagement und zur Entnahme auffälliger Wölfe erarbeiten. Zum Schluss noch ein Blick in unsere heimischen Wälder. Knackig kalte Luft und zumindest in den Mittelgebirgen und alpinen Regionen winterlicher Schnee locken die Menschen in die Natur. Kaum jemand denkt dabei daran, dass Wald und Wild nun im Wintermodus sind. Die Tierarten haben verschiedene Strategien, damit umzugehen. Besonders das wiederkäuende Wild durchlebt gegenwärtig eine schwere Zeit. Das Nahrungsangebot ist nicht nur gering, sondern auch qualitativ deutlich schlechter als im Sommer. Reh und Hirsch haben sich daran angepasst, indem sie den Stoffwechsel herunterfahren. Ihr Energiehaushalt läuft auf Sparflamme. In der jetzigen Phase des Spätwinters aber sind die Reserven weitgehend aufgebraucht. Jede Beunruhigung ist deshalb extrem kräftezehrend und kann im schlimmsten Fall tödlich sein. Unser Autor Christoph Boll erläutert in der kommenden Woche in einem Blog-Beitrag die Anpassungsstrategien des Wildes an die kalte Jahreszeit und plädiert für winterliche Ruhe im Revier als erste Jäger- und Bürgerpflicht. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und morgen einen Wahltag mit einem auch für den ländlichen Raum guten Ergebnis. Mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination
- War es die Mühe wert?
Ohne politischen Mut bleibt die Transformation von Land- und Ernährungswirtschaft eine Vision. Das soeben erschienene Sachbuch „Brücken bauen“ von Rainer Münch und Ludger Schulze Pals zeigt, in welch schwerem Fahrwasser die Borchert-Kommission und die Zukunftskommission Landwirtschaft unterwegs waren Immer wieder haben sich auch Autoren unseres Blogs darüber gewundert, wie achtlos und abweisend Teile der Politik mit zwei hochkarätig besetzen Gremien umgegangen sind. Beiden Arbeitskreisen – dem „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“, besser bekannt als Borchert-Kommission, und der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ (ZKL) – wurden zwar in Sonntagsreden Top-Ergebnisse bescheinigt. Doch unter der Woche scheuten Gegner und Hardliner keine Mühen, den sachbezogenen Konsens kleinzumahlen. Bis heute geht das so. Die Borchert-Kommission hat wegen der nur halbherzig geklärten Finanzierung der Tierwohlmaßnahmen längst die Brocken hingeschmissen. Die ZKL wartet darauf, was eine neue Bundesregierung aus den strategischen Leitlinien und Empfehlungen machen wird. Parallel laufende Entwicklungen auf EU-Ebene geben zumindest etwas Anlass zur Hoffnung. Die Hoffnung, schmerzhafte Grabenkämpfe hinter sich zu lassen, den massiven Streit um die Nutztierhaltung zu befrieden und eine neue Agrarumweltpolitik zu entwickeln, stand auch am Anfang der beiden von der damaligen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Bundeskanzlerin Angela Merkel 2019 und 2020 eingesetzten Arbeitskreise. Brückenbauer wie Jochen Borchert , Landwirt und Ex-Bundeslandwirtschaftsminister, Werner Schwarz, DBV-Funktionär und inzwischen Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, sowie Peter Strohschneider, früherer Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und geschickter Lenker der Zukunftskommission, schafften gemeinsam mit den Gremien etwas, das zuvor kaum für möglich gehalten wurde: Arbeitspapiere und Abschlussberichte, die von den einst so spinnefeinden Konfliktparteien gemeinsam getragen wurden. Ein Beleg dafür, dass in aussichtslos erscheinenden Situationen der Dialog möglich ist. Man erinnere sich: 2019 gab es im Vorfeld der Kommissionsgründungen große Protestaktionen der Bauern, die mit der Agrarpolitik höchst unzufrieden waren. Und gleichzeitig lief eine angeheizte Debatte über die Nutztierhaltung sowie den Umwelt- und Klimaschutz auf Hochtouren. Hilfreiche Perspektivwechsel Rainer Münch und Ludger Schulze Pals beschreiben kenntnisreich die Stimmungs- und Ausgangslage und