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- Planungsstopp im Wilden Westen
Der Windkraft-Spitzenreiter tritt auf die Bremse: CDU und Grüne haben in NRW das Landesplanungsgesetz so ergänzt, dass der Neubau von Anlagen außerhalb von vorgesehenen Windenergiegebieten für ein halbes Jahr gestoppt ist Anfang des Jahres gab sich NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) noch hochzufrieden: „Der massive Ausbau der Windenergie ist entscheidend für die Zukunft Nordrhein-Westfalens als Industriestandort“, erklärte sie mit Blick auf die Spitzenposition, die das bevölkerungsreichste Bundesland im Jahr 2024 beim Windkraft-Ausbau übernommen hat. Der Ausbau scheint inzwischen zu „massiv“ und untergräbt die regionale Planung. Seit Monaten macht angesichts einer Antragsflut für Anlagen außerhalb geplanter Windenergiegebiete in NRW der Begriff vom „Wildwuchs“ die Runde. Tatsächlich ist die Antragszahl zuletzt von November 2024 von insgesamt 846 auf 1427 im Dezember 2024 gestiegen – ein Wachstum von 68,7 Prozent in einem Monat. Die Zahl der beantragten Vorbescheide außerhalb der Windenergiegebiete hat sich laut Landesregierung dabei mehr als verdoppelt (von 432 auf 959). Doch gerade einmal 17 Prozent der Anträge auf Erteilung eines Vorbescheids zu einem Vorhaben liegen innerhalb der geltenden oder geplanten Windenergiegebiete. Der Focus schrieb nicht zu Unrecht vom „Wilden Westen beim Windkraft-Ausbau“. Standort sichern, lautete für viele Investoren offenbar die Devise. Fast kompletter Stopp von Genehmigungsverfahren Jetzt hat die schwarz-grüne Koalition in Düsseldorf reagiert. Da die neuen Regionalpläne wohl erst zum Ende des Jahres in Kraft sein werden, hat sie im Landtag per Beschluss einen fast kompletten Stopp von Genehmigungsverfahren durchgesetzt. Das liest sich erst einmal so, als könnte die interministerielle Task Force „Ausbaubeschleunigung Windenergie NRW“ ihre Arbeit einstellen. Tatsächlich geht es aber um komplizierte (planungs-)rechtliche Fragen, mit denen sich in der Vergangenheit bereits das Oberverwaltungsgericht in Münster befassen musste. Nun sehen Fachleute in der jüngsten Mehrheitsentscheidung bereits den dritten Anlauf, um die Regionalplanung abzusichern und die inzwischen unübersichtlich gewordenen Genehmigungsverfahren zu steuern. Effekt: Zig Hundert Windkraftplanungen in NRW, die außerhalb von Windenergiegebieten liegen, sind zunächst einmal angehalten. Die Genehmigungsbehörden dürfen sie bis auf Weiteres nicht mehr bearbeiten. Eine Ausnahme gibt es nur für Repowering-Vorhaben und für Vorhaben, für die bereits zehn Monate vor Inkrafttreten des Moratoriums vollständige Genehmigungsunterlagen bei der Genehmigungsbehörde vorlagen. Und Bezirksregierungen können Einzelfall-Genehmigungen erteilen, wenn durch die Anlagen ausnahmsweise nicht die Konzentration von Windrädern in Vorranggebieten gestört wird. Man darf gespannt sein, wann erste Gerichte angerufen werden. Der ein oder andere Investor wird versuchen, über den Klageweg doch noch zu einer Genehmigung zu kommen. Es geht auch um die Akzeptanz der Windenergie Die CDU will mit dieser neuen Regelung die Akzeptanz für die Windenergieanlagen erhalten und am Ende die Energiewende erfolgreich voranbringen. Die SPD kritisiert, dass man so alle möglichen Windenergieanlagen ausmerze, die im Außenbereich noch erlaubt sein könnten. Dem Landesverband Erneuerbare Energie (LEE) NRW geht es deutlich zu weit, dass man Windenergievorhaben außerhalb der noch immer nicht fertiggestellten Regionalpläne den Boden entziehe. Der Bundesverband WindEnergie sieht in dem Vorstoß eine Gefahr für den weiteren Ausbau der Windenergie in NRW. Erst in den vergangenen Wochen hätten sich Bundesregierung und Union auf Drängen von NRW auf Änderungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz geeinigt. Danach können sich Planer Flächen außerhalb von (in Aufstellung befindlichen) Vorranggebieten nicht mehr mittels eines einfachen Vorbescheids sichern. Dies hätte doch schon gereicht. Unzufrieden sind neben der Energiebranche auch Forstverbände. Viele Waldbesitzer sind auf die Einnahmen durch Windkraftprojekte angewiesen. „Flächeneigentümer und Investoren haben im Vertrauen auf die bisherigen gesetzlichen Rahmenbedingungen vielerorts bereits erhebliche, vor allem finanzielle Vorleistungen erbracht“, sagt Max von Elverfeldt, Vorsitzender des Verbands Familienbetriebe Land und Forst NRW. „Diese Vertrauensbasis darf nicht zerstört werden. Flächeneigentümer leisten einen maßgeblichen Beitrag zur Energiewende, indem sie ihre Grundstücke für den Ausbau erneuerbarer Energien bereitstellen. Ohne Verlässlichkeit und Planbarkeit gerät dieser Einsatz jedoch ins Wanken.“
- Mit viel Details zum ländlichen Raum
Die Union beweist mit ihrem Programm eine große Nähe zum ländlichen Raum. Zentralen Themen wie Landwirtschaft, Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Kultur werden ausführlich berücksichtigt Foto: johnNaturePhotos Wer die Volksparteien CDU oder CSU wählt, trägt dazu bei, dass die Belange des ländlichen Raumes viel stärker berücksichtigt werden als unter der Ampel-Koalition – zumindest, wenn man dem Wahlprogramm folgt. Unter dem Titel „Politikwechsel für Deutschland“ widmet sich das Programm umfassend den Bedürfnissen von Dorfbewohnern und Kleinstädtern. Es nimmt die Interessen von Land- und Forstwirten ebenso ernst wie die von Winzern, Fischern, Jägern und Pendlern. Zum Verhältnis von Stadt und Land heißt es ausdrücklich: „Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse.“ Anreize bevorzugen die Christdemokraten gegenüber Verboten. Immerhin mehr als zwei von 82 Seiten widmen sich der Landwirtschaft. Die Unionsparteien versprechen den Bauern mehr Entscheidungsfreiheit und weniger Vorschriften. Sie wollen die Bürokratie abbauen, die Agrardieselrückvergütung wieder einführen und den Wolfsbestand regeln: „Wölfe müssen bejagt werden können, damit weniger Weidetiere gerissen werden.“ Dafür soll der Wolf ins Bundesjagdgesetz aufgenommen werden. Ähnliche Regelungen sind für andere Arten wie Saatkrähen und Kormorane geplant, die nicht mehr gefährdet sind. „ Ein Landwirt muss wieder Landwirt sein können“ Ausmisten möchten CDU und CSU bei den Berichts- und Dokumentationspflichten, sodass es zum Beispiel keine Stoffstrombilanz im Düngerecht mehr geben soll – also eine Bilanz über Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor, die in den Hofbetrieb hineinkommen und wieder herausgehen. Vorgaben des Europarechts sollen eins zu eins umgesetzt werden, nicht über das Mindestmaß an Regulierung hinaus. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU wollen die Christdemokraten drastisch vereinfachen, um kleinteiligen Kontrollen zu vermeiden. „Ein Landwirt muss wieder Landwirt sein können“, lautet richtigerweise ihr Anspruch. Um ökologische Ziele zu erreichen, setzen die Unionsparteien auf Anreize, auf Vertragsnaturschutz, auf Naturschutz auf Zeit, auf die Honorierung von Natur- und Umweltschutz sowie auf Innovationen. Zwangsweises Stilllegen von Flächen lehnen sie dagegen ab. „Dabei sind uns konventionelle und ökologische Landwirtschaft gleich wichtig“, heißt es wörtlich. Der Schutz der Moore soll intensiviert werden, jedoch in Zusammenarbeit mit den Grundstückseigentümern. Die Wiedervernässung wollen die Christdemokraten durch Anreize erreichen. Das ist konkret. In der Land- und Forstwirtschaft möchten CDU und CSU die Präzisionszüchtung über „Smart Breeding“ unterstützen, dagegen das auch vom Deutschen Bauernverband kritisierte sogenannte „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ des jetzigen Agrarministeriums abschaffen. Sie lehnen auch den „Ausverkauf“ landwirtschaftlicher Flächen an Kapitalinvestoren ab. Den Generationswechsel auf den Höfen haben sie im Blick: „Wir sorgen für Planungs- und Finanzierungssicherheit, damit unsere Betriebe eine Zukunft haben“, heißt es dazu, ohne zu schreiben, wie genau das geschehen soll. Für eine höhere Pendlerpauschale Während die Ausführungen zur Landwirtschaft detailliert sind, bleiben die Passagen zur Verkehrspolitik allgemeiner: „Wichtig ist ein bedarfsgerechter und zukunftsfester öffentlicher Personennahverkehr“, heißt es beispielsweise. Dazu gehörten eine zuverlässige und robuste Infrastruktur sowie ein attraktives Angebot in Stadt und Land. „Bei der Finanzierung des ÖPNV wollen wir eine neue Transparenz schaffen und eine auskömmliche Finanzierung sichern“, heißt es vage. Nach Deutschlandticket klingt es jedenfalls nicht. Gleich vorne im Programm, an prominenter Stelle, sagen die Unionsparteien zu, die Pendlerpauschale zu erhöhen. „So stärken wir unsere Leistungsträger im ländlichen Raum.“ Zur Entwicklung ländlicher Räume möchten CDU und CSU eine „kluge Dorfentwicklung“ fördern und die Raumplanung stärker nutzen. Ballungsräume sollen durch einen Ausbau von Verkehrswegen und Nahverkehr entlastet werden. Die „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Regionalen Wirtschaftsstruktur“ bleibe dafür das Leitinstrument. Für die Regionen abseits der großen Städte seien Tourismus und eine lebendige kulturelle Infrastruktur wichtig: „Museen, Theater, Bibliotheken oder Galerien gehören auch in den ländlichen Raum. Sie sind Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse.“ Für den Ausbau von Breitband- und Mobilfunknetzen Die Unionsparteien haben dezidiert die Rolle der Kommunen im Blick: „Besonders darauf zu achten ist, wenn Bundesgesetze oder andere Maßnahmen des Bundes bei den Ländern und Kommunen zu Mehrausgaben oder Mindereinnahmen führen.“ Projekte der kommunalen Daseinsvorsorge müssten solide finanziert sein. Dafür bräuchten die Kommunen dauerhaft sichere Einnahmequellen. „Die Prozesse müssen schneller, die Rechtswege kürzer werden.“ CDU und CSU sagen zu, den Ausbau hochleistungsfähiger Breitband- und Mobilfunknetze weiter in die Fläche zu bringen, „gerade auch in den ländlichen Raum“. Bestehende Hindernisse würden beseitigt. Mit Glasfaser sollen die Netze zukunftsfest gemacht werden. „Wir wollen schnellstmöglich ein wirksames Beschleunigungs-Gesetz auf den Weg bringen und den Genehmigungsturbo zünden“, heißt es. Gegen „kalten Strukturwandel“ der Krankenhauslandschaft In der Gesundheitspolitik wollen die Christdemokraten den „kalten Strukturwandel“ in der Krankenhauslandschaft verhindern. „Fehlsteuerungen in Folge der Krankenhausreform werden wir korrigieren.“ Eine flächendeckende stationäre Grund- und Regelversorgung im ländlichen Raum betrachten die Unionsparteien in Kombination mit der ambulanten Tätigkeit von Haus- und Fachärzten sowie den Leistungen anderer Gesundheitsberufe, die mehr Verantwortung übernehmen sollen. Fazit: Kein anderes Wahlprogramm geht so detailliert, konkret und kenntnisreich auf die Agrarpolitik und den ländlichen Raum ein. Die Bewohner dünn besiedelter Regionen dürften sich hier wiederfinden. An den Zusagen müssen sich die Unionsparteien allerdings auch messen lassen, falls sie wie derzeit erwartet die größte Regierungsfraktion werden.
- Suche nach dem Wald der Zukunft
Der Wald kämpft mit den Folgen von Schädlingsbefall und Klimawandel. Stürme heben ihn gelichtet. Regional gibt es große Ausfälle durch Kalamitäten Weitgehend besteht große Einigkeit, dass der Wald widerstandsfähiger werden muss und auch künftig forstlich genutzt und allenfalls partiell sich selbst überlassen werden soll. Wie jedoch ein klimaresilienter, arten- und strukturreicher Wald aussehen muss, ist keineswegs ausgemacht. Antworten erhofft sich die schwarz-grüne Regierungskoalition in Nordrhein-Westfalen künftig von einem Institut für Waldökosystemforschung. Für dessen Aufbau stellt sie in den kommenden drei Jahren 1,5 Millionen Euro bereit, um die wissenschaftliche Forschung und den Praxistransfer zu fördern. Die neue Forschungseinrichtung widmet sich damit dem gleichen Themenbereich wie das Thünen-Institut Waldökosysteme und das Forschungszentrum Waldökosysteme an der Georg-August-Universität Göttingen. Stets geht es um die Wirkung des Klimawandels auf Waldökosysteme und Optionen zur Anpassung von Waldbeständen und Waldbewirtschaftung. In Göttingen etwa nutzen die Wissenschaftler Daten des forstlichen Umweltmonitorings und eigene Erhebungen, um die wichtigsten Treiber für eine Änderung der Vitalität und Produktivität von Wäldern zu identifizieren. In internationalen Netzwerken werden Konzepte und Maßnahmen für ein adaptives Waldmanagement mit den Elementen Transfer von Baumarten und Herkünften sowie Änderung der waldbaulichen Behandlung von Waldbeständen entwickelt. Dabei geht es nach eigenen Angaben auch um die ökonomische Bewertung ökologischer Sachverhalte. Das Forschungszentrum arbeitet disziplinenübergreifend und ist eine gemeinsame Einrichtung von drei Fakultäten (Forstwissenschaften und Waldökologie, Biologie, Geowissenschaften) und zwölf Abteilungen der Universität Göttingen. Es werden etwa 40 Jahre alte Dauerversuchsflächen in Solling, Harz und Göttinger Wald und dazugehörige meteorologische Messtürme mit kontinuierlicher Datenerfassung unterhalten. Das Zentrum spricht davon, dadurch stünden „einzigartige Datensätze und Messreihen zur Verfügung, die weltweit einmalig sind und einen unschätzbaren wissenschaftlichen Wert darstellen“. Lücke in der Forstwissenschaft soll geschlossen werden So weit ist man in NRW noch lange nicht. Das dort geplante neue Institut ist auch eine Folge des Scheiterns verschiedener Versuche, Professuren an den Universitäten Bonn und Münster zu etablieren sowie ein Hochschulangebot aufzubauen. Um diese Lücke zu schließen, wurde dann 2020 das Zentrum für Wald und Holzwirtschaft unter dem Landesbetrieb Wald und Holz gegründet. Es ging aus dem ehemaligen Lehr- und Versuchsforstamt Arnsberg hervor. Um Synergien zu nutzen, sieht ein Antrag der grünen Landtagsfraktion vor, das neue Institut an der Fachhochschule Soest in Verbindung mit dem Zentrum für Wald- und Holzwirtschaft in Arnsberg zu realisieren. Damit wäre es in einer waldreichen Region angesiedelt und könnte mit bereits bestehenden Strukturen kooperieren, zumal die FH Soest einen klaren Landnutzungsschwerpunkt hat. Zudem wären die Voraussetzungen gegeben, dass Forschung und praxisnahe Lehre, auch in Kooperation mit dem Landesbetrieb Wald und Holz NRW, schnell in der Waldbewirtschaftung ankommen könnten. Zudem soll das Institut dem Fachkräftemangel in der Branche entgegenwirken. So zumindest die Hoffnung und das erklärte Ziel. Das sollte dann auch Unterstützung für die rund 150.000 Privatwaldbesitzer in NRW sein. Ihnen gehören 63 Prozent der insgesamt etwa 950.000 Hektar Wald (28 Prozent der Landesfläche). Bundesweit sind 30 Prozent der Fläche bewaldet (10,7 Millionen Hektar). Welche Baumarten zur Wiederbestockung? Die NRW-Landesregierung will mit den insgesamt 1,5 Millionen Euro in den kommenden drei Jahren ein Konzept für die Umsetzung erarbeiten und führt bereits Gespräche zur Realisierung des Instituts. Optimisten wünschen sich einen konkreten Startschuss noch in diesem Jahr. Am Ende wird es für die Praktiker auch darum gehen, mit welchen Baumarten die immens energieaufwendige Wiederbestockung der Kahlflächen erfolgt. Dominieren heute in Deutschland die Nadelbäume Fichte (25 Prozent) und Kiefer (23 Prozent), gefolgt von den Laubbäumen Buche (16 Prozent) und Eiche (10 Eiche), so ist für Dr. Peter Pröbstle, Leiter der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF), klar: „Fichtenreinbestand wollen wir in Zukunft nicht mehr. Ein Mischbestand ist einfach stabiler gegenüber allen Risiken.“ Dabei geht es dann um heimische Arten wie Eiche, Tanne, Speierling oder Elsbeere, die gerne auch mal aus südlicheren Ländern kommen dürfen. Denn, was in einem Klima wächst, das bei uns in 50 bis 100 Jahren zu erwarten ist, berechtigt zu der Annahme, auch hier bestehen zu können. Allerdings macht es keinen Sinn, Bäume zu pflanzen, die vielleicht in Jahrzehnten gut gedeihen, wenn sie heute der Kälte nicht Stand halten. Zu den Arten, von denen die meisten Fachleute jetzt und im künftigen Klima eine hohe Überlebenswahrscheinlichkeit erwarten, zählt die nordamerikanische Douglasie.
- Wahlkampfduelle, grüne Städte und ein wandernder Wolf
Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserin, lieber Leser, selbst die Süddeutsche Zeitung stellte gestern nach der ersten Wahlsendung „Schlagabtausch“ fest: „Neben der Migration werden es andere Themen schwer haben.“ Das war die erste Runde der „Kleinen“ im ZDF. Ob wir da morgen mehr vom Duell „Scholz gegen Merz“ auf beiden großen öffentlichen TV-Kanälen dann sehen und hören werden? Alles dreht sich um den Wahl-Endspurt zum 23. Februar. Wir bleiben dabei, auch in dieser Wochenkolumne, nicht nur auf den politisch fast alles überstrahlenden Wahlkampf einzugehen, sondern auch mal darauf zu schauen, wie grün im wahrsten Sinne des Wortes ein Ballungszentrum sein kann, welche politischen Zukunftssorgen die Jägerschaft bewegen und wo gerade wieder einmal ein Wolf seine Spuren mit Wild- und Schafsrissen hinterlässt. Hinter uns liegt eine Woche voller politischer Aufregung – auch künstlicher. Die linksalternative TAZ schreibt: „Die Zusammenarbeit der Union mit der AfD im Bundestag löst Schockwellen aus.“ Irgendwie muss es da eine links verortete Mitwirkung in den Parteien geben, die für sich gleichzeitig die Mitte beanspruchen. Das bezieht sich auf die Befeuerung einer Demo-Kampagne gegen Friedrich Merz , die auf Straßen, Plätzen und vor CDU-Geschäftsstellen stattfindet. Der Begriff „Zusammenarbeit“ der CDU mit der AfD in dem TAZ-Zitat entspricht wahrlich nicht der Wirklichkeit. Das erkennt jeder, der sich mit dem Vorgang der umstrittenen Abstimmung im Bundestag befasst und beobachtet, was sich drumherum abspielt. Der Versuch, mit Stimmungen die vielzitierte Brandmauer vor die Union zu verschieben, hat in der Wirklichkeit wohl nichts mehr mit der politischen Mitte zu tun. Beim Blick auf die Umfragen fällt auf, dass sich in der Sonntagsfrage offensichtlich nicht viel verändert – eher leicht verbessert. Die Rechnung von Scholz und Habeck ging nicht auf. Und wer ist die Mitte? Bei der Europawahl hat die SPD jeweils über 570.000 Wähler an AfD und BSW verloren, aber auch 1,45 Millionen an die CDU. Wenn die Scholz-Partei jetzt mit dem Spruch „Mitte statt Merz“ wirbt, muss man sich automatisch fragen, ob die SPD mit ihren 15-Prozent-Prognosen wirklich noch die Mitte vertritt. Die Grünen mit ihrem neuen internen Gezänk um Habeck schon gar nicht. Nach dem Deutschlandtrend vom 31. Januar meldet die ARD-Tagesschau: „Zwei von drei Bürgerinnen und Bürgern (68 Prozent) sind der Meinung, Deutschland sollte weniger Flüchtlinge aufnehmen als bislang. Dieser Wert ist in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. Gern wird vor allem vom bereits zitierten und noch amtierenden grünen Wirtschaftsminister Habeck an die Unverzichtbarkeit von Fach- bzw. Arbeitskräften mit Migrationshintergrund erinnert. Das deckt aber nicht das Kernthema Zuwanderung ohne gültige Einreisepapiere ab, die übrigens 57 % der Befragten ablehnen. Nach der Wahl kommen alle Themen in ihrer Breite wieder auf den Tisch In den aktuellen Diskussionen über Zuwanderung wird die Gesamtthematik in vielen Fällen mit den bei uns fehlenden Arbeitskräften in Verbindung gebracht. Genannt werden immer wieder Krankenhaus- und Pflegepersonal. Erinnert sei bei dieser Gelegenheit daran, dass das auch auf Landwirtschafts-, Garten-, Weinbau- und Forstbetriebe zutrifft, auch wenn hier vorwiegend Saisonkräfte beschäftigt werden, die meist aus europäischen Ländern kommen. Hier geht es auch um ein Gesamtbild. Das ändert nichts daran, dass sich der laufende Wahlkampf auf die Themen Migration, Sicherheit und Wirtschaft im Allgemeinen verengt. Wenn es dann mit einer neuen Koalition ans Regieren geht und ein neuer Koalitionsvertrag entsteht, kommen wieder alle Themen auf den Tisch – auch die, die uns bewegen. Wenn etwa in der vergangenen Woche rund 20.000 Jägerinnen in Hannover zusammengekommen sind, um gegen ein neues (Landes-)Jagdgesetz zu demonstrieren, hat das in erster Linie mit der Bundestagswahl nichts zu tun. Sie kamen aber aus dem ganzen Bundesgebiet, um ihre Sorge zu zeigen, dass Grün-Rot perspektivisch das Jagen verbieten will. Das gibt wie die Bauernproteste eine latente Stimmung wieder, die natürlich auch weiter bei den Bundestagswahlen wirkt. In unserem Blog schaut unser Autor Christian Urlage in die relevanten Partei- und Wahlprogramme, was von wem im künftigen Bundestag zu erwarten ist, wenn wieder über die Entwicklung der ländlichen Räume und deren eingebettete Wirtschaftsbereiche debattiert und beschlossen wird. Daneben wird wohl bald die Zick-Zack-Zoll-Politik Trumps am Ende über die EU auch uns auf dem Lande treffen. Und damit sind wir wieder bei der Rolle einer neuen Bundesregierung, die nicht nur die Migration auf der Agenda hat, sondern eben mehr. Bürgermeister fragen Kandidaten Ein neues Format in einem Bundestagswahlkampf ist mir übrigens in Baden-Württemberg aufgefallen. Dort hat in Singen ein Wochenblatt die Bürgermeister und Oberbürgermeister der Region gebeten, Fragen aus der Kommunalpolitik an die verschiedenen Bundestagskandidaten der Parteien zu stellen. Dazu gehört als Beispiel auch, ob der, der etwas bestellt hat (Bund oder Land), das auch bezahlt oder den Aufwand den Kommunen überlässt. Es geht um gesetzlich beschlossene Aufgaben , die dann ohne Absicherung der Finanzierung nach unten übertragen werden. Da fallen dann die Stichworte Betrieb von Krankenhäusern, Kitas oder auch Asylheime. Damit sind wir wieder bei dem, was gerade kleinere Kommunen trifft. Stadt und Land nahe beieinander Bei einem Wochenendausflug hatten wir nach der Dortmunder Messe Jagd & Hund mit Essen noch eine weitere Ruhrgebietsmetropole zum Ziel. Bei einer Fahrt durch die Südbezirke beider Städte sind Ortsfremde oft überrascht, wie grün in Ballungszentren wie hier an der Ruhr die Städte sind. Der Weg zwischen zwei Essener Stadtteilen von Heidhausen über Werden nach Kettwig führt knapp zehn Kilometer fast ausschließlich durch ausgedehnte Wälder mit großenteils alten Beständen. Da fragt sich der Interessierte, wie hier in einer Großstadt mit 600.000 Einwohnern Jagd und Hege funktionieren. Das ist in neun Hegeringen organisiert. Und es treffen die Interessen von Stadt und Land direkt aufeinander. Sie auszugleichen und der gegenseitige Wissenstransfer gehört auch zu den Anliegen der Stiftung natur+mensch , die diesen Blog herausgibt. Der Oberbürgermeister der Stadt, Thomas Kufen (CDU), erinnert gern daran, dass sich Essen als „Grüne Hauptstadt Europas 2017“ für immer verpflichtet sieht. „Der renommierte Titel war und ist für uns Auszeichnung und Ansporn zugleich.“ Einmal Grüne Hauptstadt, immer Grüne Hauptstadt . Kufen verspricht, in den Bemühungen um Artenschutz, Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, Umweltschutz und Klimaneutralität nicht nachzulassen. Das sagte er jetzt wieder ausgerechnet in einem Industriedenkmal, der Zeche Zollverein, beim 20. Flora-Fauna-Tag dort. Mehr Symbolik geht nicht. Wolf trifft Medien – und das direkt Und dann noch etwas, das man unter der Rubrik „Wolf trifft Medien“ vermerken könnte. Über ein inzwischen nicht mehr so außergewöhnliches Erlebnis berichtet der Zeitungsverlag Schleswig-Holstein (SHZ), in dem auch die Kappelner Lokalzeitung Schlei-Bote erscheint. Ein Zusteller filmte gegen 4 Uhr morgens einen Wolf. Er berichtet: „Auf gerader Strecke rennt das Tier auf der linken Seite zwischen Karby und Kappeln an der Schlei.“ Der Mann dachte erst, es sei ein Fuchs. „ Als ich dann näherkam, sah ich den riesigen Wolf .“ Sehr schnell soll er gewesen sein. Wie das bei uns so ist, liegt die Zuständigkeit bei einer solchen Sichtung beim Wolfs-Koordinator. Das ist dort Jens Matzen, der nach dem Zeitungsbericht sofort eine Idee hatte, um welches Tier es sich handeln könnte: vermutlich ein Rüde aus Sachsen, der seit einigen Wochen in Schleswig-Holstein unterwegs ist. Ein männliches Tier mit dem Namen GW4176m. Seine Spur der Schafs- und Wildtierrisse führt nach der in der Zeitung zitierten Vermutung des Fachmanns in Sachen Wölfe durch die Kreise Segeberg und Rendsburg-Eckernförde sowie die Wilstermarsch weiter in den Norden an Schlei und Ostsee. Dort leben die Menschen hinter Deichen, die die Schafe bekanntermaßen nicht nur zur Weide nutzen, sondern auf denen sie eine unverzichtbare Aufgabe zur Pflege erledigen. In der Hoffnung, dass Ihre Reviergänge ohne derartige Begegnungen bleiben, wünsche ich ein erholsames Wochenende. Vielleicht auch mal in einem Stadtwald! Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination
- Wenn man im Dorf festsitzt
Armut gibt es in der Stadt und auf dem Land. Im Dorf hat sie allerdings ein anderes, oft verdecktes Gesicht. Zudem haben Betroffene dort in ihrer Notsituation zusätzlich mit schlechter Infrastruktur und fehlender Mobilität zu kämpfen Foto: angieconscious / pixelio.de Deutschland ist im weltweiten Vergleich wohlhabend, doch auch hierzulande gibt es Armut in unterschiedlichster Ausprägung. Während die Bedürftigkeit in der Stadt bereits Gegenstand vieler unterschiedlicher Forschungsprojekte ist, wird die Armut auf dem Land bislang kaum beleuchtet. Erst seit wenigen Jahren schauen zum Beispiel die „Landesarmutskonferenzen“ stärker in die Fläche. Fachleute gehen unterdessen davon aus, dass die Armut-Dunkelziffer besonders in ländlichen Gebieten hoch ist und deshalb in den offiziellen Statistiken unterrepräsentiert sein könnte. Denn Betroffene versuchten dort aus eigener Kraft, mit einem Einkommen am Rande des Existenzminimums über die Runden zu kommen. Sie wollen nicht, dass man im Dorf über sie redet, und sie nutzen oft vor Scham nur selten die Hilfsangebote. Experten wie Dr. Rudolf Martens, viele Jahre Leiter einer Forschungsstelle im Paritätischen Gesamtverband, sprach schon vor Jahren davon, dass „Armut in ländlicher Idylle (…) eine spezifische und zugleich strengere Form der Armut“ darstellt. Wachsendes Armutsproblem in strukturschwachen Landstrichen Gerade strukturschwache Regionen, in denen die Einkommen im Vergleich niedrig sind, haben ein zunehmendes Armutsproblem. Denn hier können vielfach Kommunen und Kreise trotz mancher Fördermaßnahmen aufgrund ihrer eigenen angespannten Finanzlage die Infrastruktur kaum so gestalten, dass ärmere Bewohner dadurch spürbare Erleichterung erfahren. Eine wichtige Rolle kann zwar eine intakte und engagierte Dorfgemeinschaft übernehmen. Schafft sie es aber nicht, Menschen mit wenig Geld im Portemonnaie zu integrieren, sind die Betroffenen buchstäblich arm dran. Erste tiefere Erkenntnisse zur Armut auf dem Land hat das Thünen-Institut in einem noch bis Ende 2025 laufenden Projekt gewonnen. Gemeinsam mit der Universität Rostock erforscht man das große Thema „Armut und soziale Teilhabe in ländlichen Räumen“. Eine Pilotstudie zur Armut in ländlichen und städtischen Regionen von Mecklenburg-Vorpommern hat nach Institutsangaben ergeben, dass ein wichtiger Unterschied zwischen den Befragten in der Hansestadt Rostock und denen im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte die Zufriedenheit mit dem Wohnumfeld und der vorhandenen Infrastruktur ist. In der Stadt seien die Befragten im Großen und Ganzen mit dem verfügbaren Angebot von Ärztehäusern, Familienhelfern, gesetzlichen Betreuern, Stadtteilzentren, Maßnahmen der Jobcenter, Selbsthilfegruppen, Supermärkten oder kleinen Einkaufszentren zufrieden. Für die Befragten im ländlichen Raum hingegen sei Mobilität und fehlende Infrastruktur in naher oder gar fußläufiger Entfernung eines der größten Probleme. Ohne Auto sitze man dort buchstäblich fest. Auto unverzichtbar – auch für die, die es sich nicht leisten können Das bedeutet: Obwohl sie es sich eigentlich nicht leisten können, müssen von Armut Betroffene auf dem Land ein Auto unterhalten, um zum Beispiel zur Arbeit zu gelangen oder andere Dinge des täglichen Lebens wie den Arzt- oder Behördenbesuch zu erledigen. Das Thünen-Institut spricht von einer „Mobilitätsarmut“, die die ohnehin schwierige Lage der Betroffenen auf dem Land noch einmal verschärft. Die Bundesregierung hat diese besondere Situation zuletzt im Dezember in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag bestätigt. Bestimmte Ausprägungen von Armut hätten in ländlichen Regionen stärkere Auswirkungen, heißt es. Und: Auch „Unterstützungsstrukturen“ wie zum Beispiel die Tafeln oder andere Sozialdienste seien in ländlichen Räumen seltener zu finden. Bei der Frage nach Gegenmaßnahmen verweist die Bundesregierung unter anderem auf das Deutschlandticket , das bekanntermaßen gerade in den ländlichen Gebieten mit einem dünnen Nahverkehrsnetz kaum eine große Hilfe darstellt. Hier wird deutlich, dass man der „Mobilitätsarmut“, die Armut auf dem Land zweifellos verstärkt, mehr als bisher entgegensetzen muss. Es wird Zeit, dass Armut auf dem Land in der Politik stärker wahrgenommen und diskutiert wird.
- Für die Bauern weniger Bürokratie und Zuwendungen
Die Liberalen sehen Landwirte in ihrem Wahlprogramm als Unternehmer. Die FDP fordert weniger Regulierungen und Subventionen und setzt auf neue Technologien Foto: FDP Obwohl die FDP bei der Bundestagswahl am 23. Februar zittern muss, könnte sie die Fünf-Prozent-Hürde noch überspringen und erneut ins Parlament einziehen. Ihre Inhalte stimmen am meisten mit CDU und CSU überein, auch in ihren Aussagen zur Landwirtschaft und zum ländlichen Raum. Selbst wenn diese Bereiche im Schatten stehen, weil die Migration leider alle anderen Wahlkampf-Themen überstrahlt, lohnt sich ein Blick ins FDP-Programm. Es trägt den Titel „Alles lässt sich ändern“ und widmet den Bauern das Kapitel „Unternehmerische Landwirtschaft“. Die FDP sieht Landwirte als Unternehmer, was ihrem marktwirtschaftlichen Kurs entspricht. Sie will die Nutztierhaltung in Deutschland erhalten und die Lebensmittelversorgung sicherstellen. Das klingt vernünftig. Ebenso, dass die Partei auf Technik setzt: Fortschritte durch künstliche Intelligenz hält sie für zielführender als Subventionen. Das gilt auch für neue Züchtungsmethoden und andere Innovationen. Die Liberalen bevorzugen eine Steigerung der Produktivität gegenüber öffentlichen Zuwendungen, die sie als ineffektiv abtun. Ob das die Bauern auch so sehen? Jedenfalls wird die Subvention beim Agrardiesel, deren Abbau vor einem Jahr zu großen Protesten führte, im Wahlprogramm nicht erwähnt. „ Jagd ein unverzichtbarer Teil nachhaltiger Landnutzung“ Immerhin ist es folgerichtig, dass die Liberalen die Landwirte von staatlicher Abhängigkeit befreien und Bürokratie abbauen wollen. So fordert die FDP eine vereinfachte Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und weniger Auflagen, Regulierungen und Dokumentationspflichten auf EU-Ebene. Wie das genau geschehen soll, lässt das Wahlprogramm jedoch offen. Die Jagd ist für Freie Demokraten „ein unverzichtbarer Teil nachhaltiger Landnutzung und Schutz der Biodiversität“. Sie sprechen sich für ein „verantwortungsbewusstes Wildtiermanagement“ aus und wollen richtigerweise den Bestand von neuen und invasiven Arten sowie von Wölfen und Kormoranen regulieren. Gegen eine Änderung des Bundeswaldgesetzes Das Bundeswaldgesetz, das in diesem Jahr 50 Jahre alt wird, soll bleiben. Für die FDP hat es sich bewährt, während die Grünen es bis zum vergangenen Jahr reformieren wollten, was Kritik von Waldbesitzern und Naturschützern hervorrief. Für Forstwirte will die FDP die Handlungsspielräume für ein nachhaltiges Wirtschaften schaffen und beim Umbau zu einem klimaresistenten Wald auch nicht-heimische Baumarten pflanzen lassen. „Eigentumseingriffe und unnötige Bewirtschaftungsvorschriften wird es mit uns nicht geben“, heißt es zudem. Die geplante europarechtliche Regelung zu entwaldungsfreien Lieferketten hält die FDP für praxisuntauglich, was nachvollziehbar ist. Im Naturschutz bevorzugen die Liberalen den Erhalt ganzer Populationen und Lebensräume gegenüber kleinteilig angelegten Naturschutzmaßnahmen. „Bisher müssen Bauvorhaben, die neue Flächen nutzen, individuell genehmigte Ausgleichsflächen finden und diese ausschließlich für den Naturschutz einsetzen“, heißt es dazu. Hier hat die FDP aber offenbar vor allem Bauunternehmen im Blick, die zügig ihre Vorhaben umsetzen wollen. Planungszeiten für Infrastrukturprojekte will die FDP halbieren Die Aussagen zum ländlichen Raum sind recht dünn. In der Gesundheitspolitik fordert die FDP, dass alle Menschen in Deutschland Zugang zu einer wohnortnahen und qualitativ hochwertigen Versorgung haben. Außerdem wollen die Liberalen die Planungszeiten für alle Infrastrukturprojekte mindestens halbieren. Schön, wenn es funktionieren würde. Aber wie das passieren soll, ist dem Wahlprogramm nicht zu entnehmen. Bei Mobilfunk und Glasfaser will sich die FDP vernünftigerweise dafür einsetzen, dass der Ausbau ein überragendes öffentliches Interesse im Telekommunikationsnetzausbaubeschleunigungsgesetz des Bundes wird. Alles in allem klingen die Forderungen realitätsnah, auch wenn die Umsetzung nicht beschrieben wird. Wenn die Liberalen Koalitionspartner der Union würden, wären angesichts großer Übereinstimmungen wenig Konflikte zu erwarten. Doch wie eingangs erwähnt, ist es aktuell unsicher, ob die FDP in den Bundestag einzieht. Wer die Ziele der Liberalen teilt, hätte bei einer Wahl von CDU oder CSU eine größere Garantie auf deren Umsetzung.
- Die Ängste hinter der Brandmauer
Zweieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl wird über Migration und Brandmauern debattiert. Auf dem Parteitag folgte die CDU ihrem Kanzlerkandidaten in großer Geschlossenheit Foto: CDU / Tobias Koch Die täglichen Veranstaltungen laufen häufig gleich ab. Die Kandidaten touren quer durchs Land, stellen sich Diskussionen im Wahlkreis, sprechen auf Podiumsdiskussionen, geben Interviews. Es geht natürlich um die auseinandergebrochene Ampel-Regierung, die Wirtschaftskrise, die jeden Tag 1000 gut bezahlte (und damit für die sozialen Sicherungssysteme bedeutsame) Arbeitsplätze in der Industrie kostet, um Krieg und Frieden. Jede Partei gibt unterschiedliche Antworten darauf. Nach jedem Anschlag gab es die gleichen Beschwörungen: Nein, jetzt reicht es. Jetzt wird endlich durchgegriffen. Auch wenn die Gesetze es oft hergaben, verhinderten Vollzugsprobleme genau das. Dazu kommt, dass durch die seit 2015 kontinuierlich wachsende Zahl von Flüchtlingen die Kapazitäten fast aller Kommunen erschöpft sind. Und das wird spürbar – in jeder Schulklasse, in der Turnhalle, die jetzt halt nicht mehr für Sport und Spiel zur Verfügung steht. Friedrich Merz musste reagieren und hat dies zum Thema gemacht. Ob sein Vorgehen von vergangener Woche der Union nutzt (oder als Mobilisierungsinstrument einer müden SPD taugt), bleibt abzuwarten. Es wird jetzt – vor allem aus dem linken Spektrum – viel gesprochen über die Brandmauer der Union. Das ist aus Sicht der in Umfragen fast aussichtslos zurückliegenden Rest-Ampel natürlich „alternativlos“. Aber auch in traditionell sozialdemokratisch dominierten Wohnvierteln und Regionen herrscht ein mindestens ungutes Gefühl angesichts einer ungehinderten Migration. Das ganze Land schaute denn also gebannt auf den Parteitag der CDU am Montag in Berlin. Und der Kanzlerkandidat durfte sich der Zustimmung seiner Partei sicher sein. Langanhaltender Beifall, Rückhalt der Ministerpräsidenten, eine 100-prozentige Zustimmung zum Sofortprogramm: Im Regierungsprogramm ist auch die Entlastung für die Wirtschaft enthalten, die aktuell unter erheblichem Wettbewerbsdruck leidet. Enthalten ist ebenfalls ein klarer Kurs in der Außen- und Sicherheitspolitik. Aber Merz nutzte auf dem Parteitag seine von Jubel begleitete Rede, um die Distanz zur AfD deutlich zu machen. Es gibt keine Zusammenarbeit, es gibt keine Duldung, es gibt keine Minderheitsregierung, gar nichts. Merz erteilte die Versicherung, dass man mit dieser Partei nicht zusammenarbeiten werde. „Vorher nicht, nachher nicht, niemals.“ Auf die Vorkommnisse der vergangenen Woche ging er dabei nicht ein. Ländlicher Raum bleibt im Wahlkampf unter dem Radar Unklar ist, ob der Sauerländer damit das Thema Brandmauer von der politisch-medialen Tagesordnung nehmen konnte. Andere Themen und Herausforderungen gibt es zum Beispiel auch für den ländlichen Raum ausreichend: Drohende Handelskriege, die mangelnde Akzeptanz für die wirtschaftlichen Belange der Forstwirtschaft, das drohende Weiterauseinanderfallen der Lebenswelten von Stadt und Land – all das segelt weiter unter dem Radar. Verschwunden oder gar gelöst sind die Probleme aber nicht. Immerhin hat die CDU auf ihrem Parteitag im beschlossenen Sofortprogramm immer wieder betonte Anliegen des ländlichen Raumes aufgegriffen. So will sie die Landwirte entlasten, indem die Agrardieselrückvergütung wieder vollständig eingeführt werden soll. Und bei der beabsichtigten Verschlankung des Staates sind offensichtlich auch die Punkte enthalten, die Berichts- und Meldepflichten aus dem Agrarbereich enthalten.
- Aufatmen auf den Biogas-Höfen
Neues Förderpaket für die alten Anlagen. Für die Betreiber eine offenbar notwendige Unterstützung, um die Anlagen wirtschaftlich zu betreiben. Biogasanlage (Symbolbild) Der Bundestag hat kürzlich mit den Stimmen von SPD, Grünen und Union ein neues Förderpaket für alte Biogasanlagen auf den Weg gebracht. Damit ist ein Großteil älterer Anlagen zunächst einmal gerettet. Allein in Schleswig-Holstein betrifft dies allein rund 400 von insgesamt rund 1100 Anlagen. In Deutschland sind es rund 2000 von insgesamt 9600 Biogas-Anlagen, deren Betreiber aufatmen können. Im Detail sieht die Gesetzesnovelle vor, dass die Biogasmengen bei den staatlichen Ausschreibungen in diesem und in den nächsten drei Jahren mehr als verdoppelt werden – von insgesamt 1300 Megawatt Leistung auf 2830 Megawatt. Außerdem steigt der sogenannte Flexibilitätszuschlag für Anlagenbetreiber, die bereit sind, ihren Strom bedarfsabhängig zu produzieren, von 65 Euro pro Kilowatt installierter Leistung auf 100 Euro. Anteile von Mais und Getreide müssen sinken Die landläufige Meinung, dass es den deutschen Biogas-Bauern wirtschaftlich überaus gut gehe, ist im Zuge dieser offenbar notwendigen Förderung korrigiert worden. Dazu kommen auch neue Auflagen für die Branche. So darf nicht mehr so viel Mais wie bislang verwendet werden. Das ist übrigens eine gute Nachricht für die Revierinhaber, insbesondere für Niederwildjagden: So müsse der Anteil von Mais oder anderem Getreide an den Gärstoffen von 35 Prozent auf zunächst 30 Prozent sinken und ab dem nächsten Jahr auf 25 Prozent. Auch falle künftig die staatliche Vergütung bei negativen oder schwach positiven Strompreisen weg, heißt es in der Novelle. Die Biogasanlagen-Betreiber müssen weiter mit starkem Gegenwind aus Naturschutz-Kreisen rechnen. So fordert das Umweltverband NABU das Ende der Nutzung von Mais zur Erzeugung. Der Betrieb ist aus Sicht des Verbandes energetisch wenig effizient, trage kaum zum Klimaschutz bei und schädige Natur und Umwelt, kritisiert der NABU. Eben jener Umweltschutz-Verband, der noch in den achtziger Jahren zum Bau dieser Anlagen aufgerufen hatte. In Deutschland wird von den Biogas-Bauern Strom für mehr als neun Millionen Haushalte erzeugt. Das macht 5,4 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus.
- Jagd zwischen Ideologie und Auftrag
Großdemonstration der Jäger in Hannover und gleichzeitig läuft in Dortmund die „Jagd und Hund“, Europas größte Jagdmesse. Zwei Pole, die den Stand des Waidwesens in Deutschland markieren. Foto: torstensimon Hier feiert die Jagd zum 44. Mal sich selbst, in diesem Jahr mit mehr als 700 Ausstellern aus 36 Ländern. 200 Kilometer entfernt wehrt sie sich gegen erdrückende staatliche Reglementierung. Kumpelhaftes Schulterklopfen in feucht-fröhlicher Stimmung und gesellschaftspolitische Kampfbereitschaft vor dem niedersächsischen Landtag markieren das Spannungsfeld einer Zunft, die längst auch im ländlichen Raum nicht mehr selbstverständlich ist. Auch dort greifen Urbanisierungstendenzen und die damit einhergehende Entfremdung von der Jagd. Zudem haben Tierrechtler sowie weite Teile des Natur- und Artenschutzes eine ideologische Grundstimmung geschaffen, in der jede Tötung eines Tieres nahezu als Sakrileg erscheint. Vegetarisches Leben und Veganismus sind längst nicht mehr nur Ernährungsweisen, gegen die Wildbret als gesundes Lebensmittel konkurrieren könnte, sondern Weltanschauungen. Da hilft auch nicht, dass die Jagd der einzige weitgehend in der Freizeit stattfindende Bereich ist, der auf Bundes- und Landesebene mit eigenen Gesetzen geregelt ist, was bereits ihre Sonderstellung nahelegt. Sie ist eben nicht nur Hobby, sondern – zumindest auch – staatlicher Auftrag. Die nackten Zahlen sprechen gegen eine Jägerei auf dem absteigenden Ast und dafür, dass immer mehr Menschen diesen Auftrag gerne erfüllen möchten. Über deutschlandweit 460.771 Jägerinnen und Jäger freute sich der Deutsche Jagdverband (DJV) vor wenigen Tagen. Das ist ein neuer Höchststand und ein Anstieg um mehr als ein Drittel (41 Prozent) innerhalb von drei Jahrzehnten. Statistisch gibt es jetzt genau 5,5 Jägerinnen und Jäger pro 1.000 Einwohner in Deutschland – ein Anstieg um 38 Prozent gegenüber 1994. Mehr als ein Fünftel (22 Prozent) der Menschen mit Jagdschein in Deutschland leben in Nordrhein-Westfalen: 101.924. Erstmals ist damit die Marke von 100.000 in einem Bundesland überschritten. Danach folgen Bayern (75.000) und Niedersachsen (70.000). Bezogen auf die Einwohnerzahl leben in Mecklenburg-Vorpommern die meisten Jagdscheininhaber, nämlich 10 pro 1.000 Menschen. Auf Platz 2 folgt Niedersachsen (9) und danach Schleswig-Holstein (8). Die vom DJV als „Rekord“ gefeierten Zahlen aus November 2024 haben gerade in den ehemaligen Niederwild-Hochburgen NRW und Niedersachsen einen wachsenden Druck auf die Fläche und damit einhergehend steigende Pachten für Reviere zur Folge. Das Unverständnis weiter Teile der Bevölkerung wächst Entgegen der naheliegenden Vermutung, dass mehr Jäger für eine zunehmende Akzeptanz der Jagd in der Gesellschaft sprechen, ist das Gegenteil der Fall. Mit Voranschreiten der Urbanisierung wächst das Unverständnis weiter Teile der Bevölkerung für ein archaisch anmutendes Handwerk. Das ist allein mit Neid oder schlichtem Unverständnis für das Privileg des Waffenbesitzes, die es sicher auch gibt, nicht zu erklären. Wesentlich ist vielmehr ein massives Fremdeln mit natürlichen Abläufen und Gegebenheiten. Interessant ist, dass 70 Prozent der Jägerinnen und Jäger in Deutschland in Verbänden organisiert sind. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Jagd aber ist dort am höchsten, wo der Organisationsgrad am niedrigsten ist, in den östlichen Bundesländern. Einen wesentlichen Anteil an den steigenden Jägerzahlen haben die privaten Jagdschulen. Dort kann in kürzester Zeit, manchmal innerhalb von zwei Wochen inklusive Prüfungstagen, der Jagdschein erworben werden. Das hat zwar seinen Preis. Doch dafür gibt es quasi eine Bestehensgarantie, während insgesamt knapp ein Viertel der Jagdschüler beim ersten Anlauf durchfällt. Kaum vorstellbar, dass dabei das gleiche Wissen erworben werden kann wie in einem traditionell fast ein Jahr dauernden Kursus der Kreisjägerschaften. So ist der fast immer deutlich teurere „Jagdschein to go“ zwar ein attraktives Angebot für Menschen mit wenig Zeit und gut gefülltem Bankkonto. Er hat aber auch die allgemeine Wertschätzung für das sogenannte grüne Abitur merklich reduziert. Wissenschaftliche Erkenntnisse verstärken diesen Trend. So kommt Prof. Dr. Werner Beutelmeyer in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass das ehrenamtliche Handwerk immer mehr verflacht und die Jagd von einer Lebenseinstellung zu einem reinem Freizeitvergnügen unter etlichen anderen verkommt. „Die Zukunftsjäger 2030 sind in nahezu allen abgefragten Themenfeldern weniger informiert als der derzeitige Durchschnittsjäger. Der Megatrend zur Oberflächlichkeit dürfte bis 2030 damit auch die Jagd erfassen“, lauten die Analyse-Ergebnisse des Wissenschaftlers (siehe den Blog-Beitrag vom 2. Dezember 2024 Jagd: „Megatrend zur Oberflächlichkeit“ ). Vor dem Hintergrund dieser Trends ist das Bild vom kauzigen Lodenjockel auf dem Hochsitz zwar ironisch verschroben, aber vielleicht noch amüsant. Denn für Jagdgegner gipfelt die Summe dieser Entwicklungen in ihrer irrigen Lieblingsthese vom Jäger als triebgesteuerten Lusttöter, der entwaffnet gehört. Da ist jedes erlegte Stück Wild eine hinterrücks gemeuchelte Kreatur, ein ermordetes Mitgeschöpf. Während aus dieser Perspektive die Jäger zu viel schießen, gibt es auch den gegenteiligen Vorwurf, dass Jäger eigentlich mehrheitlich Bambi-Streichler sind, die das wiederkäuende Schalenwild zu oft pardonieren und deshalb ihren Beitrag zum Umbau des Waldes zu klimastabilen Mischwäldern nicht leisten. Diese Sicht ist in der Forstpartie weit verbreitet und deutet darauf hin, dass die Einheit von Forst und Jagd längst zerbrochen ist. Die Forstpartie bemüht sich daher, die Deutungshoheit über die Jagd zu gewinnen. Da scheint der Waldumbau mit der Büchse unter Zuhilfenahme massiver Schonzeitaufhebungen das probate Mittel. Das reicht bis zum Infragestellen des Muttertierschutzes. Kurioserweise kann die Forstpartie dabei sogar vergessen machen, dass die heute verteufelten Fichtenplantagen ein Produkt eben ihres Berufsstandes sind. Die Jagdverbände reagieren auf die allseitige Kritik verhalten. Der DJV etwa erklärt: „Zahlreiche Aufgaben sind gesetzlich verankert. Jägerinnen und Jäger sorgen beispielsweise für Artenvielfalt, helfen Tierseuchen einzudämmen und Wildschäden zu reduzieren. Bei Wildunfällen stellen sie Bescheinigungen für die Versicherung aus und suchen mit speziell ausgebildeten Hunden nach verletzten Wildtieren.“ Stets geht es also um den gesellschaftlichen Nutzen, allenfalls noch um die Jungwildrettung, etwa bei der Rehkitzsuche mit Drohnen. Fast nie und wenn, dann nur verschämt am Rande, wird darauf hingewiesen, was Jagd als erstes ist: ein bürgerliches Freiheits- und Eigentumsrecht.
- Jäger gegen neue Regeln von „grünen Küchentisch“
Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, in unserem Wochenkommentar thematisieren wir das Fehlen von ländlichen Themen im aktuellen Bundestagswahlkampf und illustrieren dies am Beispiel von Armut auf dem Dorf und dem Deutschlandticket. Ferner beschäftigen wir uns ausführlich mit der großen Demonstration von Jägern gegen das neue niedersächsische Landesjagdgesetz, erläutern die Forderungen der Jägerschaft und gehen auf die Reaktionen aus der Politik ein. Die Parteien streiten im Wahlkampf momentan heftig über das Thema Migration. Gewiss, die Frage, wer unter welchen Bedingungen nach Deutschland kommen darf, ist von großer Bedeutung. Aber was ist eigentlich mit den anderen wichtigen Problemen, die die Menschen bewegen? Die Zukunft des Sozialsystems, Klimaschutz und vor allem die anhaltende Wirtschaftsschwäche drohen in den Hintergrund zu geraten. Erst recht gilt dies für die besonderen Belange und Herausforderungen im ländlichen Raum. Ein oft verdrängtes Thema ist in diesem Zusammenhang Armut. Sie gibt es in der Stadt und auf dem Land. Im Dorf oder in der kleinen Kommune hat Armut allerdings ein anderes, eher verdecktes Gesicht. Denn die Scham der Betroffenen, Sozialleistungen oder eine andere Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist dort ausgeprägter als in der Großstadt. Und es existiert neben der schlechten Einkommenssituation meist eine zusätzliche Belastung , die inzwischen unter dem Begriff „Mobilitätsarmut“ zusammengefasst wird. Einfach ausgedrückt: Wer sich auf dem Land kein Auto leisten kann und kaum Nahverkehrsangebote findet, sitzt im wahrsten Sinne des Wortes im Dorf fest. Unser Autor Wolfgang Kleideiter hat sich angeschaut, was es eigentlich bedeutet, wenn fehlende Infrastruktur die Armut nochmals verschärft. In der kommenden Woche können Sie seinen entsprechenden Bericht in unserem Blog lesen. Schon seit längerem scheint es große Teile der Berliner Politikszene im Grunde wenig zu interessieren, was die Menschen jenseits der großen Städte belastet, wie sie ihren Alltag gestalten und welche Wünsche sie an die Regierenden haben. Die Ausgestaltung des Deutschlandtickets etwa, das alle Bürger mit ihren Steuergeldern finanzieren, von dem aber vor allem großstädtische ÖPNV-Nutzer und Pendler profitieren, ist hierfür ein Beispiel. Vieles andere wird dagegen zwar freundlich-lächelnd zur Kenntnis genommen, dann aber auf die lange Bank geschoben oder verschwindet gar ganz auf Nimmerwiedersehen in der behördlichen Ablage. Landwirte etwa und Jäger können davon ein garstig Lied singen. Seit Jahren schon müssen sie sich gegen Einschränkungen und Auflagen wehren, die ihre traditionellen Eigentumsrechte teils massiv bedrohen. Und es wächst der Eindruck, in der landwirtschaftlichen oder auch jagdlichen Praxis zu sehr eingeschränkt und bürokratisch gegängelt zu werden. Kein Wunder, dass sich die Betroffenen gegen solche als Zumutung empfundene Maßnahmen wehren. Man denke hier nur an die großen Bauernproteste im vergangenen Jahr. Oder auch an die jüngste Demonstration von Jägern gegen das geplante neue niedersächsische Landesjagdgesetz. So etwas hat es laut Medienberichten in Hannover lange nicht gegeben. Tausende Jäger verwandelten das Zentrum der Landeshauptstadt in ein Meer aus Orange . Laut Polizei hatte die Landesjägerschaft mehr als 15.000 Menschen mobilisiert. Die Veranstalter sprachen von gar von 20.000 Teilnehmern. Helmut Dammann-Tamke, Präsident des Deutschen Jagdverbandes und auch der Landesjägerschaft Niedersachsen, erklärte: „Die Menschen im ländlichen Raum sind unzufrieden.“ Besonders kritisierte er am neuen geplanten Landesjagdgesetz die Einschränkung bei der Ausbildung von Hunden. Das werde am Ende zu weniger Tierschutz in der Jagd führen. Und Karl Walch, Präsident des Jagdgebrauchshundeverbandes, betonte, es gehe darum, auch in Zukunft gut ausgebildete Hunde auf der Fläche zu haben. Daher müsse man weiter mit lebenden Tieren trainieren dürfen. Der SPD-Politiker Christoph Wille verteidigte dagegen unter lauten Buh-Rufen und Pfiffen aus dem Publikum den Plan, dass Hunde künftig wegen der Einsturz- und Verletzungsgefahr nicht mehr in natürlichen Fuchsbauten jagen dürften. Ministerin mit Buh-Rufen empfangen Ein neues Eckpunkte-Papier aus dem Landwirtschaftsministerium bleibe unkonkret und nebulös, kritisierte Dammann-Tamke: „Wenn es nicht bald anders ist, dann kommen wir wieder.“ Auch der Chef der CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag, Sebastian Lechner, betonte: „Dieses Gesetz darf den Landtag nicht erreichen. Wir brauchen nicht mehr Regeln vom grünen Küchentisch.“ Die grüne Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte, die von den Demonstranten mit Buh-Rufen und Pfiffen empfangen wurde, verteidigte dagegen ihre Pläne, vor allem die Einschränkungen beim Abschuss von Hunden und Katzen. Es sei davon auszugehen, dass nach der Sommerpause ein Gesetz im Kabinett vorliegen könnte. Bereits im Vorfeld der Demonstration hatte Staudte in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mit Unverständnis auf die Proteste der Jäger reagiert. Sie könne den Unmut in der Jägerschaft nicht nachvollziehen. Die Aufregung liege darin begründet, dass einfach sehr viele falsche Informationen kursieren würden, meinte die Grünen-Politikerin. Beim Konflikt um das geplante neue niedersächsische Landesjagdgesetz geht es nicht nur um die konkreten Verhältnisse in einem einzelnen Bundesland. Vielmehr bestätigt sich hier ein genereller Trend, bestimmte traditionelle Themen entweder wie jetzt im Bundestagswahlkampf auszuklammern oder aber für ideologisch geprägte Experimente zulasten der unmittelbaren Betroffenen zu nutzen. Exemplarisch zeigt sich dies am derzeitigen Stand des Jagdwesens in Deutschland. Unser Autor Christoph Boll hat dies in dieser Woche in seinem Beitrag „Jagd zwischen Ideologie und Auftrag“ genauer herausgearbeitet. Urbanisierungtendenzen und die damit einhergehende Entfremdung von der Jagd in der Breite der Gesellschaft machen sich zunehmend auch im ländlichen Raum breit. Zudem hätten Tierrechtler sowie weite Teile des Natur- und Artenschutzes eine ideologische Grundstimmung geschaffen, in der jede Tötung eines Tieres nahezu als Sakrileg erscheine. Es gebe ein „massives Fremdeln mit natürlichen Abläufen und Gegebenheiten“. Forderungen der Jäger Ein großer Teil gerade der städtischen Bevölkerung hat sich weit von den natürlichen Kreisläufen und den Verhältnissen im ländlichen Raum entfernt. Entsprechend schwer fällt es da, die sachlich gebotene, öffentliche Aufmerksamkeit im Wahlkampf zu verschaffen. Dies gilt natürlich auch für die elf Kernforderungen des Deutschen Jagdverbandes (DJV) zur Bundestagswahl. Sie zeigen die Richtung an, in die sich die Politik nach den Vorstellungen einer wichtigen Gruppe von Naturnutzern bewegen sollte. Es sind dies: 1.Gesellschaftliche Bedeutung der Jagd anerkennen 2. Waffengesetz praxistauglich überarbeiten 3. Regional differenziertes Wolfsmanagement einführen 4. Wildökologische Raumplanung implementieren 5. Waldumbau wildtierfreundlich gestalten 6. Agrarpolitik wildtierfreundlicher gestalten 7. Lebensräume wieder vernetzen 8. Raumplanung für Solarparks mit Biotopverbund im Blick 9. Afrikanische Schweinepest effektiver bekämpfen 10. Umbau von Schießständen fördern 11. Jagdliche Unfallversicherung frei wählbar gestalten. Ich wünsche Ihnen eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination
- AfD-Wahlprogramm zum ländlichen Raum: Geprägt von EU-Skepsis
Die Forderungen zur Landwirtschaft und Jagd sind nicht die radikalsten Punkte im Wahlprogramm der AfD. Doch mit ihren EU-feindlichen Äußerungen stehen die Rechtspopulisten allein da AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel (Foto: AfD) Die AfD verharmlost Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine, fordert Deutschlands Ausstieg aus dem Euro und der Europäischen Union und leugnet den Klimawandel. Damit unterscheidet sich die in Teilen rechtsextreme Partei fundamental von demokratischen Parteien, die am 23. Februar zur Bundestagswahl antreten. Aber welche Positionen vertreten die Rechtspopulisten zum ländlichen Raum? Immerhin widmet sich die AfD im Wahlprogramm ausführlich der Landwirtschaft, Jagd, Waldpflege und Forstwirtschaft, dem Gewässerschutz und der Trinkwasserversorgung. Ein eigenes Kapitel behandelt „Landwirtschaft, Umwelt und Klima“. Neben Banalitäten wie „Fischerei ist ein Kulturgut“ oder „Heimat braucht Bauern“ reiht sich eine EU-skeptische Position an die andere. Die AfD fordert, dass sich Landwirtschafts- und Umweltpolitik zuerst an nationalen Gegebenheiten und Bedürfnissen orientieren. Ist „Wald vor Wild“ eine linksgrüne Ideologie? Die AfD bezeichnet Jagd als „gelebten Naturschutz“ und stimmt damit dem Deutschen Jagdverband zu. Alle Jägerinnen und Jäger dürften dieser Aussage zustimmen. Mit ihrem Prinzip „Wald mit Wild“ widerspricht sie dem Grundsatz „Wald vor Wild“, den sie als linksgrüne Ideologie diffamiert. Merkwürdig nur, dass es die CSU war, die vor Jahren diesen Grundsatz im bayerischen Waldgesetz verankert hat (Artikel 1, Abs 2., Nr. 2) – und die Partei von Markus Söder ist nun wirklich unverdächtig, im Münchner Landesparlament linksgrüne Ideologie zu fördern. „Wald vor Wild“ soll die von Borkenkäfern, Dürre und Stürmen bedrohten Bäume schützen und den klimagerechten Waldumbau fördern, um nachwachsende junge Bäume vor Wildverbiss zu bewahren. Gegen die Gemeinsame Agrarpolitik Zur Agrarpolitik schreibt die AfD, sie wolle die Unabhängigkeit der Landwirte stärken, marktwirtschaftliche Prinzipien wieder in den Vordergrund rücken und den Bauern mehr unternehmerische Entscheidungsfreiheit zurückgeben. „Eine sach- und leistungsgerechte Vergütung der Landwirte, landwirtschaftlichen Nutztierhalter und Nahrungsmittelproduzenten muss generationengerecht gesichert sein“, heißt es – ein Satz, dem wohl jeder Bauer zustimmen dürfte. Doch die bewährte Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), eines der ältesten Politikfelder der Europäischen Union, lehnen die Rechtspopulisten strikt ab. Das unterscheidet die AfD eindeutig von CDU/CSU, SPD, Grünen und der FDP, die zumindest im Grundsatz alle der GAP zustimmen. Die Forderung der Rechtspopulisten nach einem Bürokratieabbau in der Landwirtschaft teilen hingegen alle Parteien. Die AfD verspricht im Fall einer Regierungsübernahme die sofortige Verdoppelung der Agrardiesel-Rückerstattung und verlangt den Vorrang regionaler Produkte wie Gemüse, Obst, Fleisch und Fisch gegenüber Importware. Wie sie das umsetzen will, bleibt allerdings unklar. Windräder lehnen die Rechtspopulisten ab, da sie angeblich Pflanzen, Tiere und die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen gefährden. Auch den Neubau von Photovoltaikanlagen als Agri-PV auf landwirtschaftlichen Nutzflächen lehnt die AfD ab. Region hat hohen Stellenwert Die Region hat für die AfD einen hohen Stellenwert. Sie befürwortet regionale, wohnortnahe Nutztierhaltung, den Erhalt regionaler Schlachthöfe, die regionale Überwachung problematischer Wildtier-Bestände, die regionale Wasserversorgung und eine auf regionale Bedürfnisse ausgerichtete Umwelt- und Landwirtschaftspolitik. Was das konkret bedeutet, bleibt allerdings im Dunklen. Die Passagen zum ländlichen Raum gehören nicht zu den radikalsten Positionen der in Teilen rechtsextremen AfD. Doch wegen ihres umstrittenen Politikstils, ihrer EU-feindlichen Haltung und ihres völkischen Menschenbildes sind die Rechtspopulisten für die Bewohner ländlicher Räume nicht wählbar. Kein Wunder, dass der Deutsche Bauernverband auf Distanz geht – und alle im Bundestag vertretenen Parteien eine Koalition mit der AFD ausgeschlossen haben.
- Blockade der Energiewende auf dem Land
Seit Mai steht die Notifizierung des Solarpakets I aus. Bauern, die in Agri-PV-Anlagen investieren wollen, sind verzweifelt Foto: PublicDomainPictures Landnutzung auf zwei Etagen. Das ist die Idee, die hinter dem Konzept von Agri-PV steht. Konkret sieht das etwa so aus: Auf dem Boden wachsen Apfelbäume. Direkt darüber in 2,10-Höhe sind Sonnenkollektoren, Photovoltaikanlagen (PV), aufgeständert und produzieren elektrische Energie aus der Sonneneinstrahlung. Landwirte praktizieren so nicht nur den Anbau von Sonderkulturen, sondern werden auch zu Energiewirten und Pionieren der Energiewende auf dem Land. Sie fahren auf doppeltem Wege Ernte ein. Wenn es gut läuft, schützen die Sonnenkollektoren auch noch die Nutzpflanzen vor zu starker Sonneneinstrahlung. Schutz können die PV-Anlagen auch Wein und Obst vor Starkregen, Hagel und Frost geben. Das ist gut für viele Pflanzen, es mindert ihren Stress, weswegen der Bauer mit weniger Pflanzenschutz auskommt. Die Ampel-Koalition wollte die doppelte Nutzung anschieben. Die Investitionskosten der Agri-PV-Anlagen sind besonders hoch. Die Bundesregierung hat daher das Solarpaket I vom Bundestag beschließen lassen. Das war bereits im Mai. Es sieht vor, dass die Investoren auch bei Agri-PV-Anlagen eine höhere Einspeisevergütung für den geernteten Solarstrom bekommen. Darüber soll sich ihre Anschaffung schneller rechnen. In der EU muss aber jede staatliche Beihilfe von der Europäischen Kommission in Brüssel notifiziert werden. Zur Verzweiflung von Bauern, die etwas Neues wagen wollen, und Projektentwicklern, deren Aufträge stocken, hakt es aber seit Mai bei der Notifizierung. Kreditfinanzierungen bei den Banken drohen zu scheitern. Ausschreibungen platzen. Ohne grünes Licht von der EU kann das Solarpaket I nicht in Kraft treten. Rückschlag für Innovation Norbert Lins (CDU), Vize im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments, spricht von einer Blockadehaltung sowohl in Brüssel als auch in Berlin, wo die Beamten von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die notwendigen Unterlagen für die Kommission beibringen müssen: „Das ist nicht nur ein politisches Versagen, sondern auch ein Schlag ins Gesicht für all jene, die mit Innovation und Engagement den Ausbau von erneuerbaren Energien vorantreiben wollen.“ Solange die Genehmigung aus Brüssel auf sich warten lasse, blieben die Potenziale ungenutzt. Vermutlich ist es dem grünen Wirtschaftsminister nicht so wichtig, dass die Energiewende auf dem Land angeschoben wird. Bauern gehören nicht gerade zur Stammwählerschaft der Grünen. Die Grünen sind eher Anhänger von Freiflächen-Photovoltaik und äußern bisher wenig Bedenken dagegen, wenn fruchtbare Ackerböden ungenutzt bleiben für die Produktion von Nahrungsmitteln. Ernährungssicherheit war noch nie ein Kriterium, was den Grünen wichtig war. Vielleicht nimmt Habeck auch ganz gern mit, dass durch die Hinhaltetaktik der Bund Geld spart, weil die zugesagten Subventionen noch nicht fließen müssen. In den Medien taucht die Misere bei der Agri-PV bislang so gut wie gar nicht auf. Bei den Menschen auf dem Land ist sie indes ein großes Aufreger-Thema. Der Ärger der Leidtragenden richtet sich leicht gegen „die Regierenden“, unabhängig davon, wer den Schwarzen Peter tatsächlich hat. Vertrauen in die Politik geht verloren – angesichts des bevorstehenden Termins für die Bundestagswahl ist das für alle Demokraten keine gute Nachricht.