schildern detailliert, wie sich Land- und Agrarwirtschaft, Umwelt-, Tier- und Verbraucherschützer sowie viele namhafte Vertreter der Wissenschaft seinerzeit auf den gemeinsamen Weg machten. „In der Denke des anderen denken“ – der Perspektivwechsel half in manch schwierigen Diskussionen weiter. Entgegenlaufende Interessen und Standpunkte führten nicht wie sonst in eine Sackgasse, sondern wurden Teil eines Meinungsspektrums. Die Politik erhielt, um was sie die beiden Gremien gebeten hatte: sachbezogene, gesellschaftlich austarierte Ergebnisse und Vorschläge. Im Fall der Bochert-Kommission zeigten Machbarkeitsstudie und Folgenabschätzung, dass jetzt eine stabile Basis für Entscheidungen zur Verfügung stand. Doch war es die Mühe wert? Das fragt man sich angesichts des Umgangs der GroKo und besonders der Ampel-Regierung mit den Empfehlungen. Die Agrarjournalisten Münch und Schulze Pals, die mit vielen Kommissionsmitgliedern gesprochen und Hintergründe recherchiert haben, analysieren treffend das Zögern und Zaudern. Das Klima für beide Kommissionen war gut, aber die Zeit scheint noch nicht oder wieder nicht reif dafür zu sein, die Zukunftsfragen der Landwirtschaft anzufassen. Die zerstrittene Ampel verzögerte und torpedierte bis zuletzt die Lösungsvorschläge. Das Agrarpaket im Sommer 2024 war nach dem Agrardiesel-Ärger der untaugliche Versuch der alten Regierung, einen Brand zu bekämpfen. Das Buch über die Kommissionen und ihre anstrengende und vielschichtige Arbeit ist in vielen Punkten lesenswert, da es in die Tiefe geht. Ganz besonders lohnt sich der Blick ins sechste Kapitel. Münch und Schulze Pals haben dort „Elf goldene Regeln“ für die Arbeit in und den Umgang mit Fachgremien formuliert. Kommissionen können trotz mancher Vorbehalte „Regierungen sehr wohl helfen, die Diskussion zu ordnen, zu kanalisieren und auf diese Weise mögliche Lösungswege vorbereiten“. Aber: Man muss es ernst meinen und politisch Mut zeigen. Rainer Münch, Ludger Schulze Pals: Brücken bauen. Für ein besseres Miteinander von Bürgern und Bauern. Der Erfolg der Zukunftskommission Landwirtschaft – und deren Scheitern? LV Buch, 159 Seiten, 24,00 Euro.
- Abkehr vom Green Deal in der Landwirtschaft
Der neue Agrarkommissar Christophe Hansen legt mit seiner Vision für die Branche sein Regierungsprogramm vor: Weniger Zwang und mehr Anreize Christophe Hansen (Foto: © European Union 2024 - Source: EP / Mathieu Cugnot) Die EU-Landwirtschaftspolitik soll weniger ideologisch werden. Die Bauern sollen etwa künftig weniger dazu gezwungen werden, bestimmte Methoden anzuwenden. Landwirtschaftskommissar Christophe Hansen setzt vielmehr darauf, Vertrauen aufzubauen, und den Dialog zu fördern. Diesen Eindruck hinterlässt die „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“, die der Luxemburger, der selbst auf einem Bauernhof groß geworden ist, jetzt vorgestellt hat. Das 28 Seiten umfassende Dokument markiert den Bruch mit der Landwirtschaftspolitik im ersten Mandat von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. In der ersten Amtszeit hatte Frans Timmermans, ihr Vize, dafür gesorgt, dass der Green Deal die Richtschnur war für sämtliche Vorschläge in der Landwirtschaft. In der „Farm-to-Fork“-Strategie wurden Bauern und Verbrauchern recht konkrete Vorgaben gemacht, wie die einen zu wirtschaften und wie die anderen sich zu ernähren haben. So wurde etwa festgelegt, dass bis 2030 ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der EU nach ökologischen Methoden bearbeitet werden soll. Damit ist jetzt Schluss. Bezeichnend ist, dass die Strategie „Vom Erzeuger auf den Teller“ in Hansens Vision nicht einmal mehr erwähnt wird. Das Ziel 25 Prozent Biobewirtschaftung der Höfe bis 2030 ist ohnehin nicht mehr zu schaffen. Es wurde ohne nähere Erklärung mit dem neuen Papier kassiert. Die Kommission hatte auch eine Lebensmittelkennzeichnung angekündigt, um das Essverhalten der 450 Millionen Europäer gesünder und klimagerechter zu machen. Dazu ist es nie gekommen. Jetzt ist davon gar nicht mehr die Rede. Timmermans wollte den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln drastisch reduzieren. Das Vorhaben ist dramatisch gescheitert. Schon in den ersten Wochen Amtszeit der neuen Kommission fiel auf, dass von einem zweiten Anlauf bei der Pestizidregulierung keine Rede mehr war. Nun ist es amtlich: Die Kommission will in diesem Mandat den Bauern keine neuen Vorschriften für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln machen. Stattdessen sollen die Zulassungsverfahren für Biopestizide beschleunigt werden. Unterwerfung der Agrarpolitik unter die Ziele von Klima- und Artenschutz ist Geschichte Hansens Vision auf die Landwirtschaft bis 2040 enthält so gut wie keine konkreten Ankündigungen. Aussagekraft bekommt das Papier vor allem, wenn es mit den programmatischen Erklärungen der letzten Wahlperiode verglichen wird, und über die Projekte, die jetzt gar nicht mehr erwähnt werden. Zur nächsten Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) gibt es den Hinweis, dass die Direktzahlungen stärker zugeschnitten werden sollen auf Landwirte, die aktiv in der Lebensmittelproduktion sind. Degressive Zahlungen und Kappungen ab bestimmten Zahlbeträgen würden in Erwägung gezogen, heißt es weiter. Gegenüber dem Strategischen Dialog ist dies eine bemerkenswerte Abschwächung. Dabei war noch die Rede davon, dass Direktzahlungen künftig nur an wirklich bedürftige Bauern gehen sollten. Unter dem Strich: Die Unterwerfung der europäischen Agrarpolitik unter die Ziele von Klima- und Artenschutz ist Geschichte. Christophe Hansen verfolgt eine Linie, die für Ernährungssicherheit, Sicherung der Einkommen für Landwirte und den Kampf gegen unfaire Handelspraktiken steht. Die Landwirte können mit diesem strategischen Schwenk gut leben.
- Aus dem Revier auf den Teller
Zunehmend geben junge Jägerinnen und Jäger an, dass das selbst erbeutete Wildbret für den eigenen Verzehr ein wichtiges Motiv für den Erwerb des Jagdscheins war Foto: Margot Kessler / pixelio.de Wildessen liegt im Trend und ist damit gegenläufig zu einer allgemeinen Entwicklung. Denn Fleischkonsum ist zwar so alt wie der Mensch selbst. Doch der Pro-Kopf-Verbrauch ist in den vergangenen drei Jahrzehnten um etwa 20 Prozent auf gut 50 Kilogramm im Jahr gesunken. Das ist auch begründet in einem lauter werdenden Ruf nach Tierwohl. Er geht einher mit dem Hinterfragen, wo das Tier herkam, wie es gelebt hat und wie es gestorben ist. Beim Konsum von Wildbret erübrigen sich diese Fragen. Bis auf die Umstände des Todes kann man eines sicher sagen: Das Tier lebte in seiner natürlichen Umgebung – frei von Zäunen und Antibiotika. Die Nachfrage nach heimischem Wildfleisch dürfte nicht zuletzt deshalb ansteigen. Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Deutschen Jagdverbandes (DJV) halten 84 Prozent der Deutschen Wildbret für ein gesundes, natürliches Lebensmittel. Vor zwei Jahrzehnten waren es 70 Prozent. 55 Prozent der Befragten geben an, mindestens einmal jährlich Wild zu essen. Mehr als die Hälfte (51 Prozent) geht dafür ins Restaurant, ein knappes Viertel (23 Prozent) besorgt sich das Wildbret beim Metzger und etwa ein Fünftel (18 Prozent) sogar direkt bei den Jägern. Die haben in der zurückliegenden Jagdsaison (1. April 2023 bis 30. April 2024) insgesamt 26.951 Tonnen Fleisch aus der Region von Wildschwein, Reh und Hirsch vermarktet. Das sind laut DJV acht Prozent mehr als in der Saison zuvor. Umgerechnet in Wildbratwürste, die immer beliebter werden, wären das 270 Millionen Stück – also 3,2 für jeden Bundesbürger. Fast die Hälfte des Fleisches (49 Prozent) stammt vom Wildschwein. Danach folgen Reh (36), Rothirsch (10) und Damhirsch (5). Die zur Verfügung stehende Wildbretmenge hängt natürlich von der Gesamtjagdstrecke ab, die von Wildart zu Wildart stark schwanken kann. Das gilt besonders bei Wildschweinen. Sie sind unter allen Paarhufern in Mitteleuropa die Art mit der höchsten Zuwachsrate, die bezogen auf Grundbestand und Jagdjahr bis zu 300 Prozent betragen kann. Abhängig ist das etwa von der Witterung, grassierenden Krankheiten und der Bejagungsintensität. Insgesamt ist die Nachfrage nach Wildfleisch höher als das Angebot aus heimischen Revieren, das nur 60 Prozent des Bedarfs deckt. Der Rest wird importiert, hauptsächlich aus Osteuropa, Spanien, Großbritannien, Neuseeland, Australien und Südamerika. Doch auch damit kommt jeder Bundesbürger statistisch nur auf zwei Wildmahlzeiten pro Jahr. Der Tierrechtsorganisation Peta ist auch das schon zu viel. Um Menschen von einer möglichst veganen Lebensweise zu überzeugen, behauptet sie im Internet: „Wildbret kann sogar stark mit gesundheitsschädlichen Stoffen belastet sein – dazu gehören Blei, radioaktive Strahlung und Keime.“ Da muss man schon genau lesen. Mit „kann“ wird nicht behauptet, dass es so ist, nur dass es so sein könnte. So funktionieren Ideologie und Angstmache. Dahinter stehen etwa die weitgehend überholte Verwendung bleihaltiger Munition und die Folgen des Reaktorunfalls in Tschernobyl 1986. Danach war Wildfleisch in einigen Regionen Deutschlands tatsächlich radioaktiv belastet. Dabei ging es vorrangig um Wildschweine, die viel Nahrung beim Wühlen im Erdreich aufnehmen. Besonders betroffen waren Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg. Knapp vier Jahrzehnte später hat die Radioaktivität durch die natürlichen Zerfallsprozesse deutlich abgenommen, was das Risiko für strahlenbelastetes Wildbret erheblich verringert hat. Jäger in Risikogebieten müssen gleichwohl erlegte Wildschweine noch immer auf Strahlenbelastung untersuchen lassen. Der gesetzliche Grenzwert für Wildbret, das in den Handel kommen darf, liegt dabei mit 600 Becquerel pro Kilogramm Fleisch deutlich unter der definierten Schwelle für eine Gesundheitsgefährdung. Seriöse Ernährungswissenschaftler betonen deshalb die positiven Aspekte von Wildbret, und 82 Prozent der Menschen halten es laut DJV-Umfrage für ein gesundes, natürliches Lebensmittel. Es hat im Vergleich zu anderem Fleisch einen niedrigen Cholesterin- und Fettgehalt, insbesondere in Bezug auf gesättigte Fette, und enthält mehr Omega-3-Fettsäuren und Proteine. Wildfleisch enthält mehr Antioxidantien und viele wertvolle Spurenelemente wie Eisen und Zink. Angebot ist abhängig von den gesetzlichen Jagd- und Schonzeiten Wurde Wild früher vorrangig im Herbst und Winter gegessen, so ist es heute fast ganzjährig verfügbar. Das Angebot ist aber immer abhängig von den gesetzlichen Jagd- und Schonzeiten. Das Fleisch muss einige Tage abhängen, damit es seinen typischen Geschmack ausbildet und mürbe wird. Direkt nach dieser Reifezeit schmeckt es am besten, hält allerdings dann nur einige Tage. Küchenfertiges, frisches Wildbret sollte daher vor der Verarbeitung höchstens zwei bis drei Tage im Kühlschrank lagern. Nicht zeitnah verbrauchtes Wildfleisch sollte möglichst schnell eingefroren werden. Dann ist es je nach Tierart – je größer, desto länger lagerfähig – sechs bis zwölf Monaten haltbar. So gibt es etwa im Sommer herrliche Grillsteaks von Sau, Hirsch und Reh. Schon lange gibt es spezielle Wild-Kochbücher und gute Rezepte im Internet, mehr als 400 davon auf der Seite wild-auf-wild.de . Dort finden Interessenten über eine Postleitzahlsuche auch mehr als 2.000 regionale Anbieter von Wildbret und Restaurants. Der DJV hat bereits elf Rezeptbroschüren herausgebracht. Darunter sind Ideen zur Outdoor-Küche, für den Grill oder Kindergerichte. Erhältlich sind die als kostenfreie PDF-Dateien ebenfalls im weltweiten Netz.
- Wenn die letzte Kneipe im Dorf dicht macht
Überall im Land machen Kneipen zu, Tag für Tag. Gerade der ländliche Raum verliert damit oft die letzten „Wohnzimmer“ für die Gemeinschaft Foto: Rainer Sturm / pixelio.de Zuletzt hatte das Gasthaus in Ostwestfalen noch an drei Abenden auf. An den anderen Tagen standen die Frauen und Männer, die früher gern mal auf ein Bier, eine Frikadelle und vor allem ein Schwätzchen an der Theke in ihre Stammkneipe „Zum Wilden Mann“ gekommen waren, bereits vor der verschlossenen Kneipentür. Doch Anfang Februar kam nun das endgültige Aus: „Danke an meine treuen Gäste. Wir schließen für immer.“ Aus, nach 120 Jahren. Jetzt fehlt die letzte Kneipe im Dorf. Eine Situation, die längst nicht mehr auf das kleine Dorf in Ostwestfalen beschränkt ist. Bundesweit sank die Zahl der Gaststätten und Kneipen seit dem Jahr 2000 von 270.000 auf 155.000 im Jahr 2023. Ganz hart trifft es vor allem die neuen Bundesländer, Bayern – ein Land, das traditionell sehr stolz auf seine Gaststättenkultur war und ist – und auch Nordrhein-Westfalen. Nach aktuellen Angaben des Statistischen Landesamtes Nordrhein-Westfalen sank die Zahl der Kneipen im bevölkerungsreichsten Bundesland zwischen 2006 und 2023 um fast 42 Prozent. Während 2006 noch gut 14.000 Kneipen gezählt wurden, waren es bei der letzten Zählung 2023 nur noch gut 8000. Corona wirkt wie ein Brennglas Die Gründe sind vielfältig: Seit den 50er und 60er Jahren veränderte sich das gesellschaftlich-soziale Freizeitverhalten. Immer weniger Menschen gingen regelmäßig zum Stammtisch in die Eckkneipe, andere alternative Beschäftigungsmöglichkeiten wurden attraktiver. Kino und Fernseh-Konsum, Reisen oder Theater – es gab halt andere Dinge, die man unternehmen konnte. Die Corona-Pandemie wirkte dann am Ende für die ohnehin geschwächte Kneipen-Kultur wie ein negativer Brandbeschleuniger: „Die Kneipen hatten ja aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen einige Monate geschlossen“, erklärt ein Dehoga-Sprecher. Viele Menschen gewöhnten sich irgendwann daran, sich im eigenen Haus oder der eigenen Wohnung von den vielfältigen Medienangeboten unterhalten zu lassen. Dazu kostet natürlich das Getränk aus dem Supermarkt weniger. Nach der Corona-Zeit kamen der Ukraine-Krieg und die steigende Inflation, die das Geld knapper werden ließ – all das vermieste vielen Kneipen-Besuchern die Rückkehr an die Theke. Noch heute liegen die Umsätze in der gesamten Gastronomie-Branche deutlich unter denen der Vor-Corona-Zeit. Auch fanden viele Mitarbeiter neue Jobs in Unternehmen und Betrieben, die weniger krisenanfällig sind und auch attraktivere Beschäftigungszeiten anbieten konnten und können. Scholz' Wortbruch als Wahlkampfthema Den letzten Schlag versetzte die Ampel-Regierung Ende 2024 der Branche, die mit knapp drei Millionen Beschäftigten durchaus für Jobs und Wertschöpfung sorgt. Trotz Zusage des Kanzlers („Das schaffen wir nie wieder ab“) hob die Ampel-Regierung den Mehrwertsteuersatz auf Speisen für die Gastronomie wieder auf 19 Prozent an. „Das war ein Kostenschlag, den die Branche auch und gerade aufgrund der gestiegenen Kosten für Lebensmittel, Personal und Energie so nicht an ihre Kunden weitergeben konnte und kann. Dann kommen noch weniger Gäste oder sie halten sich an einem Glas fest“, schimpft denn auch die Oppositionspolitikerin Anja Karliczek (CDU) über den Wortbruch der Regierung. Konsequenz: Die CDU schrieb es sogar ins Wahlprogramm, diese Steuererhöhung wieder rückgängig machen zu wollen. In 21 von 23 EU-Staaten gilt der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Speisen. Konsequenz: Das Schnitzel oder der Salat im deutschen Gasthaus ist einfach knapp drei Euro teurer als in den Niederlanden, Polen oder Frankreich. Gerade in grenznahen Regionen ein weiterer Wettbewerbsnachteil. Das Kneipensterben trifft nämlich nicht nur die Gäste, die vor verschlossenen Türen stehen oder Unternehmer-Familien, die ihre gastronomischen Betriebe oft seit Generationen führen und die auch das Dorfbild oder den zentralen Platz der Kleinstadt prägen. Vereine, Parteien und andere Gruppen haben schon jetzt Probleme, geeignete Räume für ihre Treffen und Begegnungen zu finden. Früher waren das die Kneipen oder kleinere Gasthäuser, die ihre Säle gern zur Verfügung stellten. „Mit jeder Kneipe, die schließt, fehlt uns nun ein gesellschaftliches Wohnzimmer. Das ist schon bitter, gerade für den ländlichen Raum“, so der Dehoga-Sprecher